In zwei Monaten ist es soweit: Am Sonntag, dem 23. August eröffnet das Jüdische Museum Berlin nach über zweieinhalbjährigem Umbau eine neue Dauerausstellung im Libeskind-Bau. Auf 3500 Quadratmetern zeigt sie die Geschichte der Juden in Deutschland vom Mittelalter bis in die Gegenwart mit neuen Schwerpunkten und neuer Szenografie. Das teilte das Jüdische Museum Berlin am Dienstag mit.
Die Ausstellung »Jüdische Geschichte und Gegenwart in Deutschland« wird von einem 20-köpfigen Team konzipiert. Die vorherige Dauerausstellung war seit Eröffnung des Museums im Jahr 2001 zu sehen. Bis zur Schließung im Dezember 2017 hatte sie über elf Millionen Besucher.
PERSPEKTIVE »Die Geschichte der Juden hat sich nicht geändert – aber unsere Perspektive darauf. Mit unserer neuen Ausstellung reagieren wir auf veränderte Sehgewohnheiten, Besuchererwartungen und auf einen neuen Forschungsstand«, sagt Hetty Berg, Direktorin des Jüdischen Museums Berlin.
Und Cilly Kugelmann, leitende Kuratorin der Ausstellung, ergänzt: »Wir setzen andere Schwerpunkte als vor 20 Jahren: So rücken wir die Beziehungen von Juden zur ihrer nichtjüdischen Umwelt in den Fokus und greifen stärker Themen jüdischer Kultur und Religion auf.«
Ein Schwerpunkt liegt auf der Geschichte nach 1945. Sie reicht vom Umgang mit der Zäsur des Holocaust über den Neubeginn jüdischen Lebens in der Bundesrepublik und der DDR bis hin zur Migrationsgesellschaft im heutigen Deutschland. Wie das Museum mitteilte, lässt die Ausstellung eine Vielzahl jüdischer Stimmen zu Wort kommen, die unterschiedliche und teils widersprüchliche Sichtweisen auf die historischen Herausforderungen zeigen.
SCHABBAT Anders als zuvor soll die 1700-jährige Geschichte der Juden in Deutschland nicht streng chronologisch erzählt werden: Der Rundgang durch die neue Ausstellung wechselt zwischen historischen Epochen und Einblicken in jüdische Themen jenseits geografischer und zeitlicher Grenzen. Es geht laut Museum um Fragen wie: Was ist im Judentum heilig? Was bedeutet der Schabbat? Welchen Klang hat das Judentum?
Acht thematische Inseln laden Besucher ein, sich mit allen Sinnen in jüdische Kultur und Religion zu vertiefen. Sie können liturgischen Gesängen, Purim-Rasseln und Popmusik lauschen oder in Interviews erfahren, ob, wie und warum Juden heute den Geboten folgen. Die raumgreifende Arbeit des Künstlers Anselm Kiefer Schewirat ha-Kelim (Bruch der Gefäße) bietet eine Interpretation der Schöpfungsmythen der lurianischen Kabbala.
Das Thema Antisemitismus durchzieht alle Epochen und wird zusätzlich in einem eigenen Segment behandelt: Vier Kurzfilme greifen antisemitische Fallbeispiele der Gegenwart auf, die aus unterschiedlichen Perspektiven von Historikern und Sozialwissenschaftlern eingeordnet werden.
GEGENWART Mehr Gegenwart zeigt die Ausstellung nicht nur in der ausführlichen Darstellung der Zeit nach 1945, sondern auch durch zeitgenössische Deutungen historischer Phänomene. So wird die jüdische Rezeption Richard Wagners durch Kommentare zur heutigen Aufführungspraxis vom Generalmusikdirektor der Berliner Staatsoper, Daniel Barenboim, und dem Intendanten der Komischen Oper Berlin, Barrie Kosky, beleuchtet. Die Themenräume Tora oder Gebot und Gebet beschäftigen sich mit Überlieferung und religiöser Praxis heute.
Die israelischen Künstler Victoria Hanna, Hagit Hollander und Gilad Ratman interpretieren mit ihren Arbeiten unterschiedliche Aspekte jüdischer Tradition. Ratmans Video-Installation Drummerrsss wurde eigens für die Ausstellung produziert und bildet den Auftakt zum Rundgang. Dieser endet mit der Video-Installation Mesubin (Die Versammelten), einem Schlusschor, der die Vielstimmigkeit jüdischer Gegenwart in Deutschland zum Ausdruck bringen soll.
FAMILIENALBUM Von den mehr als 1000 ausgestellten Objekten stammen knapp 70 Prozent aus dem eigenen Bestand. Die interaktive Medieninstallation Familienalbum präsentiert das Herzstück der Sammlung: das historische Vermächtnis deutscher Juden aus aller Welt, das in den vergangenen 20 Jahren zusammengetragen wurde. Besucher können sich in über 500 Dokumente und Fotos, Alltagsgegenstände und Kunstwerke aus den Nachlässen von zehn Familien vertiefen und den Lebenswegen mehrerer Generationen nachspüren.
Neben Originalobjekten ist ab dem 23. August eine Vielfalt an audiovisuellen Medien, Kunst-Installationen, interaktiven Spielen und Hands-on-Stationen zu sehen. Die App des JMB bietet Audios, Informationen, Spiele und kurze Filme auf Deutsch und Englisch (demnächst, wurde angekündigt) auch auf Hebräisch, Italienisch, Französisch und Spanisch) – darunter Interviews mit Daniel Libeskind, Künstlern, Stiftern, Zeitzeugen und Kuratoren des Jüdischen Museums Berlin. ag