Lesen!

»Das Haus am Waldsängerpfad«

Ein neues Buch erzählt die Geschichte des Theaterkünstlers Fritz Wisten und ein denkwürdiges Kapitel Berliner Stadtgeschichte

von Anat Feinberg  21.01.2021 10:36 Uhr

Um das von der Familie bewohnte Haus und das Schicksal seiner Bewohner geht es in dem neuen Buch. Foto: PR

Ein neues Buch erzählt die Geschichte des Theaterkünstlers Fritz Wisten und ein denkwürdiges Kapitel Berliner Stadtgeschichte

von Anat Feinberg  21.01.2021 10:36 Uhr

Er zählte zu den wichtigsten Theaterkünstlern in Deutschland im 20. Jahrhundert: Fritz Wisten (eigentlich Moritz Weinstein, 1890–1962). Es war seine Inszenierung von Nathan der Weise, mit der das Deutsche Theater in Berlin im September 1945 wiedereröffnete. Damals war der Wiener Jude ein Bühnenveteran, seine Karriere hatte bereits kurz vor dem Ersten Weltkrieg begonnen.

Seit 1921 am Württembergischen Landestheater engagiert, zählte er zu den bekanntesten Schauspielern. In Stuttgart lernte er auch seine spätere Frau kennen – Gertrud Widmann, die posthum von Yad Vashem als »Gerechte unter den Völkern« geehrt wurde. Während der Nazi-Herrschaft hatte Wisten, obwohl er als Jude selbst verfolgt wurde, mit Unterstützung seiner Frau anderen Verfolgten Unterschlupf gewährt. An diesen Mut erinnert seit 2014 auch eine Gedenktafel an seinem früheren Wohnhaus im Waldsängerpfad 3 im Berliner Stadtteil Nikolassee.

kulturbund Als Wisten nach der Machtergreifung fristlos entlassen wurde, ergab sich eine Möglichkeit, in seinem Metier weiterzuarbeiten, und zwar für den im Juli 1933 in Berlin gegründeten Jüdischen Kulturbund. Während des Novemberpogroms 1938 wurde Wisten im Konzentrationslager Sachsenhausen inhaftiert. Fünf Tage später kam er wie durch ein Wunder wieder frei und durfte das Theater des Kulturbundes weiter leiten.

Als die Gestapo 1941 den Jüdischen Kulturbund auflöste, war Wisten aufgrund der »privilegierten Mischehe« mit seiner nichtjüdischen Ehefrau zunächst vor einer Deportation geschützt.

Als die Gestapo 1941 den Jüdischen Kulturbund auflöste, war Wisten aufgrund der »privilegierten Mischehe« mit seiner nichtjüdischen Ehefrau zunächst vor einer Deportation geschützt. Bis zum Kriegsende leistete er Zwangsarbeit in einer Fabrik. Unmittelbar nach der Befreiung konnte Wisten seine Theaterkarriere erfolgreich fortsetzen. Zuerst übernahm er die Direktion des Theaters am Schiffbauerdamm, danach die der Volksbühne im Osten Berlins.

nachfahren Um das von der Familie bewohnte Haus und das Schicksal seiner Bewohner geht es in dem neuen Buch Das Haus am Waldsängerpfad. Wie Fritz Wistens Familie in Berlin die NS-Zeit überlebte von Thomas Blubacher, der auch Gespräche mit den Nachfahren Wistens geführt hat. Im Haus am (heutigen) Waldsängerpfad, das 1929/30 von dem berühmten Architekten Peter Behrens geplant wurde, fand Wisten kurz nach Beginn seiner Arbeit für den Jüdischen Kulturbund eine passende Bleibe für seine Familie.

Blubacher erzählt die Geschichte derjenigen, die während der Nazizeit dort wohnten, ein- und ausgingen und zum Teil auch ein temporäres Versteck fanden. So ist das Buch mit Namen von jüdischen und nichtjüdischen Personen gespickt, aber auch von Nazi-Größen, die in der unmittelbaren Nachbarschaft wohnten – ein denkwürdiges Kapitel Berliner Stadtgeschichte.

Thomas Blubacher: »Das Haus am Waldsängerpfad. Wie Fritz Wistens Familie in Berlin die NS-Zeit überlebte«. Berenberg, Berlin 2020, 192 S., 22 €

Programm

Termine und TV-Tipps

Termine und Tipps für den Zeitraum vom 20. Februar bis zum 27. Februar

 21.02.2025

Berlinale

»Das verdient kein öffentliches Geld«

Der Berliner CDU-Fraktionschef Dirk Stettner hat seine Karte für die Abschlussgala zerrissen – und will die Förderung für das Filmfestival streichen

von Ayala Goldmann  21.02.2025

Bayern

NS-Raubkunst: Zentralrat fordert schnelle Aufklärung

Der Zentralrat der Juden verlangt von den Verantwortlichen im Freistaat, die in der »Süddeutschen Zeitung« erhobenen Vorwürfe schnell zu klären

 20.02.2025

Kolumne

Unentschlossen vor der Wahl? Sie sind in guter Gesellschaft – mit Maimonides

Der jüdische Weise befasste sich mit der Frage: Sollten wir als Kopfmenschen mit all unserem Wissen auch bei Lebensentscheidendem dem Instinkt vertrauen?

von Maria Ossowski  20.02.2025

Berlin

Eine krasse Show hinlegen

Noah Levi trat beim deutschen Vorentscheid für den Eurovision Song Contest an. In die nächste Runde kam er nicht, seinen Weg geht er trotzdem

von Helmut Kuhn  20.02.2025

NS-Unrecht

Jüdische Erben: »Bayern hat uns betrogen« - Claims Conference spricht von »Vertrauensbruch«

Laut »Süddeutscher Zeitung« ist der Freistaat im Besitz von 200 eindeutig als NS-Raubkunst identifizierten Kunstwerken, hat dies der Öffentlichkeit aber jahrelang verheimlicht

von Michael Thaidigsmann  20.02.2025

Literatur

»Die Mazze-Packung kreiste wie ein Joint«

Jakob Heins neuer Roman handelt von einer berauschenden Idee in der DDR. Ein Gespräch über Cannabis, schreibende Ärzte und jüdischen Schinken

von Katrin Richter  20.02.2025

Berlinale

Auseinandergerissen

Sternstunde des Kinos: Eine Doku widmet sich David Cunio, der am 7. Oktober 2023 nach Gaza entführt wurde, und seinem Zwillingsbruder Eitan, der in Israel auf ihn wartet

von Ayala Goldmann, Katrin Richter  19.02.2025

Berlin

»Sind enttäuscht« - Berlinale äußert sich zu Antisemitismus-Skandal

»Beiträge, die das Existenzrecht Israels infrage stellen, überschreiten in Deutschland und auf der Berlinale eine rote Linie«, heißt es in einer Erklärung des Festivals

von Imanuel Marcus  19.02.2025