Anmerkung der Redaktion (2. August 2023):
Als dieser Text von Fabian Wolff in der Jüdischen Allgemeinen erschien, glaubte die Redaktion Wolffs Auskunft, er sei Jude. Inzwischen hat sich Wolffs Behauptung als unwahr herausgestellt.
Es war 2005 oder 2006, als ich beim nächtlichen Zappen durchs Fernsehprogramm bei CNN zufällig über die Daily Show stolperte. Natalie Portman war zu Gast, sie sprach mit Jon Stewart über ihren Aufenthalt in Berlin. Beide einigten sich darauf, dass Deutschland ihnen befremdlich bleibe: »‹cause we’re Jews!« Ich war leise überwältigt: Mit solch einer Selbstverständlichkeit machte jemand im Fernsehen Witze übers Jüdischsein!
Seitdem schaue ich die Daily Show regelmäßig im Internet. Viermal pro Woche trennt Jon Stewart dort für eine halbe Stunde auf Comedy Central Lüge von Wahrheit und macht daraus gute Comedy. In den vergangenen anderthalb Jahrzehnte wurde er so zum Inbegriff des politischen Satirikers: »The most trusted name in fake news«.
Jetzt hat Stewart angekündigt, im September als Moderator der Daily Show aufzuhören. Meine Reaktion, wie die vieler anderer, lässt sich nur als »vorgezogene Trauer« beschreiben. Ersatz ist nicht in Sicht, vor allem nicht hierzulande. Die deutschen Versuche, Stewart und seine Show zu imitieren – erst Oliver Welke mit der heute-Show, dann Jan Böhmermanns Neo-Magazin – ließen mich immer verzweifeln. Es ist nicht so, dass Jon Stewart unerreichbar wäre: nur in Deutschland geht das eben nicht, kluge beseelte scharfe alberne Comedy.
stand-up Die Daily Show beginnt wie eine echte Nachrichtensendung, mit Erdball und dramatischer Musik. Die Sendung wird vor Publikum gefilmt, das in New York bis zu acht Stunden lang für Karten ansteht. Jon Stewart sitzt an seinem Tisch und kommentiert das Tagesgeschehen, macht Gags, regt sich auf. In Einspielern oder Pseudo-Zuschaltungen tauchen die anderen Mitarbeiter der Show auf, die ebenfalls Comedians sind. Am Ende gibt es ein Interview mit einem Studiogast – Politiker, Autor oder Entertainer –, dann verabschiedet der Moderator sich mit dem »Moment of Zen«, einem kurzen, skurrilen Clip. Das Format ist so simpel wie effektiv, eigentlich eine klassische Late-Night-Show. Jon Stewart hat ja auch nicht in den Büroräumen einer Tageszeitung angefangen, sondern in den Comedy-Clubs von New York.
Stewart wurde 1962 in New York als Jonathan Stuart Leibowitz geboren und wuchs in Lawrenceville/New Jersey auf. Nach dem College und Gelegenheitsjobs begann er in den Achtzigern als Comedian aufzutreten, unter dem Namen Jon Stewart. Der Namenswechsel war keine »De-Semitisierung«: Stewart wollte sich von seinem Vater, einem Physikprofessor, distanzieren, mit dem er zerstritten war.
In den 80er-Jahren erlebten die USA einen Comedy-Boom. Quatschmacher, beißende Satiriker und weggetretene Surrea–listen: Für alle war Platz, sie alle konnten mit Comedy ihren Lebensunterhalt verdienen. In diesem Klima entwickelte Jon Stewart seine professionelle Persönlichkeit. Er war bekannt dafür, im »Comedy Cellar« einem der legendären Clubs von New York, jede Nacht um zwei Uhr der Letzte auf der Bühne zu sein. Als Stand-Up-Comedian war er kein Revolutionär der Form wie Lenny Bruce oder Richard Pryor, aber immer ein solider Beobachter, der, intellektuell ähnlich scharf wie George Carlin, wenn auch mit weniger Bösartigkeit, Politik und Medien zerlegte. Mit Gags über sein Aussehen, sein Losertum oder einfach sein Jude-Sein stand er in der Tradition von Rodney Dangerfield und dem Borscht Belt.
george w. bush Der Comedy-Boom währte nicht lange, Stewart konnte sich als einer der wenigen halten. Zwei Jahre machte er auf MTV die Jon Stewart Show, quasi als David Letterman für die Grunge-Generation. 1999 übernahm er von Craig Kilborn die Daily Show auf Comedy Central. Zu der Zeit saß noch Bill Clinton im Weißen Haus. Mit der Präsidentschaft von George W. Bush ein Jahr später und dem Siegeszug des konservativen Nachrichtenkanals Fox News als PR-Arm des Weißen Hauses fand der linksliberale Stewart sein ideales Angriffsziel und vervierfachte die Quote der Sendung, stets Politik und vor allem die Medien im Blick.
Das Gespann Bush-Cheney – der eine als gutmütiger Trottel mit fiesen Zügen, der andere eine Mischung aus dem Pinguin aus Batman und Darth Vader – und die ideologischen Prediger auf Fox News wie Bill O’Reilly und Sean Hannity machten Stewart und seinem Team an Autoren die Arbeit oft sehr, sehr leicht. Ins Visier nahm er aber in jenen Jahren auch liberale Medien: die New York Times, die im Vorlauf zum Irakkrieg für seinen Geschmack zu regierungsfromm gewesen war, ebenso das immer belangloser werdende CNN. Den Siegeszug von »Talking Heads« im Fernsehen, deren Soundbites an die Stelle des echten politischen Diskurses getreten sind, konnte die Daily Show nicht aufhalten, aber immerhin die Scherben aufkehren.
einfluss Seit damals gilt Jon Stewart vielen Europäern als Repräsentant eines »anderen Amerika«, als Anti-Bush (oder Anti-Romney oder Anti-Palin). Dabei ist er kein politisch Radikaler. Er glaubt an die USA, an die Mitte und an die Macht des Diskurses – und hat damit viel mit Obama gemein, den Stewart, allen Vorwürfen von rechts zum Trotz, nicht sanfter behandelt als Bush. Vielen gilt er auch als zu israelkritisch. Richtig ist, dass Bibi Netanjahu und seine amerikanischen Unterstützer von Stewart regelmäßig ihr Fett abkriegen. Der von dieser Seite deshalb öfter gemachte Vorwurf des »jüdischen Selbsthasses« trifft aber nicht. »I hate myself for many reasons. Being Jewish isn’t one of them«, zitiert Stewart gerne seinen Comedian-Kollegen Larry David.
Late-Night-Moderatoren haben meist nur eine Blütezeit von mehreren Jahren. Stewarts dauerte 15. In letzter Zeit hat er oft damit gehadert, plötzlich »respektiert« zu werden, vielleicht sogar Einfluss zu haben. Was er machen wird, nachdem er im Herbst seine Show abgibt – ob sie überhaupt weiter laufen wird – ist unklar. Jon Stewart hat eine ganze Generation amerikanischer Comedians geprägt, seine Show war der Beginn vieler großer Karrieren.
Die Schlacht hat er nicht gewonnen, noch nicht mal alle Kämpfe. Aber er hat nicht wenige seiner Zuschauer vor der Verzweiflung gerettet, mich eingeschlossen. Stewart hat mir gezeigt, dass es okay ist, ein jüdischer Loser zu sein, dass die Stimme ruhig kieksig werden darf, wenn man sich aufregt, dass ein entnervtes »Ech« eine völlig legitime Antwort auf alle Probleme ist – und dass man bei allem Ärger, Jiddisch gesagt, Mentsch bleiben kann. Das ist Jon Stewart: »The most trusted Mentsch in news.«