Neue Bücher, Fernsehfilme, Podcasts, Zeitungsartikel - sie alle beschäftigten sich dieser Tage mit dem Münchner Olympia-Attentat vor 50 Jahren. Noch immer ist vieles unerklärlich. Wie konnte dies vor den Augen der Welt passieren und wer war für die in einer Katastrophe endende Befreiungsaktion der israelischen Geiseln am Fliegerhorst Fürstenfeldbruck verantwortlich? Warum waren die Sicherheitsbehörden so unbedarft und statteten etwa die als Ordnungsdienste eingesetzten Beamte des Bundesgrenzschutzes und der Polizeibehörden im Olympischen Dorf »ohne Schießeisen, aber mit ehrfurchterregenden Funkgeräten« aus?
Diesen und anderen Fragen geht ein 93-minütiges Doku-Drama nach. Unter dem Titel »1972 - Münchens schwarzer September ist es am 4. September auf Sky Documentaries zu sehen. Regisseur Christian Stiefenhofer hat sich mit viel Aufwand daran gemacht, aus drei Perspektiven zu rekonstruieren, was damals passiert ist - aus Sicht der Opfer, der Polizisten und der Attentäter. Dafür greift er auf Archivmaterial zurück und lässt Zeitzeugen aus Deutschland, dem Libanon, Jordanien, Israel sowie dem Westjordanland zu Wort kommen. Experten helfen beim Einordnen. Spielszenen, die dezent und nicht reißerisch gestaltet sind, ergänzen jene Lücken, wo Material fehlt.
Achterbahn Wer zuschaut, erlebt eine emotionale Achterbahnfahrt, die einen in erster Linie mitfühlen lässt mit den unschuldigen Opfern, die einer sinnlosen Gewalt ausgeliefert wurden. Begeistert waren die israelischen Athleten beim Einzug im Olympiastadion im Land der einstigen Täter gefeiert worden. Wenige Tage später kehrten elf von ihnen im Sarg in ihre Heimat zurück. Der kurz zuvor geborenen Anouk bleibt als Erinnerung an ihren Vater Andrei Spitzer nur ein kleines Waldi-Maskottchen, das er in München für das Mädchen gekauft hatte. Seine Witwe Ankie nahm es mit, als sie an den Tatort noch einmal bewusst zurückkehrte.
Die Stärke dieser Doku ist, dass sie menschliche Schicksale und politische Auseinandersetzungen in Verbindung setzt.
»Ich muss das sehen, ich muss dort sein, um es zu spüren«, begründete Spitzer ihre Entscheidung. Sie sah das Chaos in dem Zimmer, in dem die Geiseln festgehalten worden waren. Nicht einmal auf die Toilette hatten die Männer gedurft: »Wie kann ein Mensch einem anderen Menschen so etwas antun?« Und da ist der deutsche Polizist Guido Schlosser. 21 Jahre war er, als er sich freiwillig für ein nicht näher definiertes Einsatzkommando meldete. Mit weiteren 13, nicht dafür ausgebildeten Kollegen sollte er an Bord der bereitgestellten Lufthansa-Maschine auf dem Fliegerhorst Fürstenfeldbruck die dorthin mit den Geiseln ausgeflogenen Terroristen ausschalten.
Doch so weit kam es nicht. Die Polizisten verweigerten den Auftrag dieses »Himmelfahrtskommandos«. Schlosser erlebte dennoch den Horror aus nächster Nähe mit - Bilder, die bleiben: »Die haben ja alle unzählige Schusswunden gehabt, die Israelis.« Wenige Tage später hätte ihn und seine Kollegen dann der Polizeipräsident »richtig zur Sau« gemacht und den Vorwurf der »Befehlsverweigerung« erhoben. Irgendwann fange man da zu grübeln an: »Warum haben wir nicht unserer Führung vertraut? Bin ich jetzt mitschuldig am Tod von den Israelis?«
Es ist wohl eine der berührendsten Szenen, wenn es zur Begegnung von Schlosser mit Spitzer in deren Haus in Tel Aviv kommt. Die Kamera ist mit dabei, als sich die beiden mit ihren Töchtern im November 2021 treffen. »Sie brauchen nicht nervös sein«, sagt sie zu ihrem Besuch. Ihr geht es darum, aus seinem Mund zu hören, was damals passiert ist. Vorwürfe macht sie ihm keine.
Die Stärke dieser Doku ist, dass sie menschliche Schicksale und politische Auseinandersetzungen in Verbindung setzt. So hatte es den Anschein, die Deutschen wollten nicht, dass der Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern weiter auf ihrem Boden ausgetragen werde. Ägypten war als Verhandlungspartner angesetzt, doch Kanzler Willy Brandt bekam Anwar as-Sadat nicht ans Telefon.
Entführung Am Ende starben elf israelische Sportler, ein deutscher Polizist und fünf Geiselnehmer. Drei der Terroristen überlebten und wurden mittels Entführung einer Lufthansa-Maschine im Oktober 1972 freigepresst und dann bei ihrer Ankunft in Libyen als »Helden« gefeiert. Die Hinterbliebenen der israelischen Geiseln sahen diese mit Abscheu.
Die privaten Geschichten der Beteiligten sind nicht loszulösen vom gesellschaftspolitischen Hintergrund.
Die Personen, die im Mittelpunkt des Films stehen, seien alle zu einer Art »Spielball der politischen Interessen ihrer jeweiligen Herkunftsländer« geworden, sagt Regisseur Stiefenhofer. Ihre privaten Geschichten seien nicht loszulösen vom gesellschaftspolitischen Hintergrund. So kommt auch Ghazi al-Husseini, ehemals führender Funktionär der palästinensischen »Fatah«-Partei zu Wort: »Wir sind Menschen, die aus ihrem Land vertrieben wurden. Als gäbe es kein palästinensisches Volk. Sie verleugnen unsere Existenz. Aber ich existiere. Ich bin ein Teil dieser Welt.«
Es gebe nun mal keine einfachen Antworten, weder auf das Drama, das sich in München abgespielt habe, noch für den Nahost-Konflikt, sagt der Regisseur. Ihm und seinem Team sei es darum gegangen, die Geschehnisse möglichst objektiv darzustellen. Dies ist ihm gelungen.