Bildungsabteilung

Damit Judenhass nicht Schule macht

200 Sozialarbeiter, Pädagogen und Vertreter aus Gemeinden und Dialog-Vereinen im Ignatz-Bubis-Gemeindezentrum; Foto: Rafael Herlich

Der Rapper und gebürtige Israeli Ben Salomo tat der Stimmung im Saal gut. Mit seinem Song »Man sagt mir, gewöhn dich dran« demonstrierte er den Willen, sich gegen Antisemitismus und neudeutsche Extreme zur Wehr zu setzen.

Mehr als 200 Pädagogen, Sozialarbeiter, Wissenschaftler und Vertreter der jüdischen Gemeinden, von Dialog-Vereinen, Schulen und der politischen Bildung waren auf Einladung des Zentralrats der Juden ins Frankfurter Ignatz-Bubis-Gemeindezentrum gekommen, um über pädagogische Konsequenzen aus einer Vielzahl von Antisemitismus-Studien zu sprechen. Nach den vielen zuvor ermittelten unerfreulichen Befunden machte der selbstbewusst kämpferische Auftritt von Ben Salomo Mut.

Chamäleon »Wir bedauern, dass wir diese Tagung ausrichten müssen«, gestand Doron Kiesel, wissenschaftlicher Direktor der Bildungsabteilung im Zentralrat, zu Beginn der Konferenz. Aber mit der neuen Welle des Antisemitismus würden auch die Grundlagen der liberalen und pluralen Gesellschaft infrage gestellt. Salomon Korn, Vorstandsvorsitzender der Frankfurter Gemeinde, befand in seinem Grußwort, dass Antisemitismus nie völlig verschwunden ist, sondern – einem Chamäleon gleich – in immer neuen Varianten auftrete.

Sehr erfolgreich seien die bisherigen pädagogischen Bemühungen nicht gewesen, gab Korn zu bedenken. Im Internet werde Antisemitismus ungehemmter ausgelebt als je zuvor. Deshalb einen Rückzug anzutreten, sei allerdings keine Option. Unterstützt wurde diese Haltung nicht nur von Felix Klein, dem Beauftragten der Bundesregierung für jüdisches Leben und den Kampf gegen Antisemitismus, sondern auch von seinen anwesenden Kollegen Uwe Becker (Hessen), Ludwig Spaenle (Bayern) und Michael Blume (Baden-Württemberg).

Das Internet ist das wichtigste Medium für die Verbreitung von Antisemitismus.

Tatsächlich ist das Netz heute das wichtigste Medium für die Verbreitung antisemitischer Einstellungen. Wichtiger noch als das klassische Internet seien die Untiefen des sogenannten Deep Web, einer digitalen Parallelwelt außerhalb der Reichweite der bekannten Suchmaschinen. Plattformen wie »4chan« oder »8chan«, in denen man sich anonym äußern könne, würden vor allem von jungen Leuten genutzt, erläuterte Matthias J. Becker, Linguist und Antisemitismusforscher an der Sheffield Hallam University und der Universität Haifa.

Für sie sei das oft die wichtigste Quelle für Informationen und zudem ein Ort, an dem sie Meinungen und Verschwörungstheorien austauschen und verfestigen könnten. Für Vorurteile und Hassreden gebe es im Deep Web keine Schranken mehr. Typisch seien gehässige Wortspiele wie »Zionazis«, »USrael«, »IsraHell«, Anspielungen (»Ostenküsten-Lobby«), NS-Vergleiche und indirekte Sprechakte: »Wer hält schon wieder die Hand auf?«

Antisemitismusstudien »Es vergeht kaum ein Tag ohne eine neue Studie zum Antisemitismus«, stellte Stefanie Schüler-Springorum fest. Die Direktorin des Zentrums für Antisemitismusforschung an der Technischen Universität Berlin hat bei der Durchsicht der bisher bekannt gewordenen Arbeiten festgestellt, dass viele wesentliche Veröffentlichungen zum Judenhass schon vor 1933 erschienen sind.

Schon damals habe man festgestellt, dass die Judenfeindlichkeit nicht allein mit der Tradierung des mittelalterlichen Judenhasses erklärt werden könne, sondern eher mit Versuchen, die Welt einfacher und mit klaren Feindbildern zu strukturieren. Gruppen würden aus der Gesellschaft ausgeschlossen, um sich in unsicheren Zeiten der eigenen Bedeutung zu versichern. Religion spiele dabei nahezu keine Rolle. Nach 1945 seien nicht viele neue Erkenntnisse hinzugekommen.

Kurz nach dem Krieg waren 40 Prozent der Bevölkerung entschiedene Antisemiten.

1947 stellte die amerikanische Militärregierung im Rahmen einer Befragung in ihrer Besatzungszone fest, dass rund 40 Prozent der Bevölkerung entschiedene Antisemiten und nur 20 Prozent weitgehend frei von Ressentiments seien. Jüngere Studien zeigten zwar, so Beate Küpper von der Hochschule Niederrhein, dass der klassische Antisemitismus kontinuierlich abgenommen habe, dafür sei aber der israelbezogene Antisemitismus mit über 24 Prozent recht hoch.

Noch höher sei die Zustimmung für die Forderung nach einem Schlussstrich unter die deutsche Vergangenheit.
Solche Einstellungen fänden sich auch bei Lehrerinnen und Lehrern, hat Julia Bernstein von der Frankfurter Universität für Angewandte Wissenschaften festgestellt. Häufig fühlten sich diese aber überfordert, antisemitische Kommentare von Schülern zu parieren, und hörten lieber weg.

Das Dialogprojekt Likrat ermöglicht Begegnung auf Augenhöhe.

Bei Schülern, so hat die Frankfurter Professorin im Rahmen einer großen qualitativen Untersuchung festgestellt, hätten antisemitische Haltungen den Charakter von Normalität angenommen. Meist würden sie sich hinter »Israelkritik« verbergen, aber Sprüche wie »Du Jude«, »Mach mal keine Judenaktion« oder »Deine Mutter ist doch Jude« offenbarten ein tiefer sitzendes Ressentiment. Das einzig probate pädagogische Mittel dagegen sei, die Schüler bei Äußerungen dieser Art sofort zu stellen, unabhängig davon, ob es jüdische Schüler in der Klasse gebe, die sich beleidigt, gekränkt oder bedroht fühlen könnten.

Positionierung Sich deutlich zu positionieren, sei das Gebot der Stunde, betonte auch die pädagogische Leiterin der Bildungsabteilung, Sabena Donath. In ihrem Impulsreferat vor den vertiefenden Workshops schlug sie vor, Verbündete zu suchen, Israel unabhängig vom Nahost-Konflikt zum Thema zu machen, die radikale Auseinandersetzung mit der Schoa zu fördern und eine deutlich positivere Haltung zu jüdischem Leben in Deutschland an den Tag zu legen.

Harry Schnabel, im Frankfurter Gemeindevorstand und Mitglied im Präsidium des Zentralrats, hatte bereits in seinem Grußwort zu Beginn der Konferenz auf die vielversprechenden Dialogprojekte des Zentralrats hingewiesen, wie es beispielsweise »Likrat« ist.

Likrat Hier besuchen jüdische Schülerinnen und Schüler zwischen 15 und 18 Jahren ihre Altersgenossen in der Schule. Bundesweit seien daran rund 150 jüdische Jugendliche aus dem gesamten religiösen Spektrum beteiligt, berichtete der Jugendreferent des Zentralrats, Marat Schlafstein. Die Likratinos erzählen im Unterricht von sich und ihrem jüdischen Alltag. Auf diese Begegnungen würden sie zwar vorbereitet, inhaltlich würden ihnen aber keine Vorgaben gemacht.

Die Likratina Klara Gottlieb kann keine großen kulturellen Unterschiede zwischen sich und den anderen Schülern entdecken, abgesehen davon, dass sie Jüdin ist. 2020 soll dieses Projekt auch auf Sportvereine, Universitäten, Pädagoginnen und Pädagogen sowie Online-Communitys ausgeweitet werden.

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