Pädagogik

Das Bild vom anderen

In deutschen Schulbüchern taucht Israel fast nur im Kontext des Nahostkonflikts auf. Foto: Thinkstock

Anmerkung der Redaktion (2. August 2023):

Als dieser Text von Fabian Wolff in der Jüdischen Allgemeinen erschien, glaubte die Redaktion Wolffs Auskunft, er sei Jude. Inzwischen hat sich Wolffs Behauptung als unwahr herausgestellt.

»In deutschen Schulbüchern wird Israel zum Täter«, kritisierte der Journalist Gideon Böss vor einem Jahr in einem Artikel der »Welt«. Ob dem so ist, wie Israel in deutschen Lehrwerken dargestellt wird und Deutschland in israelischen, damit beschäftigte sich die Deutsch-Israelische Schulbuchkommission Anfang dieser Woche bei ihrer ersten Konferenz in Berlin.

stereotypen Wie notwendig das Treffen war, sah Hans-Michael Seidt vom Auswärtigen Amt, in dessen Räumen die Konferenz stattfand, durch jüngste Studien bestätigt. So zeigt die deutsche Antisemitismusstudie aus dem Jahr 2011, die vor einem Monat im Bundestag diskutiert wurde, das Erstarken von Antisemitismus im Tarnmantel der »Israelkritik«. Und in Israel glauben rund ein Viertel aller Jugendlichen, dass sich Deutschland heute nicht von dem vor 70 Jahren unterscheidet.

Folgerichtig wurden bei dem Treffen Studien erörtert, die das Bild des jeweils anderen Landes zum Thema hatten. In den nächsten Jahren wird sich die Kommission auch mit der Darstellung der Schoa, Globalisierungsdiskursen und abschließend mit der Darstellung der Geschichte von Juden in Deutschland befassen.

Die deutsche Seite der Kommission stand dabei vor einem gewaltigen Textberg: Durch den offenen Schulbuchmarkt und die länderabhängigen Rahmenlehrpläne, mussten insgesamt 1150 Werke aus den Fächern Sozialkunde, Geschichte und Erdkunde untersucht werden. In den meisten Büchern taucht Israel stets im gleichen Kontext auf: In allen drei Fächern wird es vor allem anhand des Nahostkonflikts behandelt. In Geografie kommen noch länderkundliche Aspekte dazu. Ohne endgültige Aussagen treffen zu können, sieht Dirk Sadowski vom auf deutscher Seite federführenden Georg-Eckert-Institut für internationale Schulbuchforschung in Braunschweig einige gehäuft auftretende Verzerrungspunkte.

So werde der Nahostkonflikt im Geschichtsunterricht meist wie eine griechische Tragödie zwischen zwei Völkern dargestellt. Hinweise auf andere Akteure wie die Arabische Liga fehlten ebenso wie eine genaue Geschichte der Gründung des Staates Israel. Methodisch diene die Behandlung des Konflikts im Geschichts- und Politikunterricht vor allem dem Erkennen von historischen Wurzeln von Gegenwartsproblemen. Doch auch dabei träten immer wieder Probleme auf – etwa, wenn schon im Zusammenhang mit der Staatsgründung 1948 von einem israelisch-amerikanischen Bündnis die Rede sei. Auch an mediale Muster anknüpfende Bebilderungen (Steinewerfer gegen Panzer) und allgemeiner Orientalismus seien teilweise erkennbar.

hegemonie Der israelische Part der Kommission – das Mofet-Institut für Lehrerausbildung in Tel Aviv – hatte ungleich weniger Untersuchungsmaterial zur Verfügung. In Israel, so Arie Kiezel vom Mofet-Institut, sei das Schulbuch eine »hegemoniale Institution« und wegen der Ausrichtung auf das Abitur das Hauptinstrument im Schulunterricht. Deutschland tauche in zweierlei Gestalt auf: Zum einen bei der Beschäftigung mit der Schoa, zum anderen als westliche Demokratie, wenn es um die Geschichte der letzten 60 Jahre ginge. In jedem Fall aber, so Kiezel: »Die israelischen Schüler werden nicht dazu erzogen, Deutschland zu hassen oder sich an dem Land zu rächen.«

Um die Forschungsergebnisse einzuordnen, fanden im Rahmen der Konferenz sechs Fachgespräche statt. Konzepte wie »Raum und Grenzen« und »Erziehung und Integration« wurden in deutsch-israelischen Kontexten diskutiert. So debattierten Heinz-Gerhard Haupt vom Europäischen Hochschulinstitut und Moshe Zimmermann von der Hebräischen Universität Jerusalem die Begriffe »Nation und Nationalismus«. Zimmermann war schon in den 80er-Jahren Mitglied einer ähnlichen Kommission, deren Empfehlungen noch heute nachwirken.

Der während der Konferenz gefallene Satz »Schulbücher sind ein Politikum« könnte auch als Motto über der gesamten Arbeit der Kommission stehen, deren letztendliches Ziel das Erkennen und Überwinden kultureller Differenzen ist. Eine dieser Differenzen besteht aktuell darin, dass in der Darstellung des jüdischen Staats der Aspekt der israelischen Zivilgesellschaft fehlt. Nicht nur dazu wird die Kommission Empfehlungen formulieren, um Mängel in den Schulbüchern baldmöglichst zu beheben.

Kulturkolumne

Lob der Anwesenheit

Lahav Shani und Jason Stanley: Warum unser Autor nicht nur in der Westend-Synagoge vor Ort ist

von Eugen El  26.11.2025

Film

Shira Haas ist Teil der Netflix-Serie »The Boys from Brazil«

Die israelische Schauspielerin ist aus »Shtisel« und »Unorthodox« bekannt

 26.11.2025

Kulturkolumne

Was bleibt von uns?

Lernen von John Oglander

von Sophie Albers Ben Chamo  25.11.2025

Kultur

André Heller fühlte sich jahrzehntelang fremd

Der Wiener André Heller ist bekannt für Projekte wie »Flic Flac«, »Begnadete Körper« und poetische Feuerwerke. Auch als Sänger feierte er Erfolge, trotzdem konnte er sich selbst lange nicht leiden

von Barbara Just  25.11.2025

Jüdische Kulturtage

Musikfestival folgt Spuren jüdischen Lebens

Nach dem Festival-Eröffnungskonzert »Stimmen aus Theresienstadt« am 14. Dezember im Seebad Heringsdorf folgen weitere Konzerte in Berlin, Essen und Chemnitz

 25.11.2025

Hollywood

Scarlett Johansson macht bei »Exorzist«-Verfilmung mit

Sie mimte die Marvel-Heldin »Black Widow« und nahm es in »Jurassic World: Die Wiedergeburt« mit Dinos auf. Nun lässt sich Scarlett Johansson auf den vielleicht düstersten Filmstoff ihrer Laufbahn ein

 25.11.2025

TV-Tipp

Sie ging über Leichen: Doku »Riefenstahl« zeigt eine überzeugte Nationalsozialistin

Das Erste zeigt Andres Veiels vielschichtigen Dokumentarfilm über Leben und Wirken von Hitlers Lieblingsregisseurin Leni Riefenstahl. Der Film geht auch der Frage nach, wie ihre Filme bis in die Gegenwart ausstrahlen

von Jens Hinrichsen  24.11.2025

Nachruf

Das unvergessliche Gesicht des Udo Kier

Er ritt im Weltall auf einem T-Rex, spielte für Warhol Dracula und prägte mit einem einzigen Blick ganze Filme. Udo Kier, Meister der Nebenrolle und Arthouse-Legende, ist tot. In seinem letzten Film, dem Thriller »The Secret Agent«, verkörpert er einen deutschen Juden

von Christina Tscharnke, Lisa Forster  24.11.2025

TV-Kritik

Viel Krawall und wenig Erkenntnis: Jan Fleischhauer moderiert im ZDF den Kurzzeitknast der Meinungen

Mit »Keine Talkshow - Eingesperrt mit Jan Fleischhauer« setzt das ZDF auf Clash-TV: ein klaustrophobisches Studio, schnelle Schnitte, Big-Brother-Momente und kontroverse Gäste - viel Krawall, wenig Erkenntnis

von Steffen Grimberg  24.11.2025