Herr Schalko, für Ihre Filmbiografie von Kafka haben Sie mit Daniel Kehlmann einen bekannten Schriftsteller gewinnen können. Wie ist diese Kooperation zustande gekommen?
Daniel Kehlmann und ich sind enge Freunde, reden fast jeden Tag miteinander. Vor etwa zehn Jahren hatte ich die fantastische Kafka-Biografie von Reiner Stach, die auch die Grundlage für die Serie bildet, gelesen und sicherte mir die Filmrechte. Davon erzählte ich Daniel während eines gemeinsamen Skiurlaubs, woraufhin er mir sofort seine Hilfe bei der Umsetzung anbot. Wir dachten damals, das würde man uns aus der Hand reißen. Wir haben allerdings zehn Jahre warten müssen, bis jemand diese Hand wollte.
Warum haben Sie das Format Serie gewählt und keinen Spielfilm?
In der Tat hat sich das Serienformat ein wenig abgenutzt. Für einen Spielfilm war das Material aber zu umfangreich. Außerdem wollten wir Kafkas reales Leben erzählen und zugleich zeigen, wie große Literatur entsteht. Das funktionierte nur im Rahmen einer Serie. Jede Folge dreht sich um ein Kernthema, also Freundschaft, Familie, Kafkas Verhältnis zum Judentum oder die wichtigsten Frauen in seinem Leben. Immer aus der Perspektive der anderen erzählt. Kafka bleibt ein Geheimnis.
Ihre Serien »Braunschlag« oder »Altes Geld« waren Produktionen des Österreichischen Rundfunks. Bei »Kafka« dagegen sind gleich neun Landesrundfunkanstalten der ARD ebenfalls mit an Bord. Kann man seinen eigenen, sehr österreichischen Stil da noch aufrechterhalten?
Mit »M – Eine Stadt sucht einen Mörder« und »Ich und die Anderen« hatte ich bereits zwei deutsch geprägte Serien verwirklicht. Und Kafka ist auch keine rein österreichische Figur, sondern eine universelle. Es geht aber auch um das jüdische intellektuelle Wiener und Prager Milieu seiner Zeit, da war uns ein gewisses Lokalkolorit schon sehr wichtig.
Einige Szenen wirken wie ein abgefilmtes Theaterstück, alles andere sind klassische filmische Erzählformen. Warum diese Mischform?
Wir wollten, dass selbst die sogenannte Realität mit Kafkas Literatur korrespondiert. Beispielsweise die Post, wo Kafkas Freund Max Brod arbeitet, ist ein Ort, an dem sich alle Angestellten bis in die Endlosigkeit spiegeln. Oder die Wohnung hat einen Grundriss, der die Psychologie der Familie widerspiegelt: Der Flur umkreist das Wohnzimmer. Die Kamera ist beinahe immer auf Augenhöhe. Auf diese Weise kann der Erzähler mit den Figuren korrespondieren.
Manchmal entsteht dabei der Eindruck, es handele sich um eine verfilmte Graphic Novel. Oder ist das falsch?
Das mag vielleicht daran liegen, dass Schauplätze der Handlung und Figuren gelegentlich der Realität entrücken und auf diese Weise surreal wirkende Sequenzen entstehen.
Franz Kafka, gespielt von Joel Basman, wirkt häufig wie ein verschrecktes, leicht verhuschtes Reh. Es dominieren die Personen aus seinem Umfeld. Was ist damit beabsichtigt?
Uns war schnell klar, dass wir nicht aus Kafkas Perspektive erzählen wollen und können. Das wäre nicht nur anmaßend gewesen. Es wäre auch falsch. Es gibt viele Blickwinkel, wie man sich Kafka annähern kann. Und aus jeder Perspektive wird ein anderer Kafka sichtbar. Der Versicherungsangestellte ist anders als der Sohn, der Freund Kafka anders als der Liebhaber. Joel Basman bringt diese komplexe Figur mit großer Würde und Bescheidenheit zum Ausdruck. Am Ende hat man das Gefühl, den echten Kafka zu sehen.
Der Antisemitismus aus Kafkas Zeit und seine ambivalente Haltung zum Zionismus kommen in der Serie ebenfalls zur Sprache. Inwieweit ist Ihnen das wichtig gewesen?
Einerseits ist diese ambivalente Haltung zum Zionismus wichtig für Kafkas Biografie. Andererseits wollten wir auch zeigen, wie er mit seinem Judentum haderte. Das kommt in seinen Sätzen »Was habe ich mit Juden gemeinsam? Ich habe kaum etwas mit mir gemeinsam« ja deutlich zum Vorschein. Und dann ist da noch dieses ganz besondere Biotop, und zwar das jüdische Bürgertum, das auf die Ostjuden herabblickt. Beispielhaft ist dies in der Folge, in der Kafkas Vater, der sich aus sehr einfachen Verhältnissen zum erfolgreichen Geschäftsmann hochgearbeitet hat, mit Yitzhak Löwy konfrontiert wird, dem Schauspieler einer traditionellen jiddischen Theatertruppe, von der Kafka zeitweilig sehr fasziniert war.
»Kafka« wurde auf der diesjährigen Berlinale präsentiert. Wie war die Resonanz?
»Kafka« wurde auf der Berlinale Series Markets einem Fachpublikum vorgestellt, und die Resonanz war erfreulicherweise sehr gut. Es ist nicht unbedingt selbstverständlich, dass solche Serien gemacht werden können. Deshalb war es wahnsinnig wichtig, dass bei »Kafka« auch die Öffentlich-Rechtlichen als Produzenten mit dabei waren.
Die Serie spielt zu einer Zeit, in der das alte Europa, allen voran die k. u. k. Monarchie, von Auflösungserscheinungen geprägt ist. Der Verfall steht ebenfalls im Mittelpunkt Ihres Romans »Bad Regina«. Sind solche Untergangsszenarien Ihr Thema?
Sie meinen, es wäre eine Art Fetisch? (lacht) Aber »Bad Regina« ist nicht nur eine Metapher des Untergangs, sondern lehnt sich ja an die reale Geschichte von Bad Gastein. Das Morbide liegt dort in der Luft. Vielleicht hat das alles auch damit zu tun, dass ich schon als Kind ein großer Fan von Geistergeschichten war.
In dem gleichnamigen Kurort Bad Regina geht die Angst um vor einem chinesischen Immobilientycoon, aber auch von einem vertriebenen, reichen Juden ist die Rede. Was bezwecken Sie damit?
Vorlage für »Bad Regina« ist, wie gesagt, der reale Ort Bad Gastein. Und es geht um die Legende, dass ein reicher alter Mann alle Häuser dort aufkauft und sie verfallen lässt, und zwar alles nur aus Rache. Es ist also keine universelle Geschichte, sondern entspricht einer Legende, die dort in Umlauf ist.
In Ihrem Roman »Schwere Knochen« und in der Serie »Altes Geld« dreht sich vieles um die österreichische Nachkriegsgesellschaft, um Korruption und die Tatsache, dass altes Geld oft auch braunes Geld ist. Inwieweit unterscheidet sich Österreich von Deutschland im Umgang mit dieser Zeit?
»Altes Geld« ist eine erzählerische Versuchsanordnung, wo es keine einzige Figur gibt, mit der man sich identifizieren will. Es gibt nur Arschlöcher, denen es egal ist, mit wem sie das Geld verdienen. Letztendlich sind sehr viele Familien in Österreich wie auch in Deutschland durch braunes Geld reich geworden. Das ist inzwischen das Alte Geld. Es geht in der Serie aber auch um sehr unwahrscheinliche Szenarien, um Fragen der Restitution, beispielsweise der Handschuh aus Menschenhaut, der dem Jüdischen Museum in Wien als Leihgabe angeboten wird. Diese bizarren Szenarien machen Dinge, die wir zu kennen glauben, auf neue Weise sichtbar und nachempfindbar. In Österreich war der Umgang immer wesentlich verschütteter, weil bis zur Waldheim-Affäre auf allen Ebenen das Selbstbild vorherrschte, man sei Opfer.
Mit dem österreichischen Autor und Regisseur sprach Ralf Balke. Am 26. und 27. März läuft die ARD-/ORF-Serie »Kafka« im Fernsehen. Online stehen die sechs Episoden aus unterschiedlichen Perspektiven bereits am 20. März in der ARD-Mediathek.