Für den hessischen Antisemitismusbeauftragten Uwe Becker ist Frankfurt am Main die »jüdischste Stadt« Deutschlands. Sie beherbergt auch eine der größten jüdischen Gemeinden. Und genau hier soll eine zentrale bundesweite Denkfabrik entstehen: die Jüdische Akademie. Planungen dazu gibt es schon länger – nun gab die Stadt Frankfurt vergangene Woche bekannt, dass die Baugenehmigung erteilt wurde.
Damit sei der Zentralrat der Juden »der Verwirklichung seiner wegweisenden Bildungseinrichtung einen großen Schritt nähergekommen«, erklärte dazu Harry Schnabel, Präsidiumsmitglied des Zentralrats und Mitglied des Vorstands der Jüdischen Gemeinde in Frankfurt.
Die Akademie soll nach seinen Worten »den Diskurs über jüdisches Leben und jüdische Kultur in die Bevölkerung hineintragen«. Geplant seien Seminare, Konferenzen, Vorträge und Fortbildungen, die sich an Juden und Nichtjuden richten. Die vermittelten Inhalte »dienen der Aufklärung, die nach Überzeugung des Zentralrats der Juden auch eine präventive Wirkung gegen zunehmenden Antisemitismus haben wird«, sagte Schnabel.
SICHTBARKEIT Der Christdemokrat Becker, der auch Frankfurter Bürgermeister und Präsident der Deutsch-Israelischen Gesellschaft ist, sieht in der geplanten Akademie ein Pendant zu den Katholischen und Evangelischen Akademien. Es gehe um eine jüdische Sichtweise auf die Gesellschaft, auch in einer Zeit von zunehmendem Antisemitismus, sagte Becker und verwies zugleich auf die Hochschule für Jüdische Studien Heidelberg (HfJS). Auch dieses 1979 gegründete Projekt trägt der Zentralrat.
Es geht um eine jüdische Sichtweise auf die Gesellschaft.
In Frankfurt nun also die geplante Akademie in der Senckenberganlage im Stadtteil Bockenheim, was für eine »notwendige Sichtbarkeit« sorge, betont Becker. »Das ist ein sehr exponierter Standort.« Die Stadt Frankfurt stellt ein ehemaliges Professorenhaus und ein angrenzendes freies Grundstück zur Verfügung. Es soll ein Neubau unter Einbeziehung eines bestehenden Gebäudes entstehen.
Schnabel nennt den Spätsommer als möglichen Beginn der Bauarbeiten: »Wenn die Stadt Frankfurt, das Land Hessen und das Bundesinnenministerium als Zuwendungsgeber bei ihrem für Ende Januar anberaumten Koordinierungsgespräch grünes Licht geben, kann alsbald mit der Ausschreibung der Gewerke begonnen werden. Bei planmäßigem Verlauf könnten die Bauarbeiten im Spätsommer aufgenommen werden.«
DISKURS Frankfurt sei nicht nur wegen der langen jüdischen Tradition ein geeigneter Standort, sagt Becker. Die Stadt habe immer wieder eine große Rolle für den gesellschaftlichen Diskurs gespielt, etwa durch die Denkrichtung der Frankfurter Schule. Auch sei die Stadt ein Ort des interkulturellen und interreligiösen Austauschs. Seinen Worten zufolge wird es an der neuen Jüdischen Akademie unter anderem um die Entwicklung der Erinnerungskultur und die Rolle jüdischen Lebens in Deutschland gehen. Die Kosten für die Akademie seien Ende 2018 auf etwa 21 Millionen Euro geschätzt worden.
Der Beauftragte der Bundesregierung für jüdisches Leben und den Kampf gegen Antisemitismus, Felix Klein, sieht in der Akademie ein »neues Forum für den gesellschaftlichen Diskurs, in den sich die jüdische Seite einbringt«. Es sei »höchste Zeit« für eine solche Einrichtung, die sich wichtigen gesellschaftspolitischen und theologischen Fragen widmen und reichlich Wissen über das Judentum weitergeben werde – und damit auch Aufklärung im Kampf gegen Antisemitismus betreibe, sagte Klein. Nicht zuletzt könnten sich in dem Haus auch Lehrer fortbilden lassen.
Die Idee zu einer Jüdischen Akademie entstand bereits vor einer Weile: 2013 hatte der Zentralrat bekannt gegeben, dass er eine neue Bildungsabteilung starte, die die Grundlage für eine Jüdische Akademie bilden werde.
Stadt, Zentralrat und Wohnungsbaugesellschaft einigten sich im Februar 2018 auf Standort und Finanzierung der neuen Bildungsstätte. Damals sagte Zentralratspräsident Josef Schuster, der Beschluss des Magistrats fördere die »Weiterentwicklung eines erneuerten deutschen Judentums«. Die Akademie werde »mit ihren Debatten zu einer toleranten, religionsfreundlichen und pluralistischen Gesellschaft« beitragen, ergänzte Schuster.