Frau Adelman, Sie leben in Jerusalem und zeigen Ihre Fotos erstmals außerhalb Israels. Worum geht es in den Bildern?
Das große Thema ist: Stigmata. Daher fiel meine Wahl auch auf Schwarz-Weiß-Fotos. Religiöse und Nichtreligiöse betrachten einander mit denselben Vorurteilen. Diese Trennlinie wollte ich aufbrechen.
Auf acht Porträts haben Sie jeweils vier säkulare Frauen fotografiert – einmal bedeckt, einmal unbedeckt. Weshalb?
Ich wollte zeigen: Es ist dieselbe Frau. Zugleich wollte ich dem Betrachter eine Frage mitgeben: Religiös oder nicht religiös – können wir nicht zwei Identitäten haben? Sind wir wirklich so verschieden?
Wieso ist Ihnen diese Frage so wichtig?
Weil ich fühle, dass ich selbst zwei Identitäten habe. Ich bin säkular aufgewachsen und wurde im Alter von 28 Jahren religiös. Indem ich mich dem Thema künstlerisch näherte, wollte ich auch etwas über mich selbst herausfinden. Ich wollte wissen, ob und auf welche Weise ich mich verändert habe. Wie sehr unterscheide ich mich jeweils von den religiösen und säkularen Frauen auf den Fotos?
Was haben Sie herausgefunden?
Je mehr ich mit den Frauen gearbeitet habe, umso klarer wurde mir: Es gibt keinen Unterschied – in den Menschen selbst, in der Art und Weise, wie wir denken und fühlen. Viele der Porträtierten sind meine Freundinnen, sowohl religiöse und säkulare. Ich sehe sie alle – und auch mich selbst – über die Grenzen, das Trennende hinaus.
Welche Fragen haben Sie sich selbst damals mit Ende 20 gestellt?
Werde ich dieselbe Frau sein? Werde ich weiter meine Kunst machen können? Ich denke, diese Fotos hier sind die Antwort. Es ist in Ordnung, zwei Identitäten zu haben.
Wie gehen Sie mit den Widersprüchen um, die die unterschiedlichen Identitäten mit sich bringen?
Ich kann beide Seiten verstehen. Und ich versuche, offen zu bleiben für beide Richtungen, einerseits indem ich mich daran erinnere, wie ich mich früher gefühlt habe, und mich andererseits damit auseinandersetze, wie ich jetzt über Dinge denke. Man kann schnell ins Argumentieren verfallen, doch man muss versuchen, auch den anderen zu verstehen. Das ist nicht leicht. Dafür braucht man Geduld – für andere und auch für sich selbst.
Das ist eine sehr persönliche Ebene. Was wollten Sie darüber hinaus mithilfe der Fotos vermitteln?
Die Frauen auf den Fotos sind zwischen 30 und 50 – nicht mehr ganz jung also, keine Bilderbuch-Schönheiten, alle sind Mütter. Es geht hier auch um eine feministische Botschaft. Denn der männliche Blick reduziert Frauen oft auf Äußerlichkeiten. Wenn Frauen älter werden, sind sie in den Augen männlicher Betrachter oft weniger wert. Ich will die Frau zeigen, nicht den Körper. Ich will zeigen, je älter eine Frau ist, desto mehr Erfahrungen hat sie, desto klüger – und schöner – ist sie.
Haben die religiösen Frauen sich Ihnen anders geöffnet, weil Sie selbst eine Frau sind?
Auf jeden Fall. Wir konnten uns in die Augen sehen. Wir waren gewissermaßen unter uns. Unter Frauen gibt es eine größere Sensibilität, ein größeres Verständnis füreinander. Der männliche – säkulare – Blick ist immer distanziert. Religiöse Männer schauen Frauen überhaupt nicht an. Das weibliche Auge sieht anders. Darin sehe ich meine Aufgabe. Ich bin eine Mittlerin zwischen den Welten.
Welche Reaktionen erfahren Sie als orthodoxe Künstlerin in einem säkularen Umfeld?
Ich habe Kunsttherapie gelernt. In der Klasse war ich die einzige Religiöse. Einmal bekamen wir die Aufgabe, Leute zu porträtieren. Ich fotografierte religiöse Frauen. Eyal, mein säkularer Lehrer, sagte damals zu mir, religiöse Frauen nehme er immer als verschlossen, armselig und nachlässig gekleidet wahr. Meine Fotos jedoch zeigten sie so, wie sie waren: warme, kluge, ruhige Frauen. In jeder sehe ich, was ihre Persönlichkeit ausmacht. Das hole ich mit der Kamera hervor.
Mit der Künstlerin sprach Katharina Schmidt-Hirschfelder.
Die Porträtreihe von Sigal Adelman ist noch bis zum 2. Juli in der Ausstellung »Cherchez la Femme« im Jüdischen Museum Berlin zu sehen.
www.sigaladelman.com