Frau Yedlin, Ihr Roman »Stockholm« wurde für die deutsche Serie »Unter Freunden stirbt man nicht« verfilmt. Gibt es Pläne, auch Ihr neues Buch »Leute wie wir« zu verfilmen, das vor Kurzem als erster Ihrer Romane auf Deutsch herauskam?
Es gibt alle möglichen Überlegungen, aber bisher gibt es noch nichts Konkretes.
Israelische TV-Serien sind im Ausland sehr erfolgreich – wie zum Beispiel »BeTipul«. Die Serie wurde unter anderem in den USA und zuletzt in Frankreich adaptiert. Warum sind israelische Themen für den internationalen Markt so reizvoll?
Ich glaube, das hat zwei Gründe. Natürlich sind Themen aus Israel auf eine bestimmte Weise besonders attraktiv. Zum Beispiel die Serie »Fauda«: Was bei uns im Westjordanland passiert, ist einfach Action, oder man kann es jedenfalls so sehen. Oder »Hatufim« und andere Produktionen, bei denen Spannung und Spionage im Zentrum stehen. In der Therapeutenserie »BeTipul« wiederum geht es um das Universellste, das es gibt: die menschliche Seele. Ich glaube, das trifft auch auf »Stockholm« zu: Freundschaft, Beziehungen, Alter, die Frage, was wir in unserem Leben erreicht haben und was nicht – das sind Themen, die alle Menschen interessieren. In vielen Fällen ist der israelische Aspekt ein »Mehrwert«, aber ich glaube einfach, ohne von mir selbst zu sprechen, dass in Israel talentierte Menschen am Werk sind, die gute Sachen produzieren. Und die Welt versteht das.
Zieht die israelische Intensität und Direktheit, die Konflikte schnell auf den Punkt bringt, die Zuschauer in ihren Bann?
Israel ist in der Tat ein sehr interessantes Land. Im Vergleich zu Deutschland oder anderen europäischen Ländern gibt es hier viele Konflikte, die sogar eine Art konkrete Verführung im Alltag mit sich bringen. Die Menschen leben diese vielen unterschiedlichen Konflikte in zahlreichen Gruppen fast überall in Israel auf der Straße aus, sodass sich das Drama fast von selbst schreibt. Ich glaube aber, dass es noch einen Grund gibt, warum das israelische Fernsehen in den vergangenen Jahren zu einem dermaßen attraktiven Gut geworden ist. In Israel ist der Etat für TV-Sendungen sehr klein. Es gibt einfach kein Geld. Man arbeitet unter starkem Druck, und es ist eine große Herausforderung, gute TV-Serien bei knapper Finanzierung zu produzieren. Dazu muss man sehr kreativ sein. Heute weiß ich, was der Unterschied zwischen einem Filmetat in Israel und den USA ist. Er ist einfach abgrundtief, es geht um ein Vielfaches der Summe. Das ist einfach nicht dieselbe Größenordnung. Wenn man Geld ohne Ende zur Verfügung hat, wird man verwöhnt. Wenn man dagegen wenig Geld hat, ist man hungriger und kreativer.
Sie sind nicht nur Schriftstellerin und Filmautorin, sondern unterrichten auch kreatives Schreiben an einer Schule, die sich auf Hebräisch »Hamegera« nennt – die »Schublade«.
Die Schreibschule gehört zum israelischen Verlag Kinneret Zmora-Bitan Dvir, bei dem ich meine Bücher veröffentliche. Ich habe den Namen nicht erfunden. Aber er gefällt mir. In einer Schreibwerkstatt sind viele Menschen, die ihr erstes Buch noch nicht veröffentlicht haben. Die Manuskripte liegen immer noch in der Schublade. Und so ist auch die Schreibschule eine Art große Schublade, in der alle versuchen, die bestmöglichen Autoren zu werden, die sie jemals sein können, um dann die Schublade zu öffnen und nach draußen zu springen.
Was raten Sie einem Autor oder einer Autorin, die ein Manuskript geschrieben haben und anschließend von Zweifeln geplagt werden, ob es gut genug ist, ob diese Geschichte nicht längst erzählt wurde?
Ein Buch zu veröffentlichen, ist jedes Mal sehr aufregend. Ich würde dem Autor sagen: Was Sie jetzt durchmachen, widerfährt jedem Schriftsteller bei wirklich jedem Buch. Niemand veröffentlicht einen Roman und sagt voller Selbstgewissheit: »Das ist großartig, alle werden dieses Buch lieben, es wird ein toller Erfolg, die Welt muss mich unbedingt lesen!« Nein, im Gegenteil, die Zweifel machen einen Menschen erst zu einem richtigen Schriftsteller. Wenn jemand nicht die ganze Zeit zweifelt, seinen Text wieder und wieder umschreibt und sich unsicher ist, dann würde ich mir viel mehr Sorgen um diesen Autor machen. Ohne Selbstzweifel entsteht keine echte Literatur. Und natürlich würde ich immer dazu raten, ein Buch zu veröffentlichen, denn es gibt nichts, was so viel Spaß macht wie das Schreiben. In meinen Augen gibt es nichts Wertvolleres. Schreiben ist für mich völlige Freiheit und das entschiedenste Glück, das ich kenne. Wenn man mich vor die Wahl stellen würde, entweder für ein Jahr nach Indien zu fahren oder für ein Jahr alleine in einem Zimmer zu sitzen, ohne dass mich irgendjemand stört, dann würde ich mich selbstverständlich für das Schreiben entscheiden. Denn Schreiben ist für mich eine viel größere Freiheit als eine Weltreise. Sehr viele Menschen fahren nach Indien und unternehmen dort die gleichen Dinge an den gleichen Orten. Aber wenn ich schreibe, kann ich alles unternehmen, alles sein und alles erschaffen. Ein erstes Buch zu veröffentlichen, ist eine große Freiheit und ein großes Glück, und ich beneide denjenigen, der das noch vor sich hat.
Wann hört es eigentlich auf mit den Zweifeln? Reagieren Sie als Schriftstellerin immer noch empfindlich auf schlechte Kritiken und denken: Ich habe alles falsch gemacht, mein Buch ist Müll? Oder sind diese Zeiten für Sie zum Glück vorbei?
Wir Menschen erinnern uns leider viel stärker an negative Erfahrungen als an die positiven. Alles Schlechte, das man mir in meinem Leben gesagt hat, habe ich noch parat. Die guten Dinge dagegen … Ich bin deshalb der Überzeugung, dass man auf jedes böse Wort mit 30 guten Wörtern antworten muss, damit es besser wird. Der Umgang mit Kritik verändert sich natürlich im Lauf der Jahre. Und je mehr Komplimente und gute Kritiken man bekommt, und je mehr positive Erfahrungen ein Mensch macht, desto leichter ist es, negative Reaktionen zu ertragen. Aber für mich bleibt es immer noch schwer. Die Zweifel bleiben bis zum Tag unseres Todes, und sie sind es, die uns menschlich machen. Ich möchte keinen Schriftsteller lesen, der keine Zweifel hat, und einen solchen Menschen möchte ich auch nicht kennenlernen.
In Ihrem Buch »Leute wie wir« geht es auch um Hunde. Sind Sie Hundehalterin?
Nein, ich hatte als Kind einen Hund. Aber ich bin ein Katzenmensch. Ich weiß nicht, ob man das dem Buch anmerkt … Die Hunde in dem Buch sind ja auch nicht irgendwelche Hunde …
… sondern aggressive Kampfhunde …
… teilweise sind sie aggressiv. Im Prinzip liebe ich Hunde. Irgendwann im Buch sagt jemand: »Was ist das für ein Mensch, der keine Hunde mag?« Also, ich mag Hunde, sie sind süß und lieb. Aber wenn ich mich zwischen einem Hund und einer Katze entscheiden muss, dann nehme ich die Katze.
Warum?
Weil ich verrückt danach bin, dass Katzen »hard to get« sind. Ich hatte 17 Jahre lang einen Kater. Aber er ist vor Kurzem gestorben. Ich bin immer noch in der Trauerphase.
Was war das für ein Kater?
Ein Straßenkater, dick und schön und prächtig. Weiß-braun-grau gefleckt. Er war wunderbar, und ich habe ihn sehr geliebt. Ich werde eine ganze Zeit brauchen, bis ich mir einen neuen Kater zulege.
Sie schreiben darüber, wie man eine Wohnung im richtigen Viertel kauft – ein sehr israelisches Thema. Sind Sie selbst Wohnungsbesitzerin?
Ich bin auf das Thema gekommen, nachdem wir nach Jaffo gezogen waren. Dort ist es anders als in dem Viertel im Buch, Jaffo hat eine Gentrifizierung erlebt, und es gibt dort inzwischen viele »Leute wie wir«. Es ist ein faszinierender Ort, denn viele Konflikte, die es in Israel gibt, sind dort alltäglich. Ich glaube, dass man entscheidet, welche Art von Mensch man sein möchte, sobald man eine Wohnung kauft. Sozusagen ein Moment des Erwachsenwerdens. Wenn man Eigentum erwirbt, kommt man an seine eigenen Grenzen: Wie viel Geld habe ich? Welches Leben führe ich, welches werde ich nicht mehr führen? Immobilien sind emotional sehr aufgeladen, es geht nicht nur um Wände und Fußböden. Menschen, die in einer privilegierten Welt aufgewachsen sind, müssen sich niemals fragen, wie sie mit ihren Mitmenschen umgehen. Aber wenn sie sich auf einmal an einem Ort befinden, wo sie in der Minderheit sind, wo ihre Bildung und ihre Intellektualität nicht zählen, dann stehen sie vor einer Herausforderung. Wen interessiert es dann, ob ich den Sapir-Preis für Literatur gewonnen habe? Das beeindruckt niemanden.
Sie kennen diese Erfahrung …
Wir sind in ein Gebäude gezogen, wo ein Nachbar auf dem Dach Rottweiler züchtete, um sie zu verkaufen. Wir waren schockiert und fanden es beängstigend. Wo waren wir nur hingeraten? Ein Mensch, der Rottweiler züchtet – zu was könnte der fähig sein? Das hat mir die Idee geliefert. Im Buch ist das anders, weil es in einem schlimmen Viertel spielt, in das noch keine »Zuwanderer« gezogen sind. Ein sehr israelisches Thema.
Hat der Rottweiler-Züchter Ihr Buch gelesen?
Das bezweifle ich.
Sie sind ausgesprochen ironisch in der Beschreibung von Osnat und Dror – des Paars, das verzweifelt versucht, sich in einer fremden Welt zurechtzufinden. Ist diese Art von Satire typisch für Ihr Schreiben?
Ja, das ist mein Stil. Und es geht um etwas sehr Grundsätzliches. Osnat und Dror und überhaupt »Leute wie wir« halten sich für große Liberale. Wir sind tolerant, wir lieben den »anderen«, wir sind für Multikulturalität und Diversität. Es ist wunderbar, sich selbst für einen guten Menschen zu halten. Nur sollte man diese Haltung lieber keiner Realitätsprüfung unterziehen. Denn dann könnte sich zeigen, dass die Wahrheit viel differenzierter ist und es nicht einfach ist, liberal zu sein in einer gar nicht so eleganten Realität. Wenn die liberale Maske daran zerbricht, erzeugt das Unbehagen. Deshalb interessiert es mich, darüber zu schreiben.
Unbehaglich fühlt Osnat sich auch, weil ihre Nichte den Kiddusch spricht. Was ist bedrohlich daran?
Diese Zwölfjährige ist eine hochbegabte Musterschülerin. Sie spricht nicht nur den Kiddusch, sondern sie ist religiös geworden. Das ist alles – sie ist keine Verbrecherin, sie nimmt keine Drogen. Aber das reicht schon, um eine Familie von Akademikern zu erschüttern. Weil sie sich anders als »Leute wie wir« verhält, als die Linken, die Liberalen, die Fortschrittlichen. Denn die israelische Gesellschaft ist in dieser Hinsicht so gespalten, dass wir automatisch befürchten, eine religiös gewordene Frau heiratet mit 20 und macht kein Doktorat. Das ist das Stereotyp. Wir versuchen natürlich, nicht von einer Information auf den ganzen Menschen zu schließen, aber wenn es um unsere Kinder geht, dann versagen die rationalen Mechanismen, mit denen wir Stereotype hinterfragen. Und dann sind wir – wie in dem Buch – nicht bereit, unsere Kinder in die staatliche Schule in der Nachbarschaft zu schicken, obwohl wir prinzipiell davon überzeugt sind, dass wir das tun müssten.
Wie ist Ihr Buch in Israel angekommen? Haben sich die Leser darin wiedergefunden?
Ich glaube schon. Denn das Thema Gentrifizierung ist hier sehr zentral. Mir haben auch viele Leser erzählt, dass sie sich mit ihren Nachbarn um einen Parkplatz gestritten haben – genau wie im Buch. Und zwar nicht nur mit Worten, sondern mit Fäusten.
Mit der israelischen Schriftstellerin sprach Ayala Goldmann.