Ein blutiger Unfall in einer äthiopischen Mine ermöglicht, dass der titelgebende blaue Opal unbemerkt abgebaut und in die USA zu Howard Ratner geschickt werden kann. Das wissen wir als Publikum in diesem Moment allerdings noch nicht.
Denn von den irisierenden Lichtreflexen in den Tiefen des Steins, in den ein ganzes Universums eingeschlossen scheint, wird direkt in die Tiefen Howard Ratners geschnitten – genaugenommen in die Windungen seines Dickdarms, während er sich einer Darmspiegelung unterzieht.
Selten wird explizit auf das jüdische Milieu eingegangen, das Uncut Gems zeigt.
Doch die Komik, die sich in der Montage dieser ersten Minuten andeutet, erfüllt sich nicht in den folgenden zwei Stunden, auch wenn die Figuren es hergeben würden. Ratner, gespielt von Adam Sandler, ist ein Mann unter Strom: hektisch, nonstop auf andere einredend, dessen trainingsbejackte, schmuckbehangene Fassade nur für kurze Momente Risse zeigt, während er sich mit Sportwetten und geliehenen Scheinen immer tiefer ins Schlamassel reitet.
SCHOCK Mit zwei Schocks wartet Der Schwarze Diamant (Uncut Gems), der seit Ende Januar auf Netflix zu sehen ist, gleich zu Anfang auf: Adam Sandler ist ein ernstzunehmender Schauspieler – das hätte man allerdings schon seit Punch-Drunk Love vor 18 Jahren wissen können. Und seine Figur ist durch und durch unsympathisch – was die debilen Kindmann-Figuren, mit denen er so unwahrscheinlich erfolgreich wurde, auch schon waren.
Man kann also beides verdauen. Erwarten darf man einen ebenso anstrengenden wie sehenswerten Film: Eine wackelige Handkamera folgt dem atemlosen Howard Ratner durch das Manhattan der halbseidenen Kriminellen. Dort verkauft er in seinem Shop Diamanten an Sportler und Rapper. Er reibt sich auf zwischen seiner Frau, toll gespielt von Idina Menzel, die wir vor allem als Elsas Stimme aus Die Eiskönigin kennen, und seiner Geliebten und Mitarbeiterin Julia, der er ein geschmackloses Apartment in der Stadt eingerichtet hat.
Er wettet zu viel und ist hochverschuldet. Da soll ihn der blaue Opal retten, auf dessen Existenz er in einer Fernsehdokumentation über äthiopische Juden gestoßen ist. Bei einer Auktion soll er über eine Million bringen, doch zuvor verleiht er ihn als Glücksbringer an den Basketballstar Kevin Garnett. Den im Gegenzug dagelassenen Ring verpfändet er sofort, um auf eben jenes Basketballspiel zu wetten. Die Gewinne sollen andere Schulden abbezahlen.
Das kriminelle Manhattan in Uncut Gems wurde mit Scorseses Mean Streets verglichen.
Hier sind zu viele Fallstricke, das kann nicht gut gehen, und es geht nicht gut. Getragen wird der folgende Parforceritt durch ein Manhattan, das nicht von ungefähr immer wieder mit Scorseses Mean Streets (1973) verglichen wird, durch Sandlers vielgepriesene schauspielerische Leistung.
ANSPANNUNG Howards Anspannung wird körperlich spürbar. Seine Kieferknochen beginnen sofort zu mahlen, wenn das Lächeln über seinen Jacketkronen kurz einfriert, und seine nervöse Rastlosigkeit überträgt sich auf das Publikum. Dazu trägt auch die Musik bei, der es in der Mischung mit dem Ton gelingt, diese (An-)Spannung über die gesamte Länge des Films aufrechtzuerhalten.
So wenig, wie Howard in seiner Abwärtsspirale zum Durchatmen kommt, so wenig kommen wir es beim Zusehen. Und man schaut dem Ensemble gern beim Spielen zu, ist es doch ein Milieu, dass uns nicht schon tausendmal in anderen Filmen gezeigt wurde, und die Schauspieler gewinnen ihren Figuren eine beeindruckende Authentizität ab.
Gleichzeitig möchte man wegsehen, versteht man doch schnell, dass aus Howards großem Coup nichts werden wird und die Schlinge um seinen Hals sich enger zuzieht. So gut der Film ist, es ist ein höchst unvergnügliches Erlebnis, ihn zu sehen. Wir wissen schnell: Es wird nicht dabei bleiben, dass er von seinen Gläubigern nackt in den Kofferraum seines Wagens gesperrt wird und sich von seiner Frau befreien lassen muss.
Eigentlich ist nichts an dieser Figur sympathisch, und doch ist Howard Ratner nicht böse, er wirkt kaum zur Gewalt fähig. Vor diesem Hintergrund werden die Fehlentscheidungen, die die Safdie-Brüder ihn in einem fort treffen lassen, schwer erträglich.
Es ist der zweite Langspielfilm von Josh und Benny Safdie, und es ist schon der zweite Film, in dem sie ein rauhes, schmutziges New York der Kleinkriminellen zeigen. Ihr Debut Good Times lief in Cannes und wurde dort anerkennend aufgenommen, jetzt überschlagen sich die Kritiken. Selten wird explizit auf das jüdische Milieu eingegangen, das Uncut Gems zeigt. Lediglich im »Guardian« wurde der Film als Teil einer »New Wave of Jewish Cinema« beschrieben.
Oscar Nachvollziehbar, dass Sandlers schauspielerische Leistung in den vergangenen Tagen im Zusammenhang mit der Oscarverleihung diskutiert wurde – bei den Nominierungen wurde er allerdings nicht berücksichtigt. Über die Gründe kann man nur spekulieren, vielleicht ist er einfach zu erfolgreich mit seinen Netflix-Produktionen. Dort waren seine Filme 2019 die meistgestreamten, und gerade erst hat er einen Vertrag über weitere vier Netflix-Produktionen abgeschlossen. Immer fest abonniert auf seichte Unterhaltung.
Der Schwarze Diamant hingegen ist keine Netflix-Eigenproduktion, in den USA lief der Film regulär in den Kinos an und wird nur in Europa über den Streaminganbieter vertrieben – bleibt zu hoffen, dass das seiner Wahrnehmung nicht schadet, empfehlenswert ist Uncut Gems in jedem Fall.
Der Schwarze Diamant« (»Uncut Gems«), USA 2019. Regie: Josh und Benny Safdie. Mit Adam Sandler, Kevin Garnett, Julia Fox, Lakeith Stanfield, Idina Menzel und Eric Bogosian. Auf Netflix