Hamas-Opfer

Das Tor zur Hölle

Kühlcontainer für die Terroropfer: Auf der Militärbasis in Ramla bei Tel Aviv werden die Ermordeten des 7. Oktober identifiziert. Foto: ddk

Dieser Text enthält verstörende Gewaltschilderungen. Bitte beachten Sie dies vor der Lektüre und gegenüber Minderjährigen.

Auch mehr als drei Wochen nach dem »Schwarzen Schabbat« sind noch immer nicht alle Opfer identifiziert. In vielen Fällen ist unklar, welches Schicksal der Sohn erlitten hat oder wo die Mutter verblieben ist. Viele fragen, warum immer noch nicht alle Familien eindeutige Antworten auf die dringendsten Fragen erhalten haben, warum sich die Zahl der Toten, Vermissten und Entführten noch immer ändert.

Die Männer und Frauen der Militärbasis Shura in Ramla bei Tel Aviv versuchen seit dem 7. Oktober, Antworten zu geben. Sie arbeiten rund um die Uhr in drei Schichten, auch am Schabbat. Dennoch müssen sie sich eingestehen, dass vieles derzeit noch im Ungewissen ist, womöglich lange bleiben wird. Auf der Militärbasis ist eine mobile Leichenhalle eingerichtet.

Zahlreiche Zelte wurden aufgestellt, in 20 Kühlcontainern werden Körper und Körperteile aufbewahrt. Polizeioffizier Gilad Bahat ist hier tätig. Ein stattlicher Mann, den nichts so schnell umhauen kann. Mehr als 27 Jahre ist er im Polizeidienst, war schon an so manchem Ort von Terroranschlägen und anderen Gewalttaten.

GRAUSAMKEITEN »Wir nennen diesen Ort das ›Tor zur Hölle‹«, sagt er. Seit dem blutigen Massaker der Hamas sind hier mehr als 1000 Körper angeliefert worden. »Wir bekommen immer noch weitere Körper, Tag für Tag, auch Körperteile: Arme, Beine, Schädel.« Er sah Dinge, von denen er nie dachte, sie jemals im Leben sehen zu müssen, sagt Bahat. »Wir sahen Menschen, denen der Kopf abgetrennt wurde, nachdem man sie erschossen hat.

Einigen wurde die Kehle durchgeschnitten, viele Frauen wurden missbraucht.« Dem Polizeioffizier fällt das Sprechen sichtlich schwer. Doch er will die Grausamkeiten schildern: »Damit die Welt erfährt, mit welchem Feind wir es hier zu tun haben.« Die Identifizierung erfolge so schnell, aber auch so sorgfältig wie möglich, so Bahat. »Denn wir wollen nicht, dass Familien jemanden beerdigen, der nicht ihr Angehöriger ist.«

»Ich dachte, ich hätte schon alles gesehen. Aber seit dem 7. Oktober kann ich nicht mehr schlafen.«

Polizeioffizier Gilad Bahat

»Die Menschen, die hier arbeiten, sehen schreckliche Dinge. Aber sie sehen auch Familien, die ihre Liebsten beerdigen wollen.« Der Polizeioffizier ist sicher, dass es Jahre dauern wird, zu verstehen, was man hier erlebt. »Ich dachte, ich hätte schon alles gesehen. Aber seit dem 7. Oktober kann ich nicht mehr schlafen. Ich wache mitten in der Nacht auf und sehe die Opfer. Es ist schrecklich.«

Der Prozess der Identifizierung ist auf drei Orte in Israel verteilt. Nahe dem Flughafen ist das Familienzentrum eingerichtet, in dem die Verwandten Informationen abgeben können. Sie stellen DNA-Proben, besondere Kennzeichen und Bilder zur Identitätsfeststellung zur Verfügung. Die endgültige Arbeit leisten die Experten im Nationalen Zentrum für forensische Medizin Abu Kabir in Tel Aviv.

Die Opfer des Massakers werden zunächst zur Militärbasis Shura gebracht. Immer noch kommen Lastwagen, bringen Körper, die in den Weiten der Siedlungen oder der sie umgebenden Felder und Straßen jetzt erst entdeckt werden. In den größeren Leichensäcken sind Erwachsene, dazwischen liegen immer wieder kleine Säcke mit Babys und Kleinkindern.

In einem Container befinden sich die einzelnen Körperteile, die an den Orten des Terrors geborgen wurden: in den Kibbuzim Nachal Oz, Kfar Aza und Be’eri, am Ort des Festivals in Re’im und in Sderot oder anderen Städten und Ortschaften.

MINZCREME »Hier in Shura kommen die Opfer an, werden katalogisiert, dann zur Identifizierung der Polizei übergeben, anschließend wieder eingelagert, um sie so schnell wie möglich zur Beisetzung freizugegeben«, erläutert Nitzan Shahar vom Innenministerium. Shahar hält in der Hand eine kleine Dose Minzcreme, mit der er versucht, den Geruch zu überdecken, der aus den Containern dringt.

»Du möchtest niemanden hier haben, den du kennst.«

Forensikerin Michal Levin Eldad

Michal Levin-Elad erzählt von dem Moment, als sie erfuhr, dass einer ihrer Kollegen getötet worden sei. »Du möchtest niemanden hier haben, den du kennst. Als sein Körper eintraf, haben wir alle weggeschickt«, berichtet die Leiterin der Forensik-Abteilung der israelischen Polizei. »Aber ich wollte ihn sehen, da ich wusste, dass seine Familie unbedingt wissen wollte, in welchem Zustand sein Körper war. Wir waren wirklich ängstlich. Aber dann sahen wir, dass er einer der ›Glücklichen‹ war, die nur erschossen wurden.«

ASCHE Ilanit Engel ist Zahnärztin und Volontärin in der forensischen Abteilung der Polizei. Sie hilft mit ihrer Kenntnis bei der Identifizierung. Unter anderem, als in der vergangenen Woche eine kleine Plastikbox mit Asche angeliefert wurde. »Vom Opfer ist nichts geblieben als diese Asche und ein paar Knochenreste.« Sie konnte zudem noch Zahnimplantate und zwei Kronen ermitteln. Mit einem DNA-Abgleich wurde festgestellt, dass es sich um eine 70-Jährige handelte, die lebendig in ihrem Schutzraum verbrannt wurde. »Ihr Sohn hat überall nach ihr gesucht. Jetzt hat er Gewissheit.«

An der Seite steht Chaim Weissberg, Reservist des Militärrabbinats. Er beobachtet die Gruppe internationaler Journalisten, die das Geschehen festhalten. Ob es seiner Meinung nach richtig ist, dass Bilder gemacht und Berichte veröffentlicht werden? »Israel ist derzeit im Krieg. Es gibt die private Ehre der Verstorbenen und die Ehre der Nation. Die Familien der Ermordeten würden wollen, dass die ganze Welt diese Szene sieht. Weil die Menschen es sonst nicht glauben.« Insofern sei dies auch im Sinne der Halacha. Selbstverständlich schreibe das jüdische Religionsgesetz vor, die Opfer so bald als möglich zu beerdigen. Doch solange sie noch nicht identifiziert seien, könne dies auch noch nicht geschehen.

Er sei selbst Familienvater. Und er arbeite ohne Pause daran, dass die Familien der Opfer endgültige Gewissheit über das Schicksal ihrer Angehörigen erhalten. »Und die müssen sie nicht mit 99, sondern mit 100 Prozent Sicherheit erhalten.« Es sei ein tiefer Schmerz, der sie bei ihrer Arbeit begleitet, sagt Weissberg. »Wir weinen viel. Wir arbeiten und weinen, damit die Familien so schnell wie möglich ihre Liebsten beerdigen können.«

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