Fotografie

Das Auge von Berlin

Fotograf Efraim Habermann in seiner Berliner Wohnung Foto: Stephan Pramme

Jeder Mensch, sagt Efraim Habermann, hat eine Geschichte, seine Geschichte, die er irgendwann einmal erzählt. Auch er erzählt in seinen Fotografien eine Geschichte, nicht nur seine eigene, sondern die von Venedig, Paris, Jerusalem oder Berlin – Geschichten von Städten und Menschen, die ihn begeistern und herausfordern.

»Als ich auf den Canal Grande blickte, war das eine Inspiration und eine Liebe auf den ersten Blick«, berichtet er mit einem Augenzwinkern über seine allererste Reise in die Lagunenstadt. Inzwischen hat er sie mehr als ein Dutzend Mal besucht und die unzähligen Variationen von Treppen, Brücken, Kanälen und Häuserfassaden in sich aufgenommen. »Ich habe zu Venedig eine innere Neigung, die in den Fotografien zum Ausdruck kommt. Da ist die Vergänglichkeit der Stadt und ihre Schönheit selbst dort, wo sie vom Verfall bedroht ist.«

Leica Schönheit, Vergänglichkeit und Verfall – Elemente, denen er mit seiner Leica auch in Berlin seit Jahrzehnten auf der Spur ist. Wenn er das Gemeindehaus in der Fasanenstraße, einen dahinrostenden S-Bahn-Bogen oder eine marode Hinterhauswand, die Freitreppe des Alten Museums, die Silhouette des Kulturforums oder eine Plakatwand vor dem Theater des Westens einfängt, dann geht es ihm nicht um Dokumentation, sondern um Meditation – für sich selbst und für den Betrachter. »Ich kann tagelang die Stadt durchstreifen, ohne auf ein Motiv zu stoßen, aber plötzlich geht eine Wallung durch mich hindurch, ich fühle die Inspiration und finde die entsprechende Perspektive«, beschreibt er die Art seiner fotografischen Arbeit.

Als »Kunst des Sehens« bezeichnet Efraim Habermann dieses Vorgehen, bei dem er sich auf einen Ausschnitt aus der Wirklichkeit konzentriert und ihn im Sucher der Kamera nach seiner verborgenen Struktur gestaltet. Dabei entstehen kunstvolle Schwarz-Weiß-Fotografien mit ausgearbeiteten Hell-Dunkel-Kontrasten, die wie Puzzleteile wirken. »Erklären kann ich meine Fotos nicht«, lacht Efraim Habermann. »Sie besitzen Substanz, aber keine Botschaft.«

Efraim Habermann gehört zur Berliner jüdischen Gemeinde wie sie zu ihm. In der Fasanenstraße ist er bekannt und beliebt wie kaum ein Zweiter. Als Urgestein alter Westberliner Eleganz trägt der 72-Jährige auch alltags den Anzug mit der gleichen Selbstverständlichkeit wie andere die Jeans. Im Restaurant des Gemeindehauses hat er seit vielen Jahren zu Mittag seinen festen Platz, ebenso für den Espresso im Wintergarten des Literaturhauses, für das Glas Rotwein im Ristorante Via Condotti oder für den Morgenkaffee im Manzini. Wo immer er auftritt, verbreitet er gute Laune – italienische Arien singend oder aber mit seinen lustigen und traurigen Geschichten, die das Leben schreibt.

Biografie Geboren wurde Efraim Habermann 1933 in Berlin. Im November 1939 konnte er mit seinen Eltern, die bis dahin ein Schuhgeschäft in der Friedrichstraße führten, nach Palästina flüchten. Die Großeltern wurden in Auschwitz ermordet. Nach seiner Schulzeit im Mandatsgebiet und dem Armeedienst bei der israelischen Luftwaffe kehrte er 1957 nach Berlin zurück und arbeitete bis Anfang der 70er-Jahre als Grafiker und technischer Zeichner für den Berliner Senat. Währenddessen machte er seine Leidenschaft für die Fotokunst zum Beruf.

Als einer der Ersten verkaufte er den Berliner Tageszeitungen regelmäßig seine Kunstfotos. »Das war damals ein neues Genre«, erinnert sich der Foto-Poet, wie ihn Freunde und Fans bezeichnen. »Der Redakteur war froh, dass er nicht mehr nur ›Enten auf dem Wannsee‹ abdrucken musste.« Neben dem Tagesspiegel interessierten sich allmählich auch Fotozeitschriften und zahlreiche Galerien für seine Kunst.

Seither ist Habermann regelmäßig mit Einzel- oder Gruppenausstellungen im Jüdischen Gemeindehaus, in der Galerie Hulsch und in der Kommunalen Galerie vertreten, darüber hinaus stellte er in der Berliner Galerie Poll und in der Neuen Nationalgalerie aus und beteiligte sich an zahlreichen in- und ausländischen Präsentationen. Inzwischen werden seine Fotografien zu Liebhaberpreisen auf Internetauktionen gehandelt.

Doch Fotografie, wie er sie betreibt – langsam und jedes Motiv sorgfältig aussuchend, in Schwarz-Weiß und auf grobkörnigem Spezialpapier –, ist in Zeiten der Digitalfotografie ein aussterbendes Metier.

Heute feiert der Fotograf seinen 80. Geburtstag. Masal tow bis 120.

Programm

Termine und TV-Tipps

Termine und Tipps für den Zeitraum vom 20. Februar bis zum 27. Februar

 21.02.2025

Berlinale

»Das verdient kein öffentliches Geld«

Der Berliner CDU-Fraktionschef Dirk Stettner hat seine Karte für die Abschlussgala zerrissen – und will die Förderung für das Filmfestival streichen

von Ayala Goldmann  21.02.2025

Bayern

NS-Raubkunst: Zentralrat fordert schnelle Aufklärung

Der Zentralrat der Juden verlangt von den Verantwortlichen im Freistaat, die in der »Süddeutschen Zeitung« erhobenen Vorwürfe schnell zu klären

 20.02.2025

Kolumne

Unentschlossen vor der Wahl? Sie sind in guter Gesellschaft – mit Maimonides

Der jüdische Weise befasste sich mit der Frage: Sollten wir als Kopfmenschen mit all unserem Wissen auch bei Lebensentscheidendem dem Instinkt vertrauen?

von Maria Ossowski  20.02.2025

Berlin

Eine krasse Show hinlegen

Noah Levi trat beim deutschen Vorentscheid für den Eurovision Song Contest an. In die nächste Runde kam er nicht, seinen Weg geht er trotzdem

von Helmut Kuhn  20.02.2025

NS-Unrecht

Jüdische Erben: »Bayern hat uns betrogen« - Claims Conference spricht von »Vertrauensbruch«

Laut »Süddeutscher Zeitung« ist der Freistaat im Besitz von 200 eindeutig als NS-Raubkunst identifizierten Kunstwerken, hat dies der Öffentlichkeit aber jahrelang verheimlicht

von Michael Thaidigsmann  20.02.2025

Literatur

»Die Mazze-Packung kreiste wie ein Joint«

Jakob Heins neuer Roman handelt von einer berauschenden Idee in der DDR. Ein Gespräch über Cannabis, schreibende Ärzte und jüdischen Schinken

von Katrin Richter  20.02.2025

Berlinale

Auseinandergerissen

Sternstunde des Kinos: Eine Doku widmet sich David Cunio, der am 7. Oktober 2023 nach Gaza entführt wurde, und seinem Zwillingsbruder Eitan, der in Israel auf ihn wartet

von Ayala Goldmann, Katrin Richter  19.02.2025

Berlin

»Sind enttäuscht« - Berlinale äußert sich zu Antisemitismus-Skandal

»Beiträge, die das Existenzrecht Israels infrage stellen, überschreiten in Deutschland und auf der Berlinale eine rote Linie«, heißt es in einer Erklärung des Festivals

von Imanuel Marcus  19.02.2025