Den Verleumdern sei keine Hoffnung.» Das ist die zwölfte Bitte des AchtzehnGebets, die die Verwünschung von als problematisch empfundenen Mitjuden enthält. Sie wurde bei ihrer Einsetzung als so bedrückend empfunden, dass der Gelehrte, der sie im Auftrag seines Lehrers verfasst hatte, zunächst gar nicht imstande war, sie laut vorzutragen.
Diese Bitte kam einem anlässlich der Ruhrtriennale wieder in den Sinn, die vor einigen Wochen zu Ende ging. Auf einer der Veranstaltungen des Festivals ging es in der gewundenen Ankündigung mit englisch-deutschem Doppeltitel und drei Gendersternchen offiziell um Kunst- und Meinungsfreiheit.
Band Die Intendantin Stefanie Carp sah sich gehalten, sich öffentlich «für das Existenzrecht Israels» und «gegen Antisemitismus» auszusprechen, nachdem sie sich ziemlichen Ärger eingehandelt hatte mit der Ein-, Aus- und Wiedereinladung einer schottischen Band, die kurz zuvor den Auftritt auf einem Berliner Festival verweigerte, weil der Staat Israel die Reisekosten einer israelischen Sängerin mit 500 Euro bezuschusste. Gleichzeitig wollte Carp es sich nicht mit dem BDS-gläubigen Flügel der Kunst-Aristokratie verscherzen.
Der einzige angekündigte Jude auf dem Podium, der New Yorker Komponist Elliott Sharp, hält, wie er 2011 dieser Zeitung verriet, BDS für richtig und Zionismus für «reaktionär, rassistisch und totalitär». In Bochum war er zu der Einsicht gelangt, «dass Israel einer der Hauptgründe für den wachsenden Antisemitismus ist». Noch bedrückender war die Rolle, die der israelische Regisseur Udi Aloni spielte, dem die Intendantin einen intensiv genutzten Kurzauftritt auf dem Podium zugestand. Wie schon beim Berliner BDS-Streit war er so sehr von der Bedeutung seiner Wahrheit überzeugt, dass er gar nicht anders konnte, als diese laut herauszuschreien.
Die nicht-BDS-gläubigen Juden, von denen etwa 300 angereist waren, wurden von der Chefin ins Parkett verbannt. Was dazu führte, dass sie sich nur durch empörte Zwischenrufe bemerkbar machen konnten, wodurch wiederum, ganz im Sinne der Veranstalterin, der Kampf um das Existenzrecht Israels zu einem innerjüdischen Zank herabgestuft wurde.
Letztlich liegt hier tatsächlich ein «Glaubensdisput» vor. Die Bindung an «das Land», die in der irdischen Existenz des Staates Israel ihren heutigen Niederschlag gefunden hat, ist, wie immer man sich das als Jude dann zurechtlegt, für die jüdische Religion genauso zentral wie für Christen die Messianität Christi und für die Gegenseite oft ebenso schwer nachvollziehbar.
Druck Nun hat es zu allen Zeiten Juden gegeben, die dem feindlichen Druck nicht anders standzuhalten wussten, als dadurch, zur Gegenseite zu wechseln; angefangen mit dem talmudischen Rabbi Acher, dem unterstellt wird, den Römern nach der Niederschlagung des Bar-Kochba-Aufstands mit seinem Fachwissen beigestanden zu haben, bis zu historisch verbürgten Figuren wie dem spanischen Rabbiner Salomo Halevi, der 1391, nach eigener Darstellung wegen der Lektüre des Thomas von Aquin – nach Meinung von Zeitgenossen jedoch im Zusammenhang mit einer in diesem Jahr erfolgten Judenverfolgung mit 6000 Toten –, zum Christentum übertrat, wo er als Paulus de Santa Maria Karriere machte.
Er stieg zum einflussreichen Bischof von Burgos auf, der mit dem Licht, das er selbst zu sehen glaubte, auch seine ehemaligen Glaubensbrüder erleuchten wollte – was dann dazu führte, dass er alles tat, um ihnen das Leben schwer oder vielmehr unmöglich zu machen: und das mittels demütigender Judengesetze, die die Vertreibung von 1492 vorbereiteten, und einem judenfeindlichen «Dialogus», auf den sich noch Luther bei der Niederschrift seines Pamphlets Von den Juden und ihren Lügen berief. Oder Johannes Pfefferkorn (1469–1521), «vormals eyn jude, vnd nu eyn Christ» – ein straffällig gewordener Schochet und Geldverleiher, den seine jüdischen Glaubensbrüder um 100 Gulden «vor peinlicher Strafe» freikaufen mussten, und der sie nun, gleichsam zum Dank, mitbekehren wollte – falls nötig, mit Gewalt. Und dabei ging er so weit, die Verbrennung des «valschen Talmut» zu fordern.
Verblüffend und erschreckend ist, wie heute, 2018, in einer Zeit, in der sich die theologische Wahrnehmung des Judentums seitens des Christentums nachhaltig und positiv verschoben hat, unvermutet wieder die alten schlimmen Muster in Erscheinung treten – und die Bitte, «den Verleumdern keine Hoffnung» zu gewähren, erneut und immer wieder an unerfreulicher Aktualität gewinnt.
Der Autor ist Regisseur und Übersetzer.