Nach sieben Jahren fühlte es sich fast ein wenig an wie ein Familientreffen. 2014 hatte es schon einmal eine Tagung zum jüdischen Kinder- und Jugendbuch gegeben – damals in Berlin, veranstaltet von der Bildungsabteilung im Zentralrat der Juden in Deutschland.
Dieses Mal hatte die Deutsche Akademie für Kinder- und Jugendliteratur, das Schwäbische Literaturschloss Edelstetten und der Sankt Michaelsbund eingeladen – und zwar ins »Haus der Begegnung«, der ehemaligen Synagoge Ichenhausen im schwäbischen Teil Bayerns.
SZENE Die kleine »Szene« beleuchtete unterschiedliche Teilaspekte der Thematik aus wissenschaftlicher wie praktischer Sicht. Am Ende herrschte tatsächlich das Gefühl, dass man sich gegenseitig motiviert und inspiriert hatte. Die Tagung lieferte zudem eine Art Überblick zum Stand wie Zustand der heutigen deutschsprachigen jüdischen Kinder- und Jugendliteratur. Von einer »kleinen Renaissance« war gar die Rede.
Dennoch gibt es nach wie vor Schwierigkeiten, Empfindlichkeiten, Dinge, über die man reden musste. Und es wurde auch nichts ausgeblendet. Im Gegenteil. Man sah schon sehr genau hin, was Inhalte wie Illustrationen anbelangt.
Hadassah Stichnothe (Bremen) wies darauf hin, dass Jüdisches in den Kinder- und Jugendbüchern immer wieder einmal als eine Art »Störreiz« auftauche. »Jüdisch zu sein, ist nicht normal, es setzt aber Handlung in Gang.« Man bewege sich in Geschichten auffällig häufig durch »Erinnerungen« statt durchs Jetzt. Auch wies sie auf Beispiele verklärender »Schtetlromantik« hin sowie auf die Gefahr von Stereotypen: »Es werden Klischees wiedergegeben.«
»ERKLÄRUNGSBEDÜRFNIS« Immer wieder kam man auch auf eine Art »permanentes Erklärungsbedürfnis« in den Büchern zu sprechen, sobald es um Jüdisches gehe. Um niemanden auszuschließen, werden Texte bezüglich »jüdischer Dinge« mit erklärenden Fußnoten, Glossaren et cetera ausgestattet, was natürlich auf jüdische Leser und Leserinnen »irgendwie strange« wirken könne.
Was man sich wünsche, sei, dass öfters der ganz normale jüdische Alltag in die Bücher einziehe, es vor allem der Plot sei, der die jungen Leser und Leserinnen mitnehme und dass da dann in der Story zufällig an den Türpfosten Mesusot angebracht seien oder irgendwo eine Kippa herumliege.
Beim Treffen in Berlin vor sieben Jahren war Mirjam Pressler noch dabei gewesen, die 2019 gestorbene große jüdische Kinder- und Jugendbuchautorin.
Gabriele von Glasenapp (Köln), die zur Geschichte der jüdischen Kinder- und Jugendliteratur in Deutschland forscht und darüber auch vortrug, hob den Begriff der »Vermittlerliteratur« hervor. Er steht für die Tatsache, dass Kinder, was Bücher anbelangt, ganz von den Entscheidungen der Erwachsenen, den Vermittlern, abhängen.
ILLUSTRATIONEN Myriam Halberstam vom Berliner Ariella Verlag, dem einzigen jüdischen Kinder- und Jugendbuchverlag in Deutschland, berichtete sehr aufschlussreich darüber, wie sie, was Illustrationen anbelangt (»die entscheiden ja oft über den Erfolg«) vorgeht. Ihre Illustratorinnen kommen aus verschiedenen Ländern, sind nichtjüdisch oder jüdisch, »und all das hat seine Berechtigung und kann die Dinge voranbringen«.
Ebenfalls über Illustrationen sprach Julia Schweisthal aus München. Dazu gab es eine kleine Ausstellung zu sehen, die einen Eindruck vermittelte von der Breite der Illustrationen jüdischer Künstler und Künstlerinnen »aus den letzten 100 Jahren«. Der Historiker Michael Wolffsohn beschloss die Tagung mit einer Lesung aus seinem ersten Kinderbuch.
Beim Treffen in Berlin vor sieben Jahren war Mirjam Pressler noch dabei gewesen, die 2019 gestorbene große jüdische Kinder- und Jugendbuchautorin. Entlang von Ausschnitten aus sieben ihrer Bücher stellten Presslers Töchter Tall und Gila Pressler die »sieben Leben« ihrer Mutter dar und zitierten dabei auch das von ihr geschaffene Kätzchen Kitty: »Sterben ist nicht schlimm, wenn man alle sieben Leben gelebt hat.«