Frau Kroll, Herr Baadany, Sie sind beide bei der Kampagne »MeToo – UnlessURAJew« engagiert, die sich gegen geschlechtsspezifische Gewalt und Terror gegen Jüdinnen ausspricht. Nach 57 Tagen hat die UN Women ein Statement zum 7. Oktober veröffentlicht. 57 Tage – wie fühlt sich diese Zahl an?
Liron Kroll: Ich hatte gemischte Gefühle: Anfangs war ich sogar ein bisschen glücklich, weil sich wenigstens etwas bewegt. Die Arbeit, die wir und andere Leute machen, die sich zu den Verbrechen des 7. Oktober äußern, scheint jemanden erreicht zu haben. Die UN Women haben offenbar erkannt, dass sie sich dazu äußern sollten. Aber: Das ist nicht genug. Ihre Formulierung ist sehr vorsichtig, und wir brauchen in dieser Phase mehr. Die Reaktionen in den sozialen Medien lautete »zu wenig, zu spät«. Genau das trifft es. Wir hätten zu diesem Zeitpunkt mehr gebraucht.
Elad Baadany: Unsere Arbeit zeigt Wirkung. Aber auch ich hatte gemischte Gefühle. Denn: Es ist nicht genug. Wir erwarten, dass mehr passiert, dass wir mehr gehört werden, dass mehr Menschen handeln. Der Hashtag MeTooUnlessURAJew ist in der Welt, wird wahrgenommen und führt hoffentlich dazu, dass sich die Dinge ändern. Denn wie wir in der Kampagne sagen: Es ist unverzeihlich.
Hat sich denn von den UN Women jemand bei Ihnen gemeldet?
Kroll: Nicht, dass ich wüsste. Am vergangenen Sonntag haben wir unseren Film über den 7. Oktober am Ausgang des UN-Gebäudes in New York gezeigt. Wir waren nicht zu übersehen.
Ebenfalls am Sonntag gab es eine Kundgebung in London.
Kroll: Ja, mit wunderbaren Rednern, und einer von ihnen sagte, wir brauchen euch nicht mehr, um uns auf euren Dachböden zu verstecken. Damit bezog er sich auf den Holocaust. Dieser Tage sehen viele Einrichtungen wie die UN Women eine andere Art jüdische Bewegung, die sich eine Unausgewogenheit nicht mehr gefallen lässt und dafür kämpft, dass jüdische Frauen als Frauen wie alle anderen Frauen betrachtet werden. Wir nehmen das nicht mehr hin.
Frauen in Israel und jüdische Frauen weltweit haben sich in der Vergangenheit für andere starkgemacht. Warum stehen nun diese Frauen nicht für Jüdinnen ein?
Kroll: Ich glaube, dass es an Bildung mangelt und die Leute einfach kein Wissen haben. Offenbar ist der große Teil der Bevölkerung einfach auf dieses Narrativ und dieses Thema einseitig fixiert.
Baadany: Ganz ehrlich: Ich weiß es nicht. Ich weiß nicht, warum israelischen Frauen nicht zugehört wird. Vielleicht ist es ein Mangel an Wissen, was den Frauen am 7. Oktober geschehen ist. Die Berichte sind schrecklich, und je mehr Zeit vergeht, desto schlimmere Details kommen ans Tageslicht.
Kroll: Ein bisschen hat das Unwissen möglicherweise auch damit zu tun, dass es eine Art Auflage der Armee gibt, die schlimmsten Berichte – aufgrund des Opferschutzes – nicht zu publizieren. Das ist natürlich wichtig, trägt aber auch dazu bei, dass nicht das ganze Ausmaß bekannt wird und die Menschen im schlimmsten Fall nicht glauben, was wirklich geschehen ist. Ich stelle mir davon abgesehen ganz generell die Frage, warum wir als Israelis nicht gleich behandelt werden.
Baadany: Es ist wirklich auffallend einseitig, um es einmal so auszudrücken.
Einige Mitglieder der UN Women, ohne alle über einen Kamm scheren zu wollen, sind nicht gerade für ihre profeministische und, man muss es auch benennen, pro-israelische Haltung bekannt.
Kroll: Und es ist eine Schande, dass sie nicht darüber hinwegsehen können und den menschlichen Aspekt erkennen. Sie können sich, wenn es um den 7. Oktober geht, nicht über ihre politischen Ansichten hinwegheben. Deswegen ist es an uns, die Stimme für die Frauen zu sein, die gerade nirgendwo eine Stimme haben. Es geht ja nicht nur um die UN Women, es geht auch um andere Frauenrechtsorganisationen. Niemand hat etwas gesagt.
Frau Kroll, Sie haben vorhin schon das vorsichtige Formulieren im Statement der UN Women erwähnt: »Wir sind alarmiert« …
Kroll: … oder die Formulierung »auf beiden Seiten«. Auch diesen Ausdruck hat ein Redner bei der Veranstaltung am Sonntag in London erläutert. Es gab eben keine sexuelle Gewalt auf beiden Seiten. Es gab sie einfach nicht. Wissen Sie, jeder von uns kennt jemanden, der vom 7. Oktober betroffen war. Ich habe eine Freundin, die das Nova-Festival überlebt hat. Ihre beste Freundin wurde dort ermordet. Es ist einfach etwas sehr Persönliches.
Baadany: Israel ist ein kleines Land, und es fühlt sich an, als wären wir alle eine Familie. Junge Leute wollten auf dem Nova-Festival einfach nur glücklich sein. Und dann passierte so etwas Grausames. Alle trauern, alle stehen unter Schock.
Was wäre denn Ihre Botschaft an Frauenorganisationen oder die UN Women?
Kroll: Dass jüdisches Leben wichtig ist. Und dass wir nicht übergangen werden dürfen.
Baadany: Es ist übrigens eine Schande, dass wir im Jahr 2023 dazu überhaupt noch etwas sagen müssen. Es macht mich einfach wütend. Menschenleben sind doch wichtig! Dass alle schweigen, das ist verrückt!
Die Schauspielerin Gal Gadot hat am Sonntag auf ihrem Instagram-Account Position bezogen. Was bedeutet Ihnen das?
Kroll: Der Post von Gal Gadot ist richtig gut. Sie ist absolut mutig und vertritt Israel auf so wunderbare Weise. Ich bin mir sicher, dass es nicht leicht für sie ist, diese Fackel in L.A. hochzuhalten. Ihre Worte bedeuten uns allen so viel. Es ist eine sehr starke und ermutigende Botschaft, dass wir uns zusammenschließen, um diese Ungerechtigkeit zu bekämpfen. Viele berühmte Menschen haben sich an unserer Kampagne beteiligt, von Schauspielern und Popsängern bis hin zu Wirtschaftsvertretern. Frauen aus der Industrie. Und: Wir heißen auch jüdische, nichtjüdische und arabisch-israelische Frauen in unserer Kampagne willkommen.
Mit den Mitgliedern der Kampagne sprach Katrin Richter. Weitere Infos unter www.instagram.com/metoounlessurajew
Bei der Kampagne wirken auch Danielle Ofek, Adi Arad, Roy Cohen und Nataly Livski mit.