»Der Vater des C64 ist tot.« Mit diesem Satz informierten Nutzer sozialer Netzwerke in aller Welt einander über den Tod von Jack Tramiel – gefolgt von vielen traurigen Smileys und meist nostalgischen Erinnerungen. Der C64 ist schließlich für eine ganze Generation zum Synonym für den Beginn des Computerzeitalters außerhalb von Rechenzentren geworden. ??Der erfolgreiche amerikanische Unternehmer Jack Tramiel hieß jedoch nicht immer so: Geboren wurde er am 13. Dezember 1928 im polnischen Lodz als Idek Tramielski.
Über seine Kindheit ist nichts bekannt – sie endete mit dem Einmarsch der Nazis und der Einweisung der Familie ins jüdische Ghetto der Stadt.?? Fast fünf Jahre lang lebten die Tramielskis dort in einem kleinen Zimmer. Der Vater arbeitete als Schuhmacher, während der junge Idek in einer Schneiderei untergekommen war. Im August 1944 wurde die Familie in einen Eisenbahnwaggon getrieben.
Es gehe nach Deutschland, wurde ihnen gesagt. In Wirklichkeit fuhr der Zug nach Auschwitz. An der berüchtigten Rampe entschied Josef Mengele persönlich, dass Idek und sein Vater nicht gleich ermordet werden sollten. Beide wurden kurz darauf als Zwangsarbeiter für die Continental-Werke ins KZ-Außenlager Hannover-Ahlem verschleppt, wo Idek seinen Vater im Dezember 1944 zum letzten Mal sah.
Überlebender Die Kartoffelabfälle, die der Junge extra für ihn gestohlen hatte, konnte der extrem geschwächte Mann da schon nicht mehr essen – erst später, als aus Idek Jack geworden war, erfuhr er, dass eine Benzin-Injektion zum Tod seines Vaters geführt hatte.?? Im April 1945 von US-Truppen befreit, blieb der Jugendliche bis November 1947 in Europa. Seine Mutter, die Auschwitz überlebt hatte und nach Lodz zurückgekehrt war, sah er nur noch einmal wieder.
Für sich und seine Verlobte Helen Goldgrub, ebenfalls eine KZ-Überlebende, habe er keine Zukunft mehr auf dem alten Kontinent gesehen, berichtete er später. Am 19. November 1947 war es endlich so weit, »dann bezahlte eine jüdische Hilfsorganisation mein Ticket in die USA. Ich kam dort mit zehn Dollar an, die man mir geschenkt hatte – als ich New York erreichte, konnte ich gar nicht glauben, dass ich wirklich in Amerika war«. Alles sei wie früher in Polen gewesen, erinnerte sich Tramiel, »alles roch nach Heringen und eingelegten Gurken, es wurde hauptsächlich Jiddisch gesprochen, eben wie zu Hause«.?? Schön sei es gewesen, »aber nicht das, weswegen ich hergekommen war. Die Vereinigten Staaten waren sehr gut zu mir gewesen, Amerikaner hatten mich befreit, und ich wollte mehr über sie und ihr Land lernen. Deswegen ging ich zur Army.«??
1952 schied Jack Tramiel, wie er sich mittlerweile nannte, aus dem Armeedienst aus. Und kurz darauf begann die Geschichte der Firma Commodore – und zwar in einem New Yorker Taxi. Während der Fahrt habe er mit einem Freund über einen geeigneten Namen für sein Unternehmen nachgedacht, erzählte Tramiel gern. »Wir suchten nach etwas, das für Stärke steht, aber alles, was mir einfiel, waren Worte wie General und Admiral, und die waren bereits vergeben.« Und dann fiel sein Blick zufällig auf das Heck eines vorausfahrenden Autos: »Ein Wagen namens Opel Commodore. Ich sagte: ›Okay, probieren wir einfach Commodore aus.‹ Und das war’s dann.«
Taschenrechner ??Mit Computern hatte Tramiels Firma jedoch zunächst nichts zu tun, sie startete als »Commodore Portable Typewriter«. Doch sowohl das Geschäft mit Schreibmaschinen als auch mit den darauf folgenden Addiermaschinen endete schon nach kurzer Zeit, weil »Commodore Business Machines« – so hieß die Firma seit 1962 – von japanischen Konkurrenten auf dem amerikanischen Markt unterboten wurde. Auch das dritte Projekt hatte keinen größeren Erfolg, da der Chipzulieferer für Tramiels Taschenrechner, »Texas Instruments«, Mitte der 70er-Jahre lieber selbst die kleinen Rechner verkaufen wollte, statt Commodore nur mit den Prozessoren zu versorgen.??
Jack Tramiel und sein Chefdesigner Chuck Peddle entschieden daraufhin, gleich richtige Computer zu bauen. Zunächst spielte man mit dem Gedanken, ein Computerdesign von Steve Jobs und Steve Woszniak aufzukaufen – aus diesem Computerdesign sollte bald der Apple II werden –, doch das Angebot erschien den Männern bei Commodore zu teuer.
Nach einer Kapitalerhöhung konnte die Firma MOS Technology aufgekauft werden, und auf Basis des Prozessors der Firma entstand 1977 der erste echte Computer von Commodore, der PET, und das in nur sechs Monaten. Schon der PET verkaufte sich gut, vor allem im Bildungsbereich. Dort war besonders das Blockdesign beliebt: Der Computer mit Monitor und Tastatur war mit der Datasette in einem Gehäuse untergebracht.
Doch die Konkurrenz von Apple II und Atari 800 machten dem PET zu schaffen. Und so entstand bei Commodore drei Jahre nach dem PET der VC-20, der sich mehr als eine Million Mal verkaufte – als erster Computer, der diese magische Verkaufsgrenze erreichte. Sein Nachfolger, der C64, sollte der meistverkaufte Heimcomputer aller Zeiten werden und ist auch heute noch fast jedem ein Begriff. Zwölf Jahre lang wurde der C64 produziert, 17 Millionen Exemplare standen am Ende weltweit in den Haushalten.
Commodore Er wurde damit für die Computer das, was das Modell T von Ford einst für die Autos war, nämlich das Synonym für Technik, die für die Mittelschicht problemlos erschwinglich ist.?? Der Vater dieses Erfolgs war Jack Tramiel, zu dieser Zeit immer noch der Kopf der von ihm gegründeten Firma Commodore.
Sein Motto lautete: »Wir brauchen Computer für die Massen, nicht für die Klassen«, als die Firma entschied, Computer zu bauen, die man zu Hause an einen Fernseher anschließen konnte – und eben nicht mehr die in Schulen und Universitäten so beliebten All-In-One-Geräte. Doch der C64 sollte Tramiels letzter Erfolg bei Commodore werden. Tramiel überwarf sich mit dem Hauptgeldgeber von Commodore und verließ die Firma 1984.
Kurz darauf gründete er ein neues Unternehmen, mit dem er Atari aufkaufte. Atari war durch den Videospiele-Crash in finanzielle Schieflage geraten. Mit dieser Firma brachte Jack Tramiel einen weiteren Computer auf den Markt, der in die Geschichte eingehen sollte, den Atari ST. Der ST war der Hauptkonkurrent des Commodore Amiga und ist – obwohl vor mehr als 20 Jahren erschienen – noch heute bei Musikern äußerst beliebt.
?Jack Tramiel, verantwortlich für drei der wichtigsten Entwicklungen in der Geschichte der Heimcomputer, betrachtete sich als glücklichen Menschen. »1944 waren wir noch 10.000 Menschen, die im Lager eingesperrt waren. Als der Krieg zu Ende war, lebten nur noch 60. 60 von 10.000. Ich war einer dieser 60. Von da an war nichts mehr zu schwer für mich. Ich sehe es so, dass ich im Jahr 1945 meine zweite Geburt erlebte – ich blicke nicht zurück, aber ich erinnere mich. Und ich trage keinen Hass in mir.«