Jubiläum

»Dem Jüdischen öffentliche Präsenz geben«

Rachel Salamander über 30 Jahre Literaturhandlung

von Philipp Peyman Engel  16.10.2012 14:11 Uhr

»Wir haben Pionierarbeit geleistet«: Rachel Salamander Foto: Christian Rudnik

Rachel Salamander über 30 Jahre Literaturhandlung

von Philipp Peyman Engel  16.10.2012 14:11 Uhr

Frau Salamander, Ihre Literaturhandlung feiert dieser Tage ihr 30-jähriges Bestehen. Was war Ihr Motiv bei der Gründung?
Die »Zweite Generation«, der ich angehöre, kam nach der Vernichtung des europäischen Judentums. Das bedeutete, dass wir ohne alles aufgewachsen sind. Alles fehlte, was eine jüdische Praxis ausmachte. Die Abwesenheit von Menschen und ihren Traditionen prägte unser Leben. Diese Leere forderte mich heraus. Ich wollte zumindest das rekonstruieren, was sich in Schrift und Wort jüdischer Geisteswelt erhalten hatte. Ich trug das an Büchern zusammen, was von jüdischer Geschichte und Kultur Zeugnis ablegen konnte. Damit ließen sich die vertriebenen, verbrannten und ermordeten Dichter wenigstens mit ihren Schriften wieder einbürgern.

Sie pflegen nicht nur Vergangenheit, sondern laden regelmäßig auch jüdische Autoren der Gegenwart ein.
Das war mir von Anfang an wichtig, gehörte zum Konzept. Ich denke da an den Philosophen Hans Jonas, an die Historiker George Mosse und Saul Friedländer, an Lea Rabin, Elie Wiesel, Henry Kissinger, die Vorträge hielten. Es waren unvergessliche Abende! Andererseits wollte ich aber auch die israelische Literatur in Deutschland bekannt machen. Sie waren alle immer wieder da: Amos Oz, David Grossman, Batya Gur, A. B. Jehoschua, Lizzie Doron, Meir und Zeruya Shalev. Die Reihe ließe sich noch lange fortführen.

Welche Rolle spielten die jungen deutschen und österreichischen jüdischen Autoren, die Anfang der 80er-Jahre zeitgleich mit Gründung der Literaturhandlung in der Öffentlichkeit auftauchten und sich zu Wort meldeten?
Auch sie sollten in der Literaturhandlung entdeckt werden können: Ich denke an Robert Schindel, Barbara Honigmann, Maxim Biller, Peter Stephan Jungk, Doron Rabinovici, Dan Diner, Henryk Broder, Michael Wolffsohn, Julius Schoeps und viele, viele andere. Alle zusammen haben geholfen, dem Jüdischen öffentliche Präsenz zu geben.

Hat sich die jüdische Literatur in Deutschland seit 1982 geändert?
Ja. Es gibt mit wenigen Ausnahmen, wie etwa Edgar Hilsenrath, die ältere Schriftstellergeneration nicht mehr. Man denke nur an Jurek Becker, Grete Weil, Gerty Spies oder Schalom Ben-Chorin, die am Anfang der Literaturhandlung standen. In ihnen schrieb noch das einstige deutsche Judentum mit. Die nach dem Krieg Geborenen arbeiteten sich dann hauptsächlich an der Vergangenheitsbewältigung und ihren deutsch-jüdischen Krankheiten ab. Ich hatte gedacht, dass sie, die mit mir in den 80er-Jahren die Stimme erhoben, einen intellektuellen Boden für die nächsten Generationen bereiten würden.

Ein Irrtum?
Ich sehe im Moment keine nachwachsende jüdische Literatengeneration. Vereinzelte der Eingewanderten aus der ehemaligen Sowjetunion – Lena Gorelik oder jüngst Olga Grjasnowa – tauchen im Literaturbetrieb auf. Aber sie bringen eine ganz andere Geschichte mit, gehören einem anderen Gedächtnisraum an. Sie haben mit der Geschichte, an der wir uns abgearbeitet haben, nichts zu tun. Sie sind eher in die Migrantenliteratur einzuordnen, die mit fremdem Blick von außen auf uns schaut.

Was hat sich in der deutsch-jüdischen Literaturlandschaft noch geändert in diesen drei Jahrzehnten?
Heute vergeht kein Tag, an dem Jüdisches nicht in den Medien abgehandelt wird, und die Verlage haben im Laufe der letzten drei Jahrzehnte unser Label »Literatur zum Judentum« auch zu einer ihrer Sparten gemacht. Die Begegnung mit jüdischen Schriftstellern gehört heute zum Alltag. Die Schüler zum Beispiel gehen mittlerweile ganz selbstverständlich in die »jüdische Buchhandlung«, so, als hätte es sie schon immer gegeben. Die Pionierarbeit der Literaturhandlung ist Modell geworden. Daran war vor 30 Jahren nicht im Geringsten zu denken.

Wie war es damals?
Als ich 1982 die Literaturhandlung eröffnete, war das Thema Judentum nicht »in«. Viele Menschen, die zu mir kamen, hatten vorher noch keinen Juden leibhaftig gesehen. Das Thema selbst steckte tief in der Befangenheit der sogenannten Vergangenheitsbewältigung, und die Menschen brachten kaum das Wort »Jude« über die Lippen.

Mittlerweile gibt es bundesweit sieben Literaturhandlungen und einen Online-Shop. Hätten Sie mit einem solchen Erfolg gerechnet?
Ehrlich gesagt habe ich mit nichts gerechnet, mir davor gar nicht so genau ausgemalt, was mich erwartete. Wahrscheinlich würden viele Ideen nicht verwirklicht, wüsste man im Vorhinein, was auf einen zukommt. Ich habe viel Einsatz und Lebenszeit in die Literaturhandlung investiert. Von und mit den Menschen, die zu uns kamen, selbst viel gelernt. Ich habe mich der Verantwortung gestellt, Jüdisches zu repräsentieren, und versucht, das bestmögliche Niveau zu erreichen.

Was wünschen Sie sich für die nächsten 30 Jahre?
Mein Dienst am Judentum hat mir ein erfülltes Leben beschert. Die Begegnungen mit Autorinnen und Autoren aus der ganzen Welt haben mich gezwungen, mich intellektuell stets auf dem Laufenden zu halten. Viele Freundschaften sind entstanden, die ich nicht missen möchte. Die Menschen merken, ob man es ernst meint und hinter einer Sache steht. Mehr kann man sich nicht wünschen.

Mit der Gründerin der Literaturhandlung Berlin/München sprach Philipp Peyman Engel.

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