Geschichte atmet das Haus, das unauffällig, wenn auch inzwischen wieder adrett hergerichtet, in der Hermannstraße 14 in Berlin-Zehlendorf steht. Leo Trotzki hat hier übernachtet. George Grosz, John Heartfield und viele andere linke Prominente der Weimarer Zeit waren hier zu Gast. Vor allem aber sollte es einmal ein Karikaturenmuseum werden, das erste seiner Art. Doch das verhinderte das Jahr 1933.
Daran erinnert aktuell eine Beiläufigkeit. Für 27,95 € bietet ein Leipziger Antiquariat einen Versteigerungskatalog des Auktionshauses C. G. Boerner in Leipzig von 1938 an: Sammlung E. F. Berlin – Daumier-Graphik, Kulturgeschichte.
Weder der Interneteintrag noch der Katalog selbst verraten, wer dieser »E. F«. war. Die meisten Bieter werden es allerdings gewusst haben. Es war Eduard Fuchs, der »Sittenfuchs«, wie er seinerzeit genannt wurde. Ihm gehörte seit 1920 das Haus in der Hermannstraße 14. Der erst 25-jährige Mies van der Rohe hatte es 1911/12 für den Juristen, Kunstsammler (und späteren Kunsthändler) Hugo Perls gebaut. Fuchs soll es Perls für fünf Gemälde von Max Liebermann abgekauft haben.
Eduard Fuchs, 1870 in Göppingen geboren, wurde nach einer kaufmännischen Lehre in München Redakteur des Südddeutschen Postillon, einer sozialdemokratischen Satirezeitschrift.
Grundlage Davor und danach hatte er, weil er Karikaturen veröffentlichte, die als Majestätsbeleidigung gesehen wurden, jeweils mehrere Monate Gefängnis absitzen müssen. In dieser Zeit schrieb Fuchs Artikel und bald auch Bücher zur Geschichte der Karikatur. Grundlage war seine stetig wachsende Sammlung solcher Zeichnungen, vor allem von Daumier, die damals nicht der Kunst zugerechnet wurden. Auch von Gavarni, Rowlandson und anderen klassischen Karikaturisten besaß Fuchs zahlreiche Originale.
In seinen Artikeln und Büchern ging es Fuchs mehr um die Themen und ihre satirische Umsetzung als um den künstlerischen Wert. Das begann 1898 mit 1848 in der Karikatur, gefolgt von einer zweibändigen Geschichte der Karikatur der europäischen Völker, der Frau in der Karikatur, dem Weltkrieg in der Karikatur.
Die Reihe beschloss Die Juden in der Karikatur, die erste seriöse Darstellung des Themas, zwar marxistisch geprägt, jedoch nicht von der in der Linken, damals wie heute noch oft kursierenden vulgärmarxistischen Gleichsetzung von Judentum und Kapitalismus angekränkelt. Die umfangreich illustrierte Studie gilt bis heute als Standardwerk.
»Weil dem Spott über den Juden keinerlei Schranken gesetzt waren«, schrieb Fuchs im Vorwort, »darum verbirgt sich wie bei einem Spiegel, den die Frau in der Karikatur der verschiedensten Zeiten und Völker gefunden hat, auch hinter dem lustigen Schellengeklapper der Judenkarikaturen nicht selten ein groß Teil des schwersten Menschenleids und der tiefsten Menschentragödie.«
erotik Parallel zu diesen Büchern entstanden die Werke, denen er den Beinamen »Sittenfuchs« verdankte. Zuerst die Geschichte der erotischen Kunst. Dann seit 1909 die sechs Bände seiner Illustrierten Sittengeschichte vom Mittelalter bis zur Gegenwart. Obwohl als »Privatdruck« deklariert, trug das Kompendium Eduard Fuchs Prozesse wegen Unsittlichkeit ein. Aber auch ein beträchtliches Vermögen.
Das Geld kam unter anderem der politischen Linken zugute. Fuchs, der die KPD mitgegründet hatte, sorgte dafür, dass das Friedrichshainer Denkmal für Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht, mit denen er befreundet gewesen war, zu einer eindrucksvoll modernen Gedenkstätte wurde, die Mies van der Rohe entwarf und baute – und die in der Nazizeit abgerissen und von der DDR, weil »formalistisch«, nicht rekonstruiert wurde.
Fuchs gehörte auch zu den Mitgliedern der Gesellschaft für Sozialforschung, die 1924 das später durch das Gespann Adorno/Horkheimer berühmt gewordene Institut für Sozialforschung an der Frankfurter Universität gründeten. Mit Bucharin und Trotzki war er befreundet. Letzterer übernachtete nach seiner Ausweisung aus der Sowjetunion auf dem Weg ins Exil in Fuchs’ Zehlendorfer Haus.
Der hatte sich dort 1928 von dem inzwischen berühmten Mies van der Rohe einen Galerietrakt anbauen lassen. Denn seine Sammlungen okkupierten längst das ganze Haus. Dazu gehörten nicht nur gut 20.000 Karikaturen und Zeichnungen, darunter mehr als 6.000 Grafiken und ein gutes Dutzend Gemälde von Honoré Daumier.
In dem Haus hingen auch 19 Bilder von Max Liebermann und 45 seines Freundes Max Slevogt. Außerdem gab es Gemälde von Fragonard, Delacroix, Renoir, Skulpturen von Rodin, Maillol, Archipenko. Dazu zahlreiche Ostasiatica und mehrere Tausend Bücher. Dies alles wollte Fuchs Berlin schenken. Damit hätte die Stadt ein unvergleichliches Museum zur Geschichte der Karikatur gewonnen.
emigration Doch dann kam das Jahr 1933. Eduard Fuchs floh nach dem Reichstagsbrand über Straßburg und Genf nach Paris. Sein Zehlendorfer Haus wurde von der SA besetzt und geplündert: Das Archiv, die Zettelkästen und Fuchs’ Korrespondenz wanderten in die Heizung.
Dann erkannte die Gestapo den Wert der Sammlungen. Sie ließ das Haus versiegeln und beschlagnahmte die Kunstwerke. 1937 kam ein Großteil von ihnen als »Kunstsammlung F., Berlin« bei Rudolph Lepke in Berlin in drei Auktionen unter den Hammer. Darunter war auch Max Liebermanns Gemälde Waldspaziergang im Harz, das das Werkverzeichnis von 1995 noch als »verschollen« registrierte und das 2006 bei Lempertz in Köln für 188.000 Euro erneut versteigert wurde.
1938 folgte dann der Ausverkauf der grafischen Sammlungen in einer Versteigerung bei C. G. Boerner in Leipzig, deren Katalog jetzt angeboten wird und im Internet unter »digi.ub.uni-heidelberg.de/ diglit/boerner1938_05_23« einzusehen ist.
Eduard Fuchs starb im Januar 1940 im Pariser Exil, kurz bevor die Wehrmacht die Stadt besetzte. Er wurde auf dem Friedhof Père Lachaise begraben. In sein Zehlendorfer Haus und das benachbarte Gebäude zog 1939 eine »Spezialfabrik für lichtelektrische Zellen und Apparate«.
1977 erwarb die Stiftung Deutsche Klassenlotterie Berlin die Mies-van-der-Rohe-Häuser für das anthroposophische Heilpädagogische Therapeutikum, die heutige Parzival-Schule. Inzwischen unter Denkmalschutz gestellt, wurden die Gebäude 1992 nach historischen Aufnahmen so rekonstruiert und restauriert, wie sie 1928 aussahen. Aber die Aufgabe, die Eduard Fuchs seinem Haus zugedacht hatte, kann es nicht erfüllen. Darum hat Berlin kein Karikaturenmuseum.