Mike Mills scheut die großen Gefühle im Kino nicht, und er weiß genau, was er tut. Das zeigt der kalifornische Regisseur einmal mehr in seinem Schwarz-Weiß-Film Come on, Come on.
Man muss aus Beton sein, um diesen warmherzigen, sympathisch-verschwätzten Film nicht an sich heran zu lassen: diese Geschichte um einen Radiojournalisten, der sich auf Bitten der Schwester um ihren Sohn kümmert, die auf so bittersüße, tragikomische Art von ganz Universellem erzählt. Come on, Come on ist ein flirrender, ständig sich in Bewegung befindlicher Bild- und Gefühlsstrom um Vergänglichkeit, Elternschaft und Kindheit.
RADIOJOURNALIST »Du wirst in den Fluss der Zeit eintauchen. Es gibt so viel zu lernen und so viel zu spüren. Vergnügen und Angst, Freude und Enttäuschung, Traurigkeit und Staunen« heißt es in Claire A. Nivolas Star Child, aus dem Johnny (Joaquin Phoenix) seinem neunjährigen Neffen Jesse (Woody Norman) einmal vorliest. Dieser Lebenszyklus im Kinderbuchformat treibt dem Radiojournalisten am Ende einer einnehmenden, assoziativen Melange aus Voice-Over und visuellen Erinnerungsfragmenten die Tränen in die Augen.
Die beiden jedenfalls sind ein kinematografisch-kauziges Paar: der alleinstehende, vollbärtige Radiomoderator mit Wohlstandplauze und der exzentrische, altkluge Junge. Sie verbringen Zeit miteinander, ja: müssen sich erst wieder kennenlernen, weil Johnnys Schwester Viv (Gaby Hoffmann) sich um ihren psychisch kranken Ehemann am Rande eines Nervenzusammenbruchs kümmert.
INTERVIEWS Erst eine leise Annäherung in Los Angeles, dann nimmt Johnny den Jungen mit in seine Heimatstadt New York, später noch nach New Orleans, wo er, wie zuvor in anderen Städten, Kinder für eine Sendung zu ihrem Leben und zur Zukunft befragt. In diesen Interviews, die sich leitmotivisch durch den Film ziehen, entwirft Mills ein so treffendes wie berührendes Gesellschaftsporträt, überliefert durch die Menschen von morgen.
Die Figuren, allesamt fantastisch gespielt – Newcomer Woody Norman besteht fast schon beängstigend mühelos neben Joaquin Phoenix – sind an Authentizität schwer zu übertreffen. Mills bedient sich für seine Filme aus eigenen Erinnerungen und Erlebnissen und lässt sie dadurch unglaublich menschlich erscheinen.
JUDENTUM Der Sohn einer Jüdin, die erst von ihrer jüdischen Herkunft erfuhr, nachdem sie deshalb aus dem Schwimmteam ihres Country Clubs flog, wuchs mit der Mutter und zwei viel älteren Schwestern auf. Diese Konstellation floss in seinen letzten Film Jahrhundertfrauen ein. Von seinem Vater wiederum, der nach dem Tod seiner Frau im hohen Alter sein Coming-out hatte, war Beginners inspiriert.
In Come on, Come on nun verarbeitet der Regisseur Erfahrungen mit seinem eigenen Nachwuchs, der Film soll von einem Gespräch mit seinem in der Badewanne sitzenden Sohn angestoßen worden sein. Aus jenem Badewannengespräch ist ein Film gewachsen, der komplexe familiäre Beziehungen auslotet.
ZEITEBENEN Während sich der verträumte Score von Bryce und Aaron Dessner von der britischen Rockband »The National« sanft über die poetisch zwischen verschiedenen Zeitebenen changierenden Bilder legt, werden wir Zeugen, wie Johnny sich selbst in seiner väterlichen Rolle neu kennenlernt und wie sich das belastete Verhältnis zu seiner Schwester entwickelt. Mills ist dabei weniger an der äußeren denn an der inneren Bewegung seines Trios interessiert und findet treffende Bilder für ihren zwischenmenschlichen Roadtrip.
Nichts wird vereinfacht in Come on, Come on, weder im Guten, noch im Schlechten, sie alle haben ihre Macken, auch der Junge, der ebenso wenig infantilisiert wird wie das Elternsein weichgezeichnet. Was nur konsequent ist, handelt der Film doch davon, dass eben alles, die Freuden wie die Sorgen, dazugehören zu besagtem Fluss der Zeit; und davon, dass im Alltäglichen, das der Junge mit Johnnys Mirkofon einfängt, Poesie liegt; und davon, dass es, wie Jesse lernen muss, unabdinglich ist, mit seinen Gefühlen umgehen, ihnen Ausdruck verleihen zu können. Und und und. Come on, Come on!
Der Film läuft ab dem 24. März in den Kinos.