Ein lächelndes Gesicht. Ein normales junges Mädchen, gesund und fröhlich, das vom Filmplakat dem Publikum direkt und offen ins Gesicht blickt. Es ist das Gesicht der 16-jährigen Schauspielerin Lea van Acken, die bereits mit ihrer ersten Rolle – als Opfer christlich-religiösen Wahns in Kreuzweg von Dietrich Brüggemann – bekannt wurde.
Nichts in diesem Gesicht und seinem Blick hat eine doppelte Botschaft, nichts deutet auf den historischen Abstand zu der Figur hin, die sie nun verkörpert, nichts auf ihr Martyrium: Denn jetzt spielt Lea van Acken eine, wenn nicht gar die symbolische Figur der Schoa – Anne Frank.
zeugnis Das Tagebuch des Mädchens, das die 671 Tage des Verstecks im Hinterhaus der Prinsengracht 263 in Amsterdam schildert und dessen Editionsgeschichte Stoff für einen Thriller bietet, ist bekannt – als historisches Zeugnis sowie als literarisches Werk. Es geht weit über die »Normalität« eines der vielen Dokumente aus den Jahren der Verfolgung und erst recht über andere Tagebücher einer Pubertierenden hinaus.
Das Interesse an dem Stoff war schon früh gewaltig. Der Kinofilm Das Tagebuch der Anne Frank des Regisseurs Hans Steinbichler, der am 3. März anläuft, ist der erste deutsche Kinofilm über das Schicksal des Mädchens. Steinbichler, Jahrgang 1966, hat bereits mehrere Kinofilme gedreht (Winterreise, Autistic Disco) und auch fürs Fernsehen Folgen für den Polizeiruf und andere Werke beigesteuert. Er ist so wenig wie sein Drehbuchautor Fred Breinersdorfer (Sophie Scholl – Die letzten Tage) einer, der im Verdacht steht, diesen Stoff zu leicht zu nehmen und aus ihm nur Kapital schlagen zu wollen.
Wie also verfilmt man so eine Figur und so ein Buch, das in 70 Sprachen übersetzt und mittlerweile sogar ins Weltkulturerbe der UNESCO aufgenommen wurde? Kann das überhaupt gelingen – lässt sich die gebrochene, reflektierende Perspektive des Tagebuchs in eine Leinwanderfahrung umsetzen, ohne ihr das Wesentliche zu nehmen? Die gravierendste Veränderung, die der Film vornimmt, ist die der Perspektive: Aus dem subjektiven Ich des Tagebuchs wird hier die »objektive« Außensicht, wenn Anne in die Kamera spricht.
träume Die Verfilmung durch Steinbichler ist ehrenwert. Der Regisseur versucht, nichts falsch zu machen. Nur, genügt das allein? Wie viel Normalität, wie viel Kindheit und Pubertät kann ein Spielfilm so einer Figur zugestehen? Wo liegt die Balance zwischen Alltag und Abgrund? Denn der Satz, dass Anne Frank ja auch ein ganz normales Mädchen gewesen ist, mit den Problemen, Verhaltensweisen und Träumen einer Heranwachsenden, führt in die Irre.
Und was heißt schon Normalität unter den Bedingungen eines mehr als zweijährigen Verstecks und der permanenten Angst, entdeckt zu werden? Und dann in den letzten Monaten in den Fängen der Nazis? Nicht deswegen interessieren wir uns für Anne Frank, weil sie wie alle anderen war und ein ganz normales Leben geführt hat.
Eng am Original-Tagebuch orientiert, versucht der Film, eine Anne Frank für das 21. Jahrhundert zu zeichnen: ein Mädchen, das moderne Ansichten hatte, Zukunftspläne, Sehnsüchte, Hoffnungen, Träume und Ängste; das sich als Frau benachteiligt fühlt, feministisch denkt und sich erstmals verliebt. Das alles ist durch die Vorlage historisch abgesichert. Ebenso wie Annes Hoffnung, dass ihr Tagebuch einmal für spätere Leser publiziert werden könnte.
probleme Ein dramaturgisches Problem dabei ist, dass der Ausgang der Geschichte bekannt ist: Wenn etwa die Bomber über Amsterdam Angriffe fliegen, fürchtet man nicht um die Figuren. Als weiteres Problem erweisen sich die populären Schauspieler: Ulrich Noethen (als Vater Otto Frank), Martina Gedeck (als Mutter Edith) und Margarita Broich (Petronella van Daan) sind hervorragende Darsteller. Nur tritt immer wieder die Rolle hinter ihnen zurück.
Formal ist diese Verfilmung notgedrungen bieder und beflissen. Nervtötend ist das penetrante Gejaule und Geklimper der Kitsch-Musik. Kamerafrau Bella Halben bemüht sich immerhin, den abgedroschenen Konventionen des Historienmelodrams – denn dies ist das Genre, aus dessen Gehäuse der Film nicht herauskommt – wenigstens ein paar neue Bilder abzugewinnen und der Kitschfalle zu entgehen. Aber es klappt kaum. Zu sehr dominieren trotz Cinemascope die Konventionen der beteiligten Fernsehsender. Allzu brav wird eine Großaufnahme an die nächste montiert.
Nur hin und wieder schaffen es Steinbichler und Halben, ein Gefühl für die verwinkelten Verhältnisse im Versteck und das beengte Leben der acht Menschen zu vermitteln. Unter dem wuchtigen Sujet werden atmosphärische Feinheiten aber meist erdrückt. Das ist umso bedauerlicher, weil der Film auch inhaltlich höchst konventionell ist. Einerseits entgeht Steinbichler nicht der Versuchung des einfachen, vorhersehbaren Wegs, Anne als Heldin und Heilige zu zeigen. Andererseits rutscht das Werk dann doch auf die schiefe Ebene eines »Coming-of-Age«-Films.
Symbol Der Kino-Anne-Frank wird viel aufgehalst: Sie soll modern sein und historisch, ein normales Mädchen und Schoa-Symbol zugleich. So bleibt Das Tagebuch der Anne Frank im besten Fall illustrativ. Für den Film spricht, dass er das Tagebuch einer neuen Generation nahebringt. Was gegen ihn spricht, ist die Trivialisierung Anne Franks. So nahe wie in ihren eigenen Worten kommt man dem Mädchen nirgends.
Deswegen bleibt die Frage: Hat es diese Verfilmung wirklich gebraucht? Weil man alles bebildern muss? Weil jeder Bestseller – und Anne Franks Tagebuch ist auch das – nach Verfilmung schreit, sichere Gewinne verspricht? Also doch ein Exploitationsfilm. Es konnte nicht anders sein.
Am Ende sieht man Lea van Acken, wie sie als Anne Frank ins Lager deportiert wird und man ihr das lange, volle Haar schert. Sie lächelt nicht mehr. Nur noch draußen auf dem Plakat.
Sehen Sie den Tariler zum Film:
www.youtube.com/watch?v=a1kxh1i9U2o