Seine Gemälde erinnern an die Werke des Renaissance-Malers Pieter Bruegel der Ältere. Menschenleiber winden sich darin über- und untereinander, verschwimmen zu einer schrecklichen Masse aus Armen, Beinen, Rümpfen und Händen, die sich zum Hitlergruß recken und aus dem Kopf einer nackten unförmigen Gestalt herausdrängen. Alles daran wirkt bedrohlich, apokalyptisch, wie eine niemals enden wollende Flut des Bösen.
Ludwig Meidners Zeichnungen und Aquarelle sind düstere Abbilder einer sich verdüsternden Zeit, spätestens, nachdem er mit seiner Familie 1939 vor Hitlers Schergen ins Exil nach London geflohen war. Den »Führer« malte er als Ungeheuer, Gorilla oder flügelschlagenden Dämon, dem die Masse blind folgte. Einen 1942/1943 entstandenen Zyklus nannte Meidner Die Leiden der Juden in Polen, zeigte Leichenberge, abgemagerte Gestalten und Menschen in den Gaskammern. Traumatische Bilder, die das Grauen der Schoa vorwegnahmen.
Emigrant »Horcher in die Zeit – Ludwig Meidner im Exil« heißt die Ausstellung, die das Museum Giersch der Goethe-Universität nun in Kooperation mit dem Jüdischen Museum Frankfurt seit vergangenen Sonntag zeigt. Die Schau mit 80 meist unbekannten Werken aus Meidners Zeit als Emigrant in England und 40 seiner bekannten expressionistischen Arbeiten ist der Auftakt zu einer fast einjährigen Veranstaltungsreihe unter dem Titel »Seismograph« mit insgesamt fünf Ausstellungen, Lesungen, Führungen und Vorträgen. Mit ihnen erinnern Museen, Galerien und Kunstschaffende in Frankfurt, Darmstadt und Hofheim an den 50. Todestag des jüdischen Malers. Meidner, der als einer der herausragenden deutschen Künstler der Moderne gilt, hat nach dem Krieg in diesen drei Städten gelebt und viele Spuren hinterlassen.
»Meidner hat sich immer geärgert, nur auf seine expressionistische Phase reduziert zu werden«, sagte Cornelia von Plottnitz bei der Vorstellung der Ausstellung vergangene Woche in Frankfurt. Die Hofheimerin ist Begründerin der Ludwig Meidner Gesellschaft und Initiatorin der Veranstaltungsreihe. Zugleich ist sie eine der wenigen, die den Künstler noch persönlich kennengelernt haben.
Anfang der 60er-Jahre begegnete von Plottnitz ihm in Marxheim, einem Stadtteil von Hofheim im Taunus, wo Meidner nach seiner Rückkehr in die Bundesrepublik viele Jahre lebte. Eine umgebaute Schreinerei diente ihm als Atelier, »wo er jeden malte, der ihn dort besuchte«, erzählt von Plottnitz, die damals gerade 17 Jahre alt war. Meidner, der sich selbst als orthodoxen Juden bezeichnete, war aus London in das dörfliche Leben in Deutschland zurückgekehrt, das auch noch lange nach dem Krieg von Schweigen und Verdrängung bestimmt war.
Zugänge Als sein 100. Geburtstag 1984 unbemerkt verstrich, entschloss sich von Plottnitz 1990 zur Gründung der Meidner Gesellschaft, um ihn dem Vergessen zu entreißen. Dass sein 50. Todestag jetzt so gebührend begangen wird, bezeichnet sie als Höhepunkt ihrer Arbeit. Nun gehe es darum, neue Zugänge zu Meidners Kunst zu schaffen, findet die Gründerin der Meidner Gesellschaft. Auch Erik Riedel, Kurator des Meidner-Archivs im Jüdischen Museum Frankfurt, ehrt ihn als einen komplexen Künstler, der mal Maler, Grafiker, Zeichner oder Schriftsteller war. »Er hat sich immer neuen Inhalten gestellt.«
1939 emigrierte Meidner mit seiner Frau Else und Sohn David nach London, lebte dort in großer wirtschaftlicher Not und wurde sogar als »enemy alien« eineinhalb Jahre interniert. Als er 1953 nach Deutschland zurückkehrte, blieb seine Frau in London, sein Sohn emigrierte 1951 nach Israel. Dass der Vater im Land der Täter leben wollte, verzieh Sohn David ihm nie. Selbst dann nicht, als sein Vater 1966 starb.
Die Veranstaltungen im Überblick:
www.ludwig-meidner.de