Die einen bringen sich um. Die anderen schreiben ein Buch. Das ist bei Jill Alexander Essbaum nicht anders. Die Texanerin lebte eine Zeit lang in der Schweiz, als ihr damaliger Ehemann Axel Essbaum am C.G.-Jung-Institut in Küsnacht studierte. Sehr
traurig und fremd habe sie sich damals gefühlt.
»Ich war extrem isoliert und wusste absolut nichts anzufangen mit meiner Zeit, außer zu schreiben.« So entstand ihr Romandebüt Hausfrau (das auch in der englischen Originalausgabe Hausfrau heißt) über den tragischen Lebensentwurf einer Amerikanerin in der Schweiz.
»Anna war eine gute Ehefrau. Meistens.« Schon mit dem ersten Satz ist klar: Hier stimmt etwas nicht. Seit neun Jahren lebt Anna Benz mit ihrem Gatten Bruno und den drei Kindern in Dietlikon, einer dieser kleinen Städte, in denen kleine Leben gelebt werden. Dem Ehepaar gehört ein ansehnliches Haus, verdient Bruno als Banker im mittleren Management bei der Credit Suisse doch mehr als gut.
sackgasse »Rosenweg« lautet die hübsche Anschrift. Dass es sich dabei auch noch um eine Sackgasse handelt, ist dann ein bisschen zu viel an Symbolkraft, wie überhaupt so oft in diesem Roman, dem man immer wieder anmerkt, dass Essbaum in Palm Desert kreatives Schreiben unterrichtet.
Kinder hat sich Anna nie gewünscht. Aber dann waren sie auf einmal da. Für irgendetwas muss ihr Studium der »Hauswirtschaft« ja auch gut gewesen sein. Wenn Bruno am Schreibtisch sitzt, schleicht sie auf Zehenspitzen durchs Haus, um ihn nicht zu stören. Alles hat seine Ordnung in dieser kleinen Welt, in der die Eisenbahn nur zu spät kommt, wenn sich ein Selbstmörder davor geworfen hat, wie Freundin Edith erzählt.
Ein Bild, das sich Anna erschließt. Hat sie doch selbst keinen Führerschein und ist auf den Zug angewiesen. Ebenso auf ihre immer vorwurfsvolle Schwiegermutter Ursula, zu der sie die Kinder bringen kann, wenn ihr die Decke auf den Kopf fällt. Das Ruckeln im Zug wiegt sie wie eine Mutter ihr Kind. »Doch zu Hause verschmolzen der Krach, die Kinder, die Schwiegermutter, die eigene Verspätung und die Einladung für den Abend zu einer scharfen, dünnen Spitze, die Anna mit dem Rücken an ihre persönliche Klagemauer zwang.«
psychoanalytikerin Der eigene Ehemann schickt sie zur Psychoanalytikerin, weil ihm die Schwermut seiner Frau zu viel wird. Da sitzt Anna dann und erzählt der Frau Doktor Messerli ihre Träume. Nach und nach erfährt der Leser, dass Annas drittes Kind gar nicht von Bruno stammt, sondern von einem Amerikaner namens Stephen, in den sie auf der Straße einfach hineingerauscht ist. Am MIT arbeitet er als Wissenschaftler und muss auch noch Pyrologe sein, ein Experte für Brände also, der in der frustrierten Hausfrau neue Leidenschaft entfacht.
Dumm nur, dass Stephen schon wieder in den USA ist, als Anna erfährt, dass sie schwanger ist. Immer wieder flieht sie seither in außereheliche Affären. Hat zwei gleichzeitig. Mit dem Schotten Archibald, den sie im Deutschkurs für Fortgeschrittene kennenlernt. Und mit Karl, einem Freund ihres Mannes. »Ich betrüge den Mann, mit dem ich meinen Mann betrüge, dachte Anna. Ich werde mit jedem Tag noch unanständiger.«
»Ein einmalig begangener Fehler ist ein Versehen. Zweimal derselbe Fehler? Ein Fehltritt. Ein Schnitzer. Aber dreimal?« Was immer sie getan habe, sagt die Analytikerin zu Anna, habe sie zu einem bestimmten Zweck getan. Sie bettle geradezu um eine Konsequenz. Ohne Umschweife lässt Jill Alexander Essbaum den Leser an den sexuellen Fantasien ihrer Protagonistin teilhaben. In den USA nennt man so etwas »Mommy Porn«, und der Verlag pries den Roman beim Erscheinen in den Staaten auch medienwirksam als Mischung aus Anna Karenina, Madame Bovary und Fifty Shades Of Grey an.
madame bovary In der Tat ist diese Anna im Buch eine Madame Bovary der Gegenwart, die sich aus Langeweile in Liebschaften flüchtet, weil sie nicht gelernt hat, ein eigenes Leben zu führen. Sie ist eine Figur wie von Flaubert oder Fontane. Die Emanzipation der vergangenen 100 Jahre ist an ihr vorübergegangen. Sie lebt für ihren Mann und die Kinder, ist »Sklavin all ihrer Lebensmythen« geworden, heißt es einmal so schön.
Am Ende kommt es ganz dicke. Annas Sohn rennt vor ein Auto, als sie es im Bett mit einem Liebhaber treibt. Und Ehemann Bruno schlägt sie und wirft sie hinaus, als er von ihrem Ehebruch erfährt. Jill Alexander Essbaum hat ein großes Thema der Weltliteratur in einen Trivialroman verpackt. Damit trifft sie den Nerv der Zeit. Das aber macht das plakative Buch nicht besser. Der Roman ist professionell geschrieben. Ein bisschen zu professionell. Schon in Essbaums Gedichtbänden ging es oft um Sex. Mit dem Roman wird sie ganz gewiss auch größere Lesergruppen erreichen – obwohl es kein Happy End gibt, sondern nur Züge, die Verspätung haben.
Jill Alexander Essbaum: »Hausfrau«. Roman. Deutsch von Eva Bonné. Eichborn, Berlin 2015, 336 S., 22 €