Ein ungewohnt kritisches Interview des Nachrichtensenders Fox News mit US-Präsident Donald Trump vom Sonntag schlägt nach wie vor große Wellen. Der Journalist Chris Wallace wurde von Kollegen für seine Gesprächsführung gelobt, mit der er Trump in einige brenzlige Situationen brachte.
Frank Sesno, der als Washington-Bürochef von CNN mit fünf Präsidenten gesprochen hat und jetzt an der Universität George Washington die »Kunst des Interviews« lehrt, sagte, er werde es seinen Studierenden als Lehrbeispiel vorlegen.
Wallaces Interview in der Talkshow »Fox News Sunday« hat in mehrerlei Hinsicht für Schlagzeilen gesorgt, von umstrittenen Aussagen Trumps zum Coronavirus bis zu seiner Andeutung, er könnte bei einer knappen Niederlage nach der Präsidentschaftswahl im November das Weiße Haus nicht räumen. Die Art, wie Wallace Trumps Aussagen immer wieder widersprach, ist auch Tage später noch Thema in Washington und weit darüber hinaus.
»Er hat ein großartiges Interview geführt, weil er sich den Hintern abgearbeitet hat, um vorbereitet zu sein.«
Als der Präsident sagte, dass der designierte Präsidentschaftskandidat der Demokraten Joe Biden der Polizei die Mittel entziehen wolle, antwortete Wallace: »Nein, Sir, das tut er nicht.« Die Folge war ein Hin und Her über die »Abschaffung« der Polizei, und Trump bat seine Pressesprecherin Kayleigh McEnany um Hilfe.
NACHFRAGEN Da das Interview aufgezeichnet und erst später ausgestrahlt wurde, konnte Wallace ein Voiceover einfügen, dass das Weiße Haus keine Beweise für die Behauptung des Präsidenten vorlegen konnte - »weil es keine gibt«.
Wallace – Kind jüdischer Eltern, geboren 1947 in Chicago, Illinois – hatte auch jede Menge Statistiken parat, um Trumps Argumente über die Sterblichkeitsrate in den USA und Testraten für das Coronavirus zu entkräften. Auf Nachfrage zu rosigen Vorhersagen Trumps zur Ausbreitung des Coronavirus, antwortete ein nervöser Präsident: »Ich werde irgendwann Recht haben.«
»Niemand arbeitet härter für ein Interview«, sagt der Journalist Tom Bettag, langjähriger Produzent der ABC-Sendung »Nightline«, der jetzt an der Universität von Maryland arbeitet. Wallace war in der Sendung bei ABC manchmal für Gastgeber Ted Koppel eingesprungen. »Er geht immer wieder über die Fragen. Er berät sich mit so vielen Leuten wie möglich. Vor allem überlegt er, was sein Gegenüber wahrscheinlich antwortet. Er hat ein großartiges Interview geführt, weil er sich den Hintern abgearbeitet hat, um vorbereitet zu sein.« Sesno verglich Wallace mit einem Anwalt, der sich auf alle Eventualitäten eines Kreuzverhörs einstellt.
Als Wallace Trump fragte, warum seine Regierung in eine Kampagne involviert sei, den renommiertesten Virologen der USA, Anthony Fauci, zu diskreditieren, stritt Trump dies ab. Wallace zeigte ihm daraufhin eine Kopie eines Anti-Fauci-Cartoons in sozialen Medien, den ein Mitarbeiter des Weißen Hauses geteilt hatte.
DIREKT Wallace stellte auch einige recht direkte Fragen, denen nicht so einfach auszuweichen war: »Ist die Flagge der Konföderierten anstößig?«, »Würden Sie erwägen, es landesweit verpflichtend zu machen, Masken zu tragen?«, »Warum schicken Sie (...) nicht mehr Geld, damit Schulen sicherer sind?« Er fragte Trump, ob Joe Biden senil sei, und der Präsident antwortete: »Das würde ich nicht sagen.« Später beschrieb er den Demokraten jedoch als »mental hinüber«.
Ein Mitarbeiter des Weißen Hauses, der sich anonym äußerte, sagte, Trump habe gewirkt, als hätten die Fragen ihn überrascht.
»Die Art, wie er Fragen stellte, hat das Interview sehr aufschlussreich gemacht«, sagte Jane Hall, Professorin für Journalismus an der American University. »Man kann Menschen die Stirn bieten, ohne streitlustig zu sein.«
Im Februar nahm Hall Studierende mit zu einem Vortrag von Wallace. Einige hätten sich zu Beginn gefragt, was sie dort lernen sollten, da sie glaubten, Fox sei ohnehin ein Trump-Sender. Und einige der Moderatoren wie Sean Hannity sind mit dem Präsidenten tatsächlich meist auf einer Linie. In der Talk-Sendung »Fox and Friends« durfte Trump am Telefon mehrfach ohne kritische Gegenfragen Dampf ablassen.
ALTE SCHULE Doch Wallace gehört zur alten Schule, war früher Korrespondent des Weißen Hauses und Moderator der NBC-Sendung »Meet the Press«. Bei Fox ist er seit 2003. »Er ist sehr gut darin. Er macht das schon seit langer Zeit. Und er hat die Wallace-DNA«, sagt Sesno. Wallace ist Sohn des legendären »60 Minutes«-Korrespondenten Mike Wallace. Die Journalistin Meghan McCain sagte am Montag in der Sendung »The View«, »es war das erste Mal, dass ich gesehen habe, wie Präsident Trump sich wirklich windet.«
In der Position ist der Präsident nicht häufig. Trump sei als Präsident 19 Mal von Hannity und 17 Mal bei »Fox & Friends« interviewt worden, sagte CBS-Reporter Mark Knoller, der die Medienauftritte des Präsidenten beobachtet. Fox hat Trump 92 Interviews insgesamt gegeben. Zum Vergleich: 20 gab er NBC, CBS und ABC zusammen, und kein einziges CNN.
Wallace möge einen guten Job gemacht haben, aber harte Fragen und Faktenchecks seien kein Grund, eine Parade für ihn zu veranstalten, twitterte Autor Steven Beschloss. Jeder Journalist sollte das machen. CNNs Faktenchecker Daniel Dale twitterte, Wallace habe weitere Gelegenheiten verpasst, den Präsidenten zu korrigieren.
BIDEN Einige Republikaner meinen, es sei an der Zeit, dass Biden ebenfalls kritisch interviewt werde. Der frühere Sprecher des Repräsentantenhauses Newt Gingrich nannte das Interview einen »großen Sieg« für Trump, weil er bewiesen habe, dass er mit harten Fragen umgehen könne. Ein Mitarbeiter des Weißen Hauses, der sich anonym äußerte, sagte dagegen, Trump habe gewirkt, als hätten die Fragen ihn überrascht. Das Interview habe seinen Ruf in der Öffentlichkeit nicht unbedingt verbessert.
Auch wenn der Präsident nicht noch einmal bei »Fox News Sunday« auftritt, stehen die Chancen gut, dass er Wallace wiedersieht. Dieser war einer der Moderatoren bei der Präsidentschaftsdebatte 2016, und sein Auftreten am Sonntag dürfte seine Chancen nicht schmälern, wieder dafür ausgewählt zu werden. dpa