Die kritische Debatte ist ein integraler Bestandteil des israelischen Geisteslebens. Sitzen zwei israelische Wissenschaftler in einem Raum, finden sie in Windeseile ein Thema, über das sie sich stundenlang die Köpfe heiß reden können. Nun sind zwar nicht alle der knapp 70 Autoren, die das im Verlag De Gruyter erschienene Handbook of Israel: Major Debates versammelt, Israelis.
Die Kontroverse ist aber dennoch der rote Faden des Buches. Es geht schließlich um Israel, diesen kleinen Flächenstaat im Nahen Osten mit seinen rund acht Millionen Einwohnern, der wie kein zweites Land das mediale und politische Interesse auf sich zieht.
kompendium Unzählige Bücher befassen sich mit dem jüdischen Staat, seiner Genese, seiner inneren Verfasstheit und natürlich dem Dauerbrenner: dem israelisch-palästinensischen Konflikt. Bedurfte es da wirklich eines weiteren Werkes zum Thema? Allerdings! Die thematische Ausführlichkeit und der Charakter einer Debattenschrift, die dem Leser nicht einseitige Antworten liefern, sondern verschiedene Perspektiven aufzeigen will, machen das Handbook zu etwas ganz Besonderem.
Zwei Bände, insgesamt 1304 Seiten: Im Handbook of Israel ist geballtes Wissen zusammengetragen. Das Kompendium ist angetreten, dem Leser die wichtigsten Kontroversen zur Entstehung, Entwicklung und Gegenwart des Staates Israel zu vermitteln. Die auf Englisch geschriebene Publikation vereint international renommierte Autoren.
Neben Politikwissenschaftlern haben Soziologen und Historiker Artikel beigesteuert, unter ihnen Israel-Experten wie der Historiker Moshe Zimmermann und der Antisemitismusforscher Robert S. Wistrich. In Aufsätzen nehmen sie Stellung zu Fragen des Zionismus und Post-Zionismus, zum Verhältnis von Staat und Religion und zur Beziehung zwischen dem Staat Israel und der jüdischen Diaspora.
Auch Aspekte wie ethno-kulturelle Identitäten, Geschlechterverhältnisse und die Rolle des Militärs in der Zivilgesellschaft werden diskutiert. Mit diesen Themen geht die Diskussion im Handbook über den spezifisch israelischen Kontext hinaus und in einen allgemeineren über; sind dies doch Fragen, die in vielen demokratisch-westlichen Gesellschaften von Bedeutung sind.
Sichtweisen Jedes der insgesamt 13 Kapitel ist nach dem gleichen Schema aufgebaut: Nach einer kurzen thematischen Einführung kommen in vier bis sieben Beiträgen verschiedene Sichtweisen auf den jeweiligen Gegenstand zur Sprache. Der Leser wird mit profunden Informationen versorgt. Gleichzeitig wird er zum Mitdenken angeregt und kann sich seine eigene Meinung bilden. Das Buch ist also trotz seines wissenschaftlichen Anspruchs keineswegs nur für Geistes- und Sozialwissenschaftler gedacht. Es richtet sich neben einem akademischen Publikum auch an Politiker, Journalisten und allgemein an alle, die sich über die israelische Gesellschaft und Politik informieren möchten.
Der erfrischend pluralistische Ansatz des Handbook wird insbesondere im letzten Kapitel deutlich, in dem es um den israelisch-palästinensischen Dauerkonflikt geht. Zu Wort kommen Wissenschaftler aus beiden Lagern, die in ihren Beiträgen die Komplexität der Konfliktsituation verdeutlichen und ihre Positionen fernab von Schwarz-Weiß-Malerei darlegen.
Die vier Herausgeber – Historiker, Politologen und Soziologen aus Tel Aviv, Potsdam und Berlin – haben selbst Beiträge geschrieben, verstehen ihre Funktion aber eher als inhaltlich begleitend. »Es ist unser Anliegen, verschiedene analytische Sichtweisen aufzuzeigen und auf diesem Weg zu einem grundsätzlich besseren Verständnis der israelischen Geschichte und Gegenwart beizutragen«, erklärt Olaf Glöckner, Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Moses Mendelssohn Zentrum für europäisch-jüdische Studien in Potsdam und einer der Herausgeber. Das ist ihnen gelungen. Das Handbook of Israel ist ein aktuelles Standardwerk mit dem Potenzial, die Debatten über den jüdischen Staat zu qualifizieren und neue Sichtweisen auf das Land und seine Gesellschaft aufzuzeigen.
Ben-Rafael Eliezer, Julius H. Schoeps, Yitzhak Sternberg und Olaf Glöckner (Hrsg.): »Handbook of Israel: Major Debates«. De Gruyter, Berlin 2016, 1304 S., 159,95 €