»I’m gonna stand here like a unicorn/ Out here on my own/ I got the power of a unicorn/ Don’t you ever learn?« (»Ich stehe hier wie ein Einhorn/ Auch wenn ich allein bin/ Ich habe die Kraft eines Einhorns/ Wirst du es je verstehen?«)
Nein, Sie müssen den Eurovision Song Contest nicht mögen, dieses Kitsch-Fest, das seit fast 70 Jahren den Schlager-Pop zelebriert, mal mehr im ethnischen Stil, mal mehr für die treue LGBTQ-Fanbase.
ESKAPISMUS Aber man muss seine Bedeutung anerkennen! Geboren aus dem Wunsch, dass europäische Staaten nach dem Grauen des Zweiten Weltkriegs doch bitte kooperieren mögen, war der harmlose TV-Wettbewerb Balsam auf der kontinentgroßen Wunde. Bis heute ist er Eskapismus erster Güte und mit mehr als 180 Millionen Zuschauern das weltgrößte Live-Musikevent.
Hier wurden Ausnahme-Karrieren angestoßen wie die von Abba, Céline Dion und Julio Iglesias, und bald auch gute Geschäfte gemacht. Aber darum soll es nicht gehen, sondern um den Auftritt eines kleinen Landes, für das der ESC seit jeher eine wichtige internationale Bühne ist: Israel.
»Es ist ein Lied, das uns alle repräsentiert«, sagt die Sängerin über ihr Lied »Unicorn«.
Als das israelische Fernsehen noch eine überschaubare Anzahl an Kanälen hatte, war der alljährliche Song Contest ein Ereignis, das Israels Straßen ähnlich leerfegte wie Jom Kippur. Familien saßen wie gebannt vor dem Fernseher, wenn Israel endlich einmal für etwas anderes als Krise und Krieg globale Aufmerksamkeit bekam. Bei Ilanit, Izhar Cohen und Dana International war die Welt in Ordnung, wenigstens ein paar Stunden lang.
GEWINNER Und Israel schlug sich gut: viermal gewonnen (1978 und 1979 sogar zweimal hintereinander), nie der letzte Platz und 20-mal in den Top Ten. Zuletzt triumphierte die wunderbar wilde Netta 2018. Dieses Jahr im Mai geht mit Noa Kirel eine funkelnde Mischung aus Britney Spears und Ariana Grande an den Start.
Und es wird ein Auftritt wie kein anderer sein, denn vielleicht ist es der letzte. Um am ESC teilnehmen zu können, muss ein Land Mitglied der European Broadcasting Union (EBU, Europäische Rundfunkunion) sein, dem Zusammenschluss öffentlich-rechtlicher Sender, die in ihren Ländern eine freie Presse garantieren sollen, sprich: staatlich finanzierte Medien, die niemandem etwas schulden.
Israel hat genau einen öffentlich-rechtlichen Sender, der den ESC ausrichten und gleichzeitig Nachrichten bringen kann, von denen private Sender aus finanzieller Abhängigkeit lieber die Finger lassen: KAN, ans Netz gegangen 2017 nach der Schließung der Israel Broadcasting Authority (IBA). Aber auch nur knapp, denn die damalige Regierung von Benjamin Netanjahu wollte den unabhängigen Sender sofort aufteilen, um Kontrolle über dessen Berichterstattung zu haben. Ein Vorhaben, das Israels Oberstes Gericht gerade noch verhinderte. Sonst hätte es keinen Netta-Sieg gegeben.
KOMMUNIKATION Ob Noa Kirel im Mai Israels letzte ESC-Repräsentantin sein wird, hängt davon ab, ob Netanjahus neuer Kommunikationsminister Shlomo Karhi mit dem erneuten Anlauf, KAN zu zerschlagen, Erfolg haben wird.
Die Europäische Rundfunkunion hat Israel bereits zwei Mal verwarnt ob der neuen Drohungen. »Unabhängige Nachrichten und Informationen sind ein integraler Bestandteil öffentlicher Mediendienstleistung, ihr Beitrag ist entscheidend im Medien-Pluralismus gut funktionierender Demokratien«, heißt es im offiziellen Brief an Israels Premier.
Der Eurovision Song Contest hat sich auf die Fahnen geschrieben, unpolitisch zu sein. Angesichts der aktuellen Situation in Israel, wo Hunderttausende regelmäßig auf die Straße gehen, um für Israels Demokratie zu demonstrieren, kommt Noa Kirels Auftritt jedoch nicht drum herum, auch politisch gelesen zu werden. Etwas, das sich die 21-Jährige aus Ra’anana sicherlich anders vorgestellt hat.
Die ist in Israels Showgeschäft zum »Einrichtungsgegenstand« geworden, seitdem sie mit 14 Jahren berühmt wurde. Damals sorgte das sexuell aufgeladene Video zu ihrem Song »Killer« dafür, dass sich nicht nur konservativ denkende Menschen, sondern auch besorgte Mütter empörten.
YOUTUBE Innerhalb weniger Wochen gab es damals zehn Millionen Abrufe auf YouTube und on top eine solide Karriere. Nicht nur der Radiosender Galgalatz dudelt ihren süßen Pop-Elektro-Hip-Hop rauf und runter. 2016 wurde Kirel beim Israeli Kids Choice Award zur Sängerin des Jahres gekürt. Mehr als 40 Singles, zwei MTV Europe Awards und mehrere Auftritte als Castingshow-Jurorin später folgt nun also der ESC.
Möglicherweise bestreitet Noa Kirel den letzten ESC-Auftritt ihres Landes.
Und innerhalb der Grenzen des Popgeschäfts haben Kirel und ihr Team, darunter Nettas Gewinner-Song-Schmied Doron Medalie, ziemlich vorgelegt: Sie hoffe, dass sich ihr Land hinter dem Lied vereinen werde, sagt Kirel. »Es ist ein Lied, das uns alle repräsentiert, das ganze Land.«
Ein Land, das ihr Zuhause ist, ein Land in Aufruhr. Und so singen denn wohl mehr Menschen mit als erwartet: »Hey, you don’t like the way I’m talking/ Hey, so you stand there keep on calling me names/ No, I’m not your enemy so/ If you’re gonna do it, don’t do it/ I’ve got the power of a unicorn!« (»Hey, du magst nicht, was ich sage/ Hey, also stehst du da und beleidigst mich/ Ich bin nicht dein Feind/ Wenn du es tust, tu es nicht/ Ich habe die Kraft eines Einhorns!«)