Mindestens acht Mal lässt Regisseur Kilian Riedhof seine Anti-Heldin ihr Spiegelbild anstarren. Wohl, damit dem Zuschauer auf keinen Fall entgeht, dass diese Frau eine gespaltene Persönlichkeit ist, zerteilt wie ein Toilettentischspiegel, zersplittert in ihrer Moral. Und sie gefällt sich darin, bereits in der ersten Filmminute küsst sie stieren Blickes ihr kaltes Abbild.
Gespalten fühlt man sich auch als Betrachter, denn Stella – Ein Leben bietet sich für ein eindeutiges Urteil so wenig an wie Stella Goldschlag selbst. Diese schöne böse Jüdin, die mit den Nazis gemeinsame Sache machte. Wobei es Leute gibt, die bei dieser Beschreibung nur zu gern vergessen, dass sie dazu gezwungen wurde. Denn es ging nicht nur um ihr Leben, sondern auch um das ihrer Eltern, sodass die junge Frau schließlich darum bettelte, untergetauchte Juden in Berlin an die Gestapo liefern zu dürfen. Würden diese vergesslichen Leute ins Kino gehen, könnte dieser Film durchaus Gedächtnislücken füllen. Tun sie aber nicht.
Und die, die ihn sehen wollen, kennen die Geschichte von Stella eigentlich schon und somit wahrscheinlich auch Peter Wydens Buch von 1992, das alles enthält, was es zu dieser tragischen Figur, die er auch selbst zu Wort kommen lässt, zu sagen gibt. Ein Buch, so mutig in seiner Verurteilungsabstinenz, dass es erst ein Erfolg wurde, nachdem 27 Jahre später Takis Würgers fiktionalisierter Stella-Roman für einen Skandal sorgte. Aber wir wollten ja über den Film sprechen, dessen Existenz nach der heftigen Debatte 2019, ehrlich gesagt, auch ein wenig verwundert.
Auch stilistisch scheint diese Produktion so unschlüssig wie seine Kritikerin. Ein bisschen Eldorado KaDeWe-Ästhetik trifft auf Arthouse-iges »Ganz-nah-dran« an Stellas starrem Gesicht, gemixt mit ZDF-Erklärungsnot.
Stella will glitzern
1940, da wurde Stella 18 Jahre alt, wollen Juden, die es bisher nicht geschafft haben, nur noch raus aus Nazi-Deutschland. Aber egal, wie sehr Stellas Vater bei der US-Botschaft bettelt, keiner will die Flüchtlinge haben. Stella ist genervt, sie will Spaß, am Broadway singen und das Glitzerkleid ihrer Mama. »Ich habe keine Lust mehr auf das Gejammer«, sagt sie und meint damit ihre Band-Kollegen, ihre Eltern und ihren Fast-Ehemann Fred. Vielleicht deshalb klingt ihr »Let’s misbehave« so überzeugend.
Trotz permanenter Panik reißt Stella sich den gelben Stern vom Mantel und geht aus.
Schnitt zum Februar 1943. Ausgeglitzert. Stella muss in einer Rüstungsfabrik arbeiten, verdreckt und mit Judenstern an der Brust. Jeden Tag werden Menschen deportiert, und jeder ahnt, was das für sie bedeutet. Doch trotz permanenter Panik reißt Stella sich den Stern vom Mantel und geht aus. »Die Welt geht unter, und Madame amüsiert sich!«, sagt die Mutter, als Stella nach der Sperrstunde nach Hause kommt, in der sie einen SS-Mann aufgerissen hat.
Gerüchte kursieren darüber, was »im Osten« passiert. »Schauergeschichten«, verspricht Stellas Band-Kumpel Aaron seinen deprimierten Freunden. »Leute, wir haben die letzten paar Tausend Jahre überlebt, wir überleben auch die Nazis!« »Shine like the sun through the rain«, singt Stella, bis alle lächeln. Juden werden auf offener Straße zur Deportation getrieben, und Stella geht mit ihrem Naziverehrer in die Oper.
Als die Fabrik geräumt wird, gelingt Stella und ihrer Mutter die Flucht. Stellas Mann Fred nicht. Die Goldschlags müssen sich verstecken. Stella geht raus, um Essen zu besorgen. Dabei läuft sie Rolf Isaaksohn in die Arme, mit dem sie fortan eine wilde Hassliebe verbindet. Sie küssen und sie schlagen sich. Sie machen Geld damit, Ausweise zu fälschen, die Juden das Untertauchen ermöglichen.
Und dann gibt es diese eine wirklich unvergessliche Szene, als Stella, Rolf und ein Freund während eines Luftangriffs durch das menschenleere Berlin rennen und die Deutschen verhöhnen, während um sie herum die Bomben fallen. Für einen aus der Zeit gefallenen Augenblick scheinen sie unberührbar.
Blondine als Lockvogel
Leider reichte das dem Regisseur nicht, und sie brechen auch noch in eine Wohnung ein, wo offensichtlich gerade vornehm gefeiert wurde, als die Sirenen losheulten. Tausend Kerzen brennen, das feinste Geschirr funkelt auf festlich geschmückten Tischen. Und während die Bomber am Oberlicht vorüberziehen, tanzen die Juden auf dem Vulkan – natürlich zum Klang von Wagners »Walkürenritt«. Schnappatmung.
Dann werden sie auch schon verraten, und zwei Gestapo-Männer prügeln Stella fast das Leben aus dem Leib, bis ihnen einfällt, dass sie die Blondine als Lockvogel benutzen können. Diesmal gibt es den Spiegel invers: Stella starrt mit blutverschmiert-verschwollenem Gesicht aus dem Autofenster, an dem von außen das Gesicht des Verratenen klebt.
Die Juden tanzen auf dem Vulkan – natürlich zum Klang von Wagners »Walkürenritt«.
Nach einem kurzen Fluchtversuch werden Stella und ihre Eltern gefasst und ins Sammellager gesperrt, wo die zusammengepferchten Menschen auf die Deportation warten müssen. Es fallen Sätze wie »Wir haben ein Recht auf Theresienstadt«. Stella vergeht vor Angst.
Als sie zwei jüdischen »Greifern« begegnet, sieht sie einen Fluchtweg aus der Hilflosigkeit. Denkt sie jedenfalls und bietet sich selbst als Judenfängerin an. Bald steht das »blonde Gespenst« auf dem Ku’damm, um den Nazis Juden zu liefern. »Es ist nicht gut, das eigene Volk zu verraten«, sagt der Vater.
Stella holt Rolf ins Team, der sich mit »Ich machʼ den ganzen Zug voll« vorstellt, und es beginnt das fröhliche Jagen. Anders kann man den Zusammenschnitt von Menschen arretieren und dabei ausrauben, bevor die Gestapo sie holt, wohl nicht nennen. Und weil in solchen Filmen der irre Nazi nicht fehlen darf, heult sich zu Weihnachten ein SS-Mann an Stellas Brust aus, während er ihr davon berichtet, was in Auschwitz passiert. Da sind ihre Eltern längst auf dem Weg dorthin.
Gerade jetzt
Schnitt zu 1957. Stella wird in Berlin vor Gericht gestellt. Sie muss sich Alliiertenaufnahmen von der Befreiung von Konzentrationslagern ansehen. Im Gerichtssaal konfrontieren Überlebende sie mit ihren Taten. Stella scheint unberührt, geht sogar so weit, selbst gegen Juden zu hetzen.
Stella Goldschlag wurde damals schuldig gesprochen, doch musste sie nicht ins Gefängnis, weil sie bereits zehn Jahre in einem russischen Gefangenenlager saß. 1994 hat sie sich das Leben genommen. »Da kann sie sich doch gleich einen Strick nehmen«, hatte Aaron gesagt, als er das erste Mal von einer blonden Greiferin hörte, ohne zu wissen, wer es war.
Die Macher nennen Stella – Ein Leben ein »starkes Zeichen gegen Diktatur«, gerade jetzt. Glücklicherweise ist auch Michel Friedman bei dem Special-Screening mit anschließender Diskussion in Berlin anwesend.
Der, wie es Friedmans Art ist, entschuldigt sich zuerst höflich, vernebelt die Köpfe mit ein paar Abschweifungen, sagt, dass er nichts bewerten wolle, um dann in aller Schärfe rauszuhauen, was er denkt: Die Nachfahren der Täter sollten endlich damit beginnen, sich die Taten in ihren eigenen Familien anzusehen, anstatt auf die Opfer zu starren, die zu all dem rein gar nichts konnten. »Damit wir lernen, wie das Gift des Hasses überhaupt in die Menschen eindringen konnte.« Gerade jetzt.