Entbindungen sind extrem anstrengend. Diesen Satz dürften wohl die meisten Frauen unterschreiben, die jemals ein Kind zur Welt gebracht haben. »Als vor drei Jahren mein erster Sohn geboren wurde, war es echt die Hölle«, erzählt Rakefet Bartov. »Zu dem ganzen Stress und den Schmerzen kam zu allem Überfluss noch ein Dammriss hinzu«, so die 32-jährige Grafikerin aus Ramat Gan.
Für nicht wenige Frauen ist der Kreißsaal im Krankenhaus daher nicht unbedingt ein Ort schöner Erinnerungen. »Die Entbindung meines zweiten Sohnes vor acht Monaten dagegen verlief schon deutlich unproblematischer. Zwar war es ebenfalls recht unangenehm, aber diesmal traten keine Komplikationen auf«, berichtet Rakefet Bartov.
Zahlreiche Mütter können Ähnliches berichten. Neigte die erste Geburt eher dazu, ein Drama zu werden, sieht es – rein statistisch gesehen – bei der Entbindung Nummer zwei oder drei oftmals eine Spur entspannter aus. Lange wurde in der Medizin über die Ursachen darüber gerätselt, nun haben Wissenschaftler des Hadassah Medical Center und der Hebräischen Universität in Jerusalem einen Ansatz gefunden, um dieses Phänomen zu erklären. Und dieser liest sich ein bisschen wie ein Thriller, was wohl an der Wahl der Worte liegt.
Gebärmutter »Es geht dabei um die sogenannten natürlichen Killerzellen«, skizziert Simcha Yagel, Leiter der Abteilung für Geburtshilfe und Gynäkologie von Hadassah, das Ganze. »Und um das, was wir Wissenschaftler ihr antrainiertes Gedächtnis nennen. Diese natürlichen Killerzellen machen anderen, die pathogen sind, den Garaus – daher der Name.« Sie finden sich zuhauf in der Dezidua, also jenem Teil der Plazenta, der von der Gebärmutterschleimhaut zu Beginn einer Schwangerschaft gebildet wird.
So machen die Lymphozyten genannten zellulären Bestandteile des Blutes dort immerhin bis zu 40 Prozent der weißen Blutkörperchen aus. »Rund drei Viertel von ihnen wiederum sind genau diese natürlichen Killerzellen, die an vorderster Front zum Beispiel Krebszellen eliminieren«, erklärt Yagel. Sie haben also regen Anteil daran, den Embryo vor Angreifern zu schützen.
Aber sie können ihm auch gefährlich werden – »weil ein Fötus im Wesentlichen nichts anderes ist als ein Parasit oder Tumor«, bringt es der Experte auf den Punkt. »Dieser ist in das Gewebe der Mutter eingedrungen und wird nun von ihr versorgt.« So können es manche dieser Killerzellen sehen. Ihre falsche Interpretation der Lage dürfte daher auch die Ursache für die eine oder andere Fehlgeburt sein. »Zudem gibt es von ihnen mehr als genug, um an dieser wichtigen embryonalen Schnittstelle das Immunsystem abzusichern.«
Wachstum Deswegen haben die Killerzellen einen weiteren »Job«, wie Simcha Yagel und sein Team in mehr als sechs Jahren Forschungsarbeit und der Analyse von mehr als 450 Schwangerschaften herausgefunden haben: Sie produzieren andere und weit mehr sogenannte Mediatoren als ihre Verwandten in der Blutbahn. Dazu zählen diverse Wachstumsfaktoren wie das Signalmolekül VEGF, was für Vascular Endothelial Growth Factor steht, sowie PLGF, der Placental Growth Factor. Sie haben also nicht nur eine das Embryo schützende, sondern zugleich eine ihn aufbauende Funktion.
»Aber die größte Überraschung war die Tatsache, dass sie darüber hinaus wohl auch über ein Gedächtnis verfügen.« Treffen die Killerzellen beispielsweise ein zweites oder drittes Mal auf den die Infektionskrankheit Zytomegalie auslösenden Herpesvirus, werden sie besser mit ihm fertig als beim ersten Mal. »Ohne ein solches Erinnerungsvermögen würden sie wohl alles attackieren, was sie nicht kennen und ihnen fremd vorkommt.«
Rezeptoren Auf Basis dieser Erkenntnisse untersuchten die Wissenschaftler, ob die natürlichen Killerzellen Unterschiede bei einer Erst- und einer Zweitschwangerschaft aufweisen. »Damit hatten wir den Jackpot geknackt«, sagt Yagel.
»So entdeckten wir bei Frauen, die bereits eine Geburt hinter sich hatten, bei den Killerzellen eine höhere Anzahl der wichtigen Rezeptoren NKG2C und LILRB1.« Diese waren quasi »schwangerschaftstrainiert« und agierten deshalb effektiver. »Oder anders formuliert: Sie schienen auf die nächste Schwangerschaft zu warten.«
Doch noch steht man ganz am Anfang der Forschung, weshalb es sich nicht genau sagen lässt, ob und wie die unterstützende Funktion der natürlichen Killerzellen bereits in der ersten Schwangerschaft abgerufen werden kann. »Unser Ziel ist die Entwicklung eines Tests, mit dem sich Risikofaktoren screenen lassen«, fasst Yagel zusammen. »Wenn wir mehr darüber in Erfahrungen bringen, wie die natürlichen Killerzellen ihre Arbeit machen, lassen sich daraus womöglich Therapieansätze entwickeln, um eventuelle Defizite auszugleichen – wodurch auch eine erste Entbindung unkomplizierter würde.«
Behandlung Das alles ist auch der Schwerpunkt der Doktorarbeit von Moriya Gamliel, die an dem Projekt in Jerusalem ebenfalls beteiligt war. »Wir wollen versuchen, die Vorläufer dieser natürlichen Killerzellen mit ihrem Gedächtnis, die sich zwischen zwei Schwangerschaften in der Gebärmutter finden lassen, in voll funktionierende Einheiten zu konvertieren«, erklärt die Medizinerin.
»Auf diese Weise ließen sich theoretisch Fälle einer schlechten Plazenta-Entwicklung oder andere Krankheiten bereits außerhalb einer Schwangerschaftsphase behandeln.« Entbindungen würden so ein wenig an ihren Schrecken verlieren, und Frauen mit Risikoschwangerschaften aufgrund von künstlicher Befruchtung oder höherem Alter könnten davon profitieren.