Herr Moreh, Ihre Dokumentation »The Gatekeepers« wurde für den Oscar nominiert. In dem Film erzählen sechs frühere Chefs des israelischen Geheimdienstes Schin Bet über ihre Arbeit. Warum haben Sie nun noch ein Buch darüber geschrieben?
Für den Film habe ich sehr lange Interviews mit den Chefs gemacht: Manche haben sechs bis acht Stunden gedauert. Und der Film hat nur eine Länge von 90 Minuten. So hatte ich eine Menge Stoff, den ich für den Film nicht verwenden konnte, aber nun im Buch aufgreife.
Worum ging es in den Gesprächen?
Die Männer äußerten sich zu Folterungen, sprachen über gezielte Tötungen, Bombenangriffe, ihre Arbeit, Erlebnisse und Gedanken. Ich habe auch außergewöhnliche Geschichten festgehalten, die James-Bond-Geschichten, wie ich sie nenne.
Worin unterscheiden sich Film und Buch?
In der Tiefe. Im Buch habe ich die Möglichkeit, mehr auf die Persönlichkeiten und Biografien einzugehen. Beispielsweise konnte ich so das Leben von Avraham Schalom Revue passieren lassen, der 1928 in Wien geboren wurde, die Schoa miterlebte und später Chef des Geheimdienstes wurde. Er ist mittlerweile leider gestorben. Ich mochte ihn sehr.
Erinnern Sie sich noch an die ersten Reaktionen vor drei Jahren auf den Film?
Wie kann ich sie vergessen? Weil der Film 2013 für den Oscar nominiert war, ging das Thema um die Welt. Viele Menschen waren geschockt und änderten ihren Blickwinkel. Für mich als Filmemacher ist es gut. Einige Leute hassen mich für den Streifen, andere lieben mich dafür. Das ist in Ordnung.
Fühlen Sie sich noch wohl in Israel?
Es ist schwer, sich derzeit dort wohlzufühlen. Die politische Atmosphäre ist seit der letzten Wahl beängstigend.
Welche Aussage der ehemaligen Geheimdienstchefs hat Sie am meisten beeindruckt?
Es sind zwei. Eine Aussage stammt von Avraham Schalom, dass Israel über keine Strategie, sondern nur über Taktik verfüge. Die andere Aussage beendet den Film: »Wir können jeden Kampf gewinnen, aber nicht den Krieg.«
Haben Sie noch Kontakt zu einem der Interviewten?
Mit einigen mehr, mit anderen weniger. Ich glaube, der Film war für sie eine schöne Sache, denn sie hatten nicht ahnen können, welchen Einfluss er haben würde. Und sie waren überrascht, dass nun überall auf der Welt über sie gesprochen wird.
Wie haben Sie es geschafft, sie zu überzeugen, mit Ihnen vor laufender Kamera zu sprechen?
Ich hatte zuvor einen Film über Ariel Scharon gemacht, bei der Arbeit daran erzählte mir einer seiner ehemaligen Mitarbeiter, dass ein Interview, das vier ehemalige Schin-Bet-Chefs vor zwölf Jahren einer israelischen Zeitung gaben, großen Einfluss auf Scharons Entscheidung hatte, den Gazastreifen zu räumen. Ein kleines Interview bewegte etwas. Da dachte ich, wenn ich alle noch lebenden Chefs zusammenbringe, könnte ich noch mehr bewegen. Es dauerte ein halbes Jahr, bis ich alle überzeugt hatte.
Wie hat sich Ihr Leben durch den Film und das Buch verändert?
Komplett. Es änderte sich durch den Erfolg. Finanziell wird alles leichter, und ich verfüge über mehr Kontakte und mehr Möglichkeiten. Die nächste Projektfinanzierung ist gesichert.
Mit dem Regisseur sprach Christine Schmitt.
Dror Moreh »The Gatekeepers«. Aus dem Inneren des israelischen Geheimdienstes. Kiepenheuer und Witsch, Köln 2015, 480 S., 22,89 Euro