Kontroverse

»Da sind mittlerweile alle Dämme gebrochen«

Lorenz S. Beckhardt, Co-Vorsitzender des Verbandes Jüdischer Journalistinnen und Journalisten Foto: Monika Sandel

Herr Beckhardt, am Wochenende wurde vom PEN Berlin eine Resolution zum Nahostkonflikt beschlossen, die heftige Kontroversen ausgelöst hat. Was war da los?
Es wurde eine Online-Versammlung durchgeführt. Rund 200 der 730 Mitglieder des Vereins waren anwesend. Es gab mehrere Anträge zu Israel und zum Gaza-Krieg, die schon im Vorfeld kontrovers diskutiert worden waren. Im November gab es bereits eine solche Diskussion. Damals wurde vereinbart, eine Mitgliederversammlung eigens zu diesem Thema einzuberufen. Die fand am Sonntag statt. Am Ende erhielt ein Antrag von Leuten, die ich mindestens in Teilen als Sympathisanten der BDS-Bewegung einordne, 82 Stimmen; der moderatere Kompromissantrag nur eine Stimme mehr. Das hat mich schon erschreckt.

Was genau hat Sie an diesem Antrag gestört?
Mehrere Punkte. In dem knapp unterlegenen Text wird der 7. Oktober nur beiläufig erwähnt. Für die getöteten Journalisten in Gaza wird ausschließlich Israel verantwortlich gemacht, obwohl es ohne den 7. Oktober diesen Krieg gar nicht und ohne die Art der Kriegsführung der Hamas sicher nicht so viele Tote gegeben hätte. Der Antragstext nennt zahlreiche getötete Journalisten in Gaza und im Libanon beim Namen, ohne weiter darauf einzugehen, dass unter ihnen Mitglieder von Terrororganisationen waren. Er nennt zum Beispiel Leute, die die Gewalt gegen Frauen am 7. Oktober leugnen, die für »Al-Aqsa«-TV oder -Radio arbeiteten, was ja nun eindeutig Hamas-Sender sind. Ich frage mich schon: Muss der PEN Berlin ausgerechnet den Tod von Hamas-Aktivisten betrauern?

Der unterlegene Antrag erwähnt auch vier am 7. Oktober getötete israelische Journalisten …
Schon, aber er tut das quasi en passant und ohne Namensnennung. Der ganze Text liest sich wie eine Anklageschrift gegen Israel und eine Solidarisierung mit der Hamas. Dass so etwas im PEN Berlin fast eine Mehrheit gefunden hätte, finde ich schockierend. Wir wissen ja, dass es in der Gesellschaft einen Bodensatz an Antisemiten und Israelhassern gibt. Aber dass sich in einem Verein wie dem PEN Berlin die Hälfte der Teilnehmer einer Mitgliederversammlung derart einseitig zum Nahostkonflikt aufstellen, ist ein Problem.

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Am Ende wurde mit knapper Mehrheit ein Kompromisspapier beschlossen, auch mit Ihrer Stimme. Konnten Sie denn inhaltlich damit leben?
Der Kollege Daniel Böhmer von der »Welt« hat versucht, beide Welten zu integrieren. Ich hatte mit diesem Kompromisstext auch so meine Probleme, denn auch er enthält die Namen von Terroristen. Aber immerhin erwähnt er den 7. Oktober als Ausgangspunkt des Krieges und die Mitverantwortung der Hamas und er nennt die ermordeten israelischen Journalisten namentlich. Deshalb habe ich dafür gestimmt – und war doch am Ende schockiert.

Schockiert warum?
Weil es trotz des Kompromisses so knapp war. Wenn sich fast 50 Prozent der Anwesenden auf einem deutschen Autorenkongress israelfeindlich positionieren, zeigt das, wie wenig wir aus der Geschichte gelernt haben, gerade aus unserer eigenen. Dass man in einem pluralen Verein immer mal wieder in die Minderheit geraten kann bei bestimmten Themen, ist nichts Schlimmes, im Gegenteil. Was ich am PEN Berlin sehr mag, ist das sture Festhalten an der Meinungsfreiheit, selbst wenn es um Meinungen geht, die mir nicht passen. Aber es gibt für mich eine Grenze. Die wäre etwa bei AfD-Positionen erreicht oder eben bei einseitigen Texten, die Israel dämonisieren und damit als jüdischen Staat in Frage stellen.

Sie wurden dafür kritisiert, dass Sie in der Aussprache Vergleiche zur NS-Zeit zogen.
Stimmt. Da kam plötzlich so eine Art Schlussstrich-Debatte von links auf. Ich habe die Frage aufgeworfen: Leute, wenn ihr im Jahr 1950 so eine Resolution debattiert hättet, hättet ihr auch die im Weltkrieg getöteten Kollegen vom »Völkischen Beobachter« oder vom »Stürmer« betrauert? Würdet ihr euch mit denen solidarisieren? Daraufhin wurde mir gesagt, ich möge doch bitte mit NS-Vergleichen aufhören. Auf Instagram wurde ich von einem der Autoren des Hamas-freundlichen Textes als Antideutscher mit nationalsozialistischem Hintergrund hingestellt. Da sind mittlerweile alle Dämme gebrochen.

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Gibt es innerhalb des PEN Berlin auch bei anderen Themen solche Verwerfungen?
In dieser Form nicht. Ich erinnere mich an keinen einzigen Streit beim Thema Ukraine, im Gegenteil: Da stand die Solidarität mit den Opfern im Vordergrund. Da hat sich niemand an die Seite Putins gestellt. PEN Berlin äußert sich auch zu verfolgten Schriftstellerinnen im Iran und anderswo. In der Regel sind es einzelne Personen, mit denen man sich solidarisiert, nicht Gruppen. Und PEN Berlin macht eine gute Menschenrechtsarbeit und hat bereits mehrere verfolgte Schriftsteller und Schriftstellerinnen nach Deutschland gebracht. Aber wenn es um Israel geht, spielen plötzlich ganz andere Dinge eine Rolle.

Deniz Yücel, einer der beiden Vorsitzenden des PEN Berlin, hat immer wieder die Ablehnung des Verbands zur BDS-Bewegung betont. Bröckelt jetzt die Brandmauer?
Sie bröckelt ganz eindeutig. Dass PEN Berlin die BDS-Bewegung ablehnt, ist für Deniz Yücel sehr wichtig. Das betont er immer wieder und das schätze ich an ihm. Aber ich bin mir sicher, dass er spürt, dass diese Position auf tönernen Füßen steht. Am Sonntag war es nur eine Stimme, die den Ausschlag gab. Und was passiert bei der nächsten Mitgliederversammlung? In anderen Ländern ist der kulturelle Boykott Israels schon beschlossene Sache. Bald könnte es auch hierzulande soweit sein.

Mit dem WDR-Journalisten, PEN-Berlin-Gründungsmitglied und Vorsitzenden des Verbands jüdischer Journalistinnen und Journalisten (JJJ) sprach Michael Thaidigsmann.

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