Mist, verklickt, ein wenig weiter links, halt – hach, das war zu langsam!» Was so klingt wie ein durchschnittlicher Computerspieleabend, bei dem es eine Menge Schwierigkeiten zu überwinden gilt, ehe das Ziel erreicht ist, könnte in Zukunft auch eine Rehabilitationsmaßnahme für Schlaganfall-Patienten sein.
Debbie Rand von der Tel Aviver Universität hat Computerspiele zu ihrem Forschungsobjekt gemacht. Interaktive Games, so ihre Beobachtung, fordern den Usern schließlich jede Menge Fähigkeiten ab – vom Kombinationsvermögen über die reibungslose Koordination von Hand und Auge bis hin zum Gedächtnistraining. Genau diese Fähigkeiten sind bei Patienten, die einen Gehirnschlag erlitten haben, jedoch oft beeinträchtigt. Für Rand lag es daher nahe, zu untersuchen, ob sich die beliebten Spiele nicht in der Rehabilitation einsetzen ließen.
fähigkeiten Dass Computerspiele besser sind als ihr Ruf, ist unter Wissenschaftlern nichts Neues. Immer wieder ergaben Untersuchungen, dass Games viele wichtige Fähigkeiten trainieren. Das Bild von Gamern in der Öffentlichkeit wird jedoch nach wie vor durch spektakuläre Einzelfälle von Amokläufern und Berichte über exzessive Spieler bestimmt, denen ihr Computer wichtiger ist als Ehe, Freundschaften, Karriere.
Auch als Hilfsmittel für die Schlaganfall-Reha sind Spiele bereits gebräuchlich. Wissenschaftler der Universität Newcastle entwickelten im vergangenen Jahr mit «Circus Challenge» ein Game, das auf die Bedürfnisse von Schlaganfall-Patienten zugeschnitten ist. Echtzeit-Bewegungen werden dabei, wie bei der Wii-Konsole, auf den Bildschirm übertragen. Betrachtet man Videoaufnahmen der Reha, fällt allerdings sofort die klinische Atmosphäre auf, in der an der Newcastler Uni mit dem bunten Zirkusspiel Bewegungen geübt werden.
Plastizität Debbie Rand interessierten dagegen die Effekte von ganz normalen Spielen, wie es sie in jedem Laden zu kaufen gibt. Wenn Menschen ihre Bewegungen vorausplanen, um ein bestimmtes Ziel zu erreichen, dann habe dies positive Auswirkungen auf das Gehirn, genauer auf die Neuronale Plastizität. Wird etwas Neues gelernt, verändern sich die neuralen Verknüpfungen – für Menschen, die an den Auswirkungen eines Schlaganfalls leiden, ist genau dieser Umstand sehr wichtig dafür, verlorene Fähigkeiten wiederzuerlangen.
Herkömmliche Computerspiele verlangen den Nutzern eine Menge ab, wie Rand erklärt: Sie müssen strategisch vorausplanen, wie sie ihre Ziele erreichen wollen, die Maus präzise bewegen und gleichzeitig flexibel sein, zum Beispiel schnell auf Geschehnisse reagieren.
Für die Studie wurden Patienten, die bis zu sieben Jahre zuvor einen Schlaganfall erlitten hatten, willkürlich in zwei Gruppen zu jeweils 20 Personen eingeteilt. In zweimal wöchentlich stattfindenden Therapiesitzungen wurden die Patienten drei Monate lang behandelt – für eine Gruppe standen allerdings nicht herkömmliche Reha-Maßnahmen auf dem Programm, sondern das Daddeln an den Spielekonsolen Xbox Kinect, Sony PlayStation und Nintendo Wii.
probanden Die Reha verlief für beide Gruppen erfolgreich. Nach drei Monaten konnten die Probanden fester zugreifen, auch der sogenannte Gait Speed, die Laufgeschwindigkeit, die einer der klinischen Parameter ist, mit der die Leistungsfähigkeit von Schlaganfall-Patienten gemessen wird, hatte sich deutlich verbessert. Für die Gruppe der Spieler war nach Ablauf der Reha-Zeit allerdings noch lange nicht Schluss mit den Verbesserungen: Noch ein Vierteljahr später stellten die Wissenschaftler kontinuierliche Leistungssteigerungen fest.
Für Rand sprechen allerdings nicht nur die Anforderungen, die Computerspiele mit sich bringen, für einen Einsatz von Games in der Reha-Therapie. Ganz wichtig sei auch der Spaß – 92 Prozent der Teilnehmer sagten, dass sie die Teilnahme extrem oder sehr genossen hätten. In der Gruppe, die mit traditionellen Mitteln behandelt wurde, fanden deutlich weniger, nämlich 72 Prozent, die Sitzungen sehr angenehm. «Wenn Patienten ihr Therapie-Erlebnis genießen, ist es wahrscheinlich, dass sie auch langfristig teilnehmen», erklärt Rand – und auch zu Hause freiwillig weiterüben. «Spielekonsolen sind mittlerweile so verbreitet und vor allem auch so kostengünstig zu erhalten, dass sie sich praktisch jeder leisten kann.»
sinne Bloße Spielerei, darauf legt die Wissenschaftlerin allerdings Wert, sei die Therapie eben nicht. Die Patienten berichteten zwar davon, wie viel Spaß sie gehabt hätten und wie anregend die Spiele für alle Sinne gewesen seien. Sie betonten allerdings gleichzeitig auch, dass sie «nach den Sitzungen nass geschwitzt» waren. «Das ist ein Zeichen, wie hart wir gearbeitet haben.»
Ein weiterer wichtiger Erfolgsfaktor, so Rand weiter, sei allerdings auch die Atmosphäre in der Gruppe gewesen. Menschen, die einen Schlaganfall erlitten haben, schämen sich aufgrund ihrer Behinderungen oft und nehmen nicht mehr so aktiv am sozialen Leben teil wie früher, entsprechend fühlen sie sich isoliert. In der Gamegruppe konnten sie dagegen spielerisch Kontakte zu anderen Menschen knüpfen, man feuerte einander an und feierte Erfolge gemeinsam.
Diese positiven Nebenwirkungen fielen beim Spielen allein zu Hause allerdings weg. Und so möchte das Team von Rand sich in weiteren Studien damit beschäftigen, ob unabhängiges Spielen im heimischen Wohnzimmer bei Schlaganfall-Patienten zu ähnlichen Fortschritten führt wie die Aktivität in organisierten Daddelgruppen oder ob eine Kombination aus beidem die beste Reha-Maßnahme darstellt.