»Kein Herz kann lieben wie das Mutterherz«. Diese reichlich schnulzige Zeile stammt aus einem im 18. Jahrhundert verfassten Gedicht des Arztes und Philologen Johann Heinrich Schulze und bringt ein Klischee auf den Punkt, das wohl in fast allen Kulturen zu finden ist: Frauen – und nur Frauen – sind biologisch quasi darauf programmiert, für ihr Neugeborenes vom ersten Moment an tiefe Gefühle zu empfinden. Männer dagegen spielen in diesem Zusammenhang emotional eher die zweite Geige – glaubte man.
Genau diese klar umrissene und geschlechterspezifische Rollenverteilung stellt nun eine aktuelle Studie aus Israel infrage. »Selbstverständlich gibt es zwischen Mutter und Kind bereits unmittelbar nach der Geburt eine sehr starke Bindung«, erklärt Ruth Feldman. »Aber auch bei Vätern sind diese Instinkte vorhanden, bloß brauchen sie ein wenig mehr Zeit, um sich zu entwickeln und zu manifestieren«, so die Professorin für Psychologie am Gonda Brain Research Center an der Bar-Ilan-Universität in Ramat Gan. Das Team um Feldman hat die Gehirnaktivitäten von 90 Müttern und Vätern genauer unter die Lupe genommen.
Aus früheren Untersuchungen wusste man bereits, dass die Amygdala, ein für die Wahrnehmung affekt- und lustbetonter Empfindungen zuständiges paariges Kerngebiet im Gehirn, bei Frauen nach der Geburt ganz besonders aktiv wird. Aber mit der Frage, ob und was in diesem Hirnareal bei frisch gebackenen Vätern passiert, hatte sich bis dato im Grunde kaum jemand beschäftigt.
Trigger Die Probanden in der Studie stammten aus drei ganz unterschiedlichen Gruppen: heterosexuelle Mütter, die sich ausschließlich um ihr Kind kümmerten, heterosexuelle Väter, die diese Aufgabe überwiegend ihren Frauen überließen, sowie homosexuelle Väter, die sich ebenfalls primär der Erziehung ihres oftmals gar nicht leiblichen Sprösslings widmeten. Mit Videokameras filmten die Wissenschaftler, wie alle Elternteile zu Hause mit ihren Kindern spielten und dabei eine entspannte Zeit miteinander verbrachten. Anschließend zeigte man den Versuchsteilnehmern diese Aufnahmen, während ein Kernspintomograf deren Gehirnaktivität aufzeichnete.
Das Ergebnis: Die Amygdala der heterosexuellen Mütter reagierte wie erwartet recht stark, die der heterosexuellen Freizeitväter war dagegen weniger aktiv. Dafür gaben bei ihnen jene neuronalen Bereiche im Hirn eine vermehrte Rückmeldung, die die kognitiven Prozesse im Gehirn steuern, sodass sie die aktuellen Bedürfnisse ihrer Kinder besser zu erkennen vermochten. Für die ganz große Überraschung aber sorgten die homosexuellen Väter. Bei ihnen zeigten sich beide Hirnregionen stimuliert, sodass sie sowohl wie die Frauen reagierten, die gerade eine Schwangerschaft hinter sich gebracht hatten, als auch wie die heterosexuellen Väter, und verstärkt kognitive Fähigkeiten entwickelten.
Amygdala Doch je mehr Zeit die heterosexuellen Väter mit ihrem Nachwuchs verbrachten, desto stärker war auch bei ihnen die Aktivität der Amygdala. »Es zeigte sich, wie diese bei Frauen aufgrund der Schwangerschaft im Verlauf von Monaten in Gang gebracht wird«, fasst Feldman die Ergebnisse zusammen. »Aber auch bei Männern kann sie getriggert werden – vorausgesetzt, sie beschäftigen sich intensiv mit ihren Kindern und verbringen sehr viel Zeit mit ihnen.«
Die Einbeziehung homosexueller Väter in die Versuchsreihe zeigte mehr als deutlich, dass »Mutterinstinkte« nicht allein durch das Geschlecht oder die sexuelle Orientierung hervorgerufen werden, sondern primär durch eine frühe und engagierte Rolle in der Kindererziehung. »Männliche Gehirne scheinen irgendwie besonders formbar zu sein«, lautet Feldmans Fazit.
Normen Vor dem Hintergrund sich rapide verändernder gesellschaftlicher Normen kommt der Arbeit des Forscherteams von der Bar-Ilan-Universität eine große Bedeutung zu. Zum einen sind Mütter heute aufgrund ihrer beruflichen Verpflichtungen nicht mehr wie früher ausschließlich mit der Kindererziehung beschäftigt, zum anderen wächst die Zahl der Männer, die sich freiwillig vor allem um ihren Nachwuchs kümmern, ebenso wie die der alleinerziehenden Väter.
»Zwar standen die Aktivitäten der Amygdala bei heterosexuellen Männern proportional im direkten Zusammenhang mit der Zeit, die sie mit ihrem Baby verbrachten«, ergänzt Feldman. »Aber sie erreichten nie ganz das Level von heterosexuellen Müttern oder homosexuellen Vätern.«
Dabei glaubt sie nicht, dass zwischen den Gehirnen der beiden männlichen Gruppen irgendwelche genetischen Unterschiede bestehen. Sie verweist auf eine ebenfalls von ihr initiierte Untersuchungsreihe, in der allen Testpersonen Fotos von ihnen nahestehenden Personen gezeigt wurden. Dabei zeigten homo- und heterosexuelle Männer haargenau die gleichen Reaktionen.
»Wir haben es hier mit der ersten Studie überhaupt zu tun, die die Gehirne von ausschließlich mit der Kindererziehung beschäftigten Vätern untersucht hat«, kommentiert Kevin Pelphrey, ein prominenter Neurowissenschaftler der Universität Yale, die Forschungsergebnisse aus Israel. »Glaubten wir bisher, bestimmte Reaktionen im Hirn seien typisch weiblich, so kann man heute mit Gewissheit sagen, dass elterliche Reaktionen, die für eine feste emotionale Bindung zum Kind verantwortlich sind, unabhängig vom Geschlecht existieren.«