»Sieben Versuche zu lieben«

Das Gegenteil von gemütlich

Zuwachs an Empathie: der Schriftsteller Maxim Biller Foto: Getty Images

Maxim Biller gilt im deutschen Literaturbetrieb als »schwierig«. Liegt das an seiner Schroffheit (die übrigens keineswegs durchgängig ist, sondern durchzogen wird von Phasen geradezu altmodischen Charmes), an gewissen Idiosynkrasien – oder nicht vielleicht doch vor allem daran, dass dieser Schriftsteller seit über drei Jahrzehnten etwas zu erzählen hat, wovon hierzulande geborene Autoren mit ihren Von-Köln-nach-Berlin-Biografie-Travestien nur träumen können?

Vielfalt Oder auch albträumen, denn das Figurengewimmel in Billers Erzählungen lässt sich nicht reduzieren auf jene gängigen Simpel-Sprüche, laut denen Vielfalt bunt sei und auf jeden Fall eine Bereicherung.

Der 1960 in Prag geborene und mit seiner Familie 1970 in die Bundesrepublik ausgewanderte Maxim Biller, der sich in seiner 2009 erschienenen Autobiografie ironisch als Der gebrauchte Jude bezeichnete, liefert dem hiesigen Publikum nämlich alles andere als platt Folkloristisches à la »Aus dem mondän-bewegten Leben der Juden«.

LÜGEN Alle seine Protagonisten – Männer, Frauen, Kinder – sind oftmals gleich mehrfach Vertriebene: einst aus Nazi-Deutschland weggejagt, der Schoa und danach dem Antisemitismus der Sowjetunion entkommen oder nach der gewaltsamen Niederschlagung des Prager Frühlings nach Westdeutschland, Kanada oder nach Israel übergesiedelt, wo ihre Lebensgeschichten gleichsam ortlos wurden.

In präziser Prosa spürt Biller den noch nicht zu Ende erzählten Geschichten des 20. Jahrhunderts nach.

Maxim Biller mutet seinen Lesern jedoch noch mehr zu, denn jene Geschichten – bei Familientreffen wieder und wieder erzählt oder bei jahrzehntealten Zwisten wie ein Joker gezückt – entpuppen sich häufig als Projektionen, Weglassungen, ja, mitunter sogar als Lügen.

Der soeben erschienene Band Sieben Versuche zu lieben versammelt deshalb die besten (und nicht etwa die »schönsten«) Familiengeschichten dieses Autors, der als Ich-Erzähler immer wieder ein anderer ist und doch der gleiche bleibt, ein geradezu obsessiver Frager, der den möglichen Vorwurf, ziemlich selbstgerecht zu sein, schon im Vorfeld dadurch neutralisiert, indem er sich nicht zu knapp selbst anklagt.

TRAUMA Doch in was für präziser, bei aller Härte geschmeidig-sinnlicher Prosa wird hier den noch längst nicht zu Ende erzählten Geschichten des 20. Jahrhunderts nachgespürt! So etwa in der Erinnerung an das KZ-Buch eines Überlebenden, das später einen Übersetzer aufgrund der darin beschriebenen, besonders grausamen Hundeszene traumatisiert, obwohl dessen Sohn irgendwann herausfindet, dass es sich womöglich ganz anders verhält – und noch schmerzhafter ist.

Die Atmosphäre von Prag, Moskau, Tel Aviv oder Hamburg wird in wenigen Strichen plausibel.

Oder ein greiser nichtjüdischer Schriftsteller, der bis ins Detail dem tschechischen Romancier und Dissidenten Pavel Kohout ähnelt, klärt den Sohn eines ehemaligen Jugendfreundes darüber auf, dass es im Moskau des Jahres 1949, als beide noch überzeugte Jungstalinisten gewesen waren, keine Verratsgeschichte gegeben hatte – sondern einen Mix aus gegenseitigen Erpressungen aufgrund der eifersüchtigen Liebe zu derselben Frau.

Wie gut und wie angemessen, dass diese Erzählungen, die einem stets verblüffend variierten Muster folgen, den Leser nicht mit vertrackten »Mutmaßungen« oder einem mäandernden »Nachdenken« peinigen, das man hierzulande seit Uwe Johnson und Christa Wolf für die einzig adäquate »Erinnerungsarbeit« hält.

Denn der ästhetische Mehrwert ist hier enorm, das Ineinandergleiten von Reflexion und Handlung, die in wenigen Strichen sofort plausible Atmosphäre von Prag, Moskau, Tel Aviv oder Hamburg, wo Menschen (und keine Pappfiguren) um Wahrheit und Lüge und das Zwischendrin ringen.

ENTWICKLUNG Freilich suggeriert diese gelungene Zusammenstellung aus Maxim Billers bisher erschienenen Erzählbänden eine Kontinuität, die sich bei genauem (Wieder-)Lesen dann doch differenzierter darstellt.

Dem Zeitgeist muss Biller heute nichts mehr beweisen.

Denn so nahezu perfekt »gemacht« die frühen Stücke aus dem Band Wenn ich einmal reich und tot bin auch sind – spätere Texte wie etwa die in einem tschechischen Sanatoriumsort spielende Kindheitsgeschichte »Bernsteintage« oder eben jene berührenden »Sieben Versuche zu lieben« markieren die eigentliche Entwicklung zu einem der bedeutendsten Schriftsteller der Gegenwart, ganz zu schweigen etwa von einem Roman-Meisterwerk wie Die Tochter.

Zu entdecken ist hier nämlich ein Zuwachs an wirklicher Empathie, der einer forsch-aufgekratzten Teutonenmännerwelt aus ehemaligen »Tempo«-Journalisten, berufsjugendlichen »Schumann’s Bar«-Habitués und anderen voll­mundigen Zeitgeistlichen (obwohl diese wahrscheinlich den vermeintlich »coolen Biller« noch heute als einen der Ihrigen missverstehen) nun überhaupt nichts mehr beweisen will und muss. Und auch das ist – ganz und gar wunderbar.

Maxim Biller: »Sieben Versuche zu lieben. Familiengeschichten«. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2020, 357 S., 22 €

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