Das Leo-Baeck-Institut (LBI) begleitet das Jahr 2018 mit einem besonderen Projekt, um auf die Ereignisse vor genau 80 Jahren hinzuweisen und die Erinnerung daran lebendig zu halten. Zu diesem Zweck initiierte das LBI mit verschiedenen Kooperationspartnern das »1938 Projekt«. Wie bei einem Kalender kann man an jedem Tag dieses Jahres auf den jeweiligen Tag im Jahr 1938 zurückblicken und durch verschiedene persönliche und öffentliche Artefakte die Geschehnisse des Jahres nachvollziehen.
Hannah Arendt, Robert Weltsch, Martin Buber und andere Juden aus Deutschland und Österreich gründeten das Leo-Baeck-Institut 1955 in Jerusalem. Sie wollten die Perspektiven von deutschsprachigen Juden aus der Diaspora zurück nach Deutschland und Österreich bringen. Heute hat das LBI drei Hauptsitze in Jerusalem, New York und London. Seit 2001 befindet sich zudem eine Dependance des Archivs des LBI New York im Jüdischen Museum in Berlin.
Recherche Am 24. Januar stellte das LBI gemeinsam mit einigen seiner Kooperationspartner ihr neues Projekt in Berlin vor. William H. Weitzer, geschäftsführender Direktor des LBI in New York, beschrieb die Entstehung des Projekts und den hohen Arbeitsaufwand, der für die Realisierung notwendig war. In der Recherche mussten Mitarbeiter aus einem Archiv mit vier Millionen Dokumenten die passenden Artefakte für dieses umfangreiche Projekt ermitteln.
Weitzer erklärte, warum das LBI sich für das Jahr 1938 entschieden hat. Er beschreibt das Jahr als einen Wendepunkt für das jüdische Leben. In den Jahren davor seien Juden zwar bereits systematisch diskriminiert worden, viele glaubten aber noch an ein baldiges Ende des Nationalsozialismus. Dies kam jedoch nicht. Stattdessen wurden die Berufsverbote für Juden ausgeweitet, neue »Schutzhaftbestimmungen« zur Deportation in KZs eingeführt und mit dem »Anschluss« Österreichs Wahlversprechen Hitlers erfüllt. Nach der Pogromnacht sei alle Hoffnung auf ein baldiges Ende verloren gewesen. Bezeichnend für die Hoffnungslosigkeit seien auch die Kindertransporte Ende 1938. Kaum jemand habe noch an Rettung geglaubt.
Aus diesen Gründen entschied das LBI sich für das Jahr 1938. Das »1938 Projekt« soll durch Zeitungsartikel, Bilder, Tagebucheinträge, Briefe und andere Dokumente aus dem Jahr die Ereignisse greifbarer machen. Auf Facebook, Instagram und Twitter wird jeden Tag ein Beitrag mit Zeugnissen der damaligen Zeit und zugehöriger Erläuterung gepostet. 365 Beiträge wurden dafür von Mitarbeitern des LBI erstellt. Zudem werden einige Dokumente aus dem Projekt von Februar bis November in der Katherine-und-Clifford-Goldsmith-Galerie des New Yorker Center for Jewish History ausgestellt. Weitere Objekte kann man dieses Jahr in Deutschland auf einer Wanderausstellung sehen. Die Termine hierfür werden noch bekannt gegeben (www.lbi.org).
Widerstand Kooperationspartner für dieses Projekt sind unter anderem das Firmenhistorische Archiv der Allianz und die Stiftung Gedenkstätte Deutscher Widerstand. Sie wollten jedoch das »1938 Projekt« nicht nur finanziell unterstützen, sondern auch Dokumente zu dem Projekt beisteuern. Geschichten von deutschem Widerstand einzubringen, um auch von positiven Geschehnissen zu berichten, erschien Johannes Tuchel von der Gedenkstätte Deutscher Widerstand wichtig. So beinhaltet das Projekt auch Erinnerungen an die Rettung von Juden durch deutsche Widerstandskämpfer.
Die Allianz, die das »1938 Projekt« maßgeblich finanziell unterstützt, nutzte die Möglichkeit, die Firmengeschichte in das Projekt zu integrieren. Das Firmenhistorische Archiv der Allianz-Versicherung arbeitete mit dem LBI zusammen, um über ehemalige jüdische Angestellte zu informieren. Die Allianz-Versicherung profitierte wie viele deutsche Firmen vom Nationalsozialismus. Beispielsweise enteignete die Allianz jüdische Kunden von ihren Lebensversicherungen.
Zeitzeugen Weitere Unterstützer des Projekts sind die Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) und die Stiftung Erinnerung, Verantwortung und Zukunft (EVZ). Thomas Krüger, Präsident der bpb, und Harald Braun, Kuratoriumsvorsitzender von EVZ, sprachen vor allem über die bildungspolitischen Möglichkeiten des »1938 Projekts«. Die Initiative sei eine Möglichkeit, die Erinnerungen der Zeitzeugen zu bewahren. Dies sei umso wichtiger, da es in wenigen Jahren keine Überlebenden mehr geben wird, die über die Schoa sprechen können.
In wenigen Jahren wird es keine Überlebenden mehr geben, die erzählen könnten.
Ein besonderer Moment entstand bei der Veranstaltung, als Weitzer einige Beispiele aus dem Kalender vorstellte. Unter diesen war ein Attest des Musikers Werner Dambitsch, in dem ein Arzt ihm für seine geplante Ausreise gute Gesundheit bescheinigte. Kurz zuvor hatte Krüger in seiner Rede ebenjenen Musiker erwähnt, der Teil des Excentric Jazz Orchester war, das auf Geheiß der Nazis in Erstes Jüdisches Jazzorchester umbenannt werden musste. Die Reaktion der Gäste zeigte, dass persönliche Schicksale eine besondere Empathie erzeugen.
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