Neurowissenschaft

Blick in den Spiegel

Einmal im Jahr, am Vorabend des israelischen Unabhängigkeitstages, wird in Jerusalem der Israel-Preis verliehen. Die höchste Auszeichnung des Staates Israel wird seit 1953 an Bürger oder Organisationen vergeben, die auf ganz verschiedenen Gebieten Außerordentliches geleistet haben. Zu den preisbelohnten Kategorien gehören Kultur und Kunst, Literatur, Bildhauerei und hebräisches Lied genauso wie die verschiedenen Disziplinen der Wissenschaft – und seit 1972 werden auch Menschen für ihr Lebenswerk geehrt. Ein Komitee aus Sachverständigen wählt die Preisträger aus und leitet seine Vorschläge an den Bildungsminister weiter.

Der Israel-Preis 2012 für Psychologie wird am 25. April – der 5. Ijar fällt dieses Jahr auf den 26. April – an Professor Shlomo Bentin gehen, wie Bildungsminister Gideon Saar nun verkündete. Bentin »hat Generationen von Studenten hervorgebracht, die in Israel und überall auf der Welt akademische Positionen innehaben«, hatte das Sachverständigenkomitee seine Entscheidung begründet und außerdem auf seine »wichtigen wissenschaftlichen Beiträge im Bereich der Psychologie und besonders im Bereich der Neuropsychologie« hingewiesen.

1946 in Rumänien geboren, immigrierte Bentin 1958 als Kind mit den Eltern nach Israel, wo er im Kibbuz Gan Shmuel aufwuchs. Seinen Militärdienst leistete er bei den Fallschirmjägern ab, anschließend blieb er beim Militär und gründete schließlich eine Aufklärungskompanie. 1971, er war mittlerweile zum Hauptmann aufgestiegen, begann sein ziviles Leben: Bentin schrieb sich an der Universität von Tel Aviv zum Psychologiestudium ein, erweiterte dann seinen dort erworbenen Bachelor um einen Master in Medizin am Technion in Haifa, um schließlich an der Hebräischen Universität Jerusalem in Neuropsychologie zu promovieren. Das Thema seiner Doktorarbeit »Die Auswirkungen der Luftverunreinigung durch Narkosegase in OP-Räumen auf die Entscheidungen und das Konzentrationsvermögen von Ärzten« war derart bahnbrechend, dass er gleich zwei Artikel über sein Thema im angesehenen Fachblatt »British Journal of Anesthesia« veröffentlichen durfte.

Nerven Seiner Alma Mater blieb Bentin treu: Ab 1983 arbeitete er an der medizinischen Fakultät und hielt Vorlesungen, gleichzeitig gründete er den neuropsychologischen Beurteilungsservice in der Neurologie des Hadassah-Ein-Kerem-Krankenhauses in Jerusalem. In dieser Zeit entwickelte er ein Verfahren zur Überwachung der Nervenleitgeschwindigkeit während chirurgischer Eingriffe – wichtig zum Beispiel dann, wenn Operationen an der Wirbelsäule stattfinden und die Ärzte überprüfen müssen, ob die Gliedmaßen des narkotiserten Patienten noch auf Nervenreize reagieren. 1990 dann wechselte Bentin in die psychologische Fakultät, an der er bis heute lehrt und forscht.

Mittlerweile ist Bentin Professor und Mitglied des Interdisziplinären Zentrums für Neuronale Berechnungen an der Hebräischen Universität. Im Jahr 1991 gründete er das Labor für Kognitive Elektrophysiologie, in dem Forschungen in kognitiver Neuropsychologie und Neurowissenschaften betrieben werden. Schwerpunkte sind die Felder Gesichtserkennung, Aufmerksamkeit und die dynamischen Prozesse im episodischen und semantischen Gedächtnis.

Was sich nach einem erfüllten und anstrengenden Berufsleben anhört, reichte Shlomo Bentin jedoch noch lange nicht: Nebenher war er als Forscher weltweit in verschiedenen führenden Instituten tätig, hielt Vorlesungen an internationalen Elite-Universitäten und war außerdem Chefredakteur von »Neuropsychologia«, einem der führenden Fachmagazine.

Primaten Bentins neueste Forschungen beschäftigen sich mit der Untersuchung von Spiegelneuronen mit Hilfe eines EEGs. Spiegelneuronen sind spezielle Nervenzellen im Gehirn von Primaten, die das gleiche Aktivitätsmuster aufweisen, egal ob ein Vorgang lediglich betrachtet oder selbst durchlebt wird. Die Spiegelneuronen wurden erst 1995 entdeckt, und es wird vermutet, dass sie Primaten dazu befähigen, Empathie zu empfinden und Verhalten nachzuahmen. Wahrscheinlich ermöglichen Spiegelneuronen, Ereignisse so mitzuerleben, als ob man selbst betroffen wäre. Deshalb werden sie auch oft als eine Art »Als-ob-Schleife« bezeichnet.

Die bei Primaten beobachteten Ergebnisse sind dabei auch auf Menschen übertragbar. So wurden bereits einige Symptome bei Autismus mit einem unzureichenden Funktionieren der Spiegelneuronen in Verbindung gebracht. Allerdings fehlen hierfür noch die wissenschaftlichen Belege, denn selbst wenn eine neurologische Korrelation nachgewiesen ist, stellen sie noch lange keine Erklärung psychischer Gegebenheiten dar. Bentin wird jedoch ganz sicher weiter daran arbeiten, Erklärungen zu finden.

In eigener Sache

Zachor!

Warum es uns besonders wichtig ist, mit einer Sonderausgabe an Kfir, Ariel und Shiri Bibas zu erinnern

von Philipp Peyman Engel  11.03.2025 Aktualisiert

Schauspiel

Zweiflerin aus Zürich

Deleila Piasko war in David Haddas jüngster TV-Serie zu sehen. Ein Porträt

von Tilman Salomon  10.03.2025

Medizin

Der Seuchen-Pionier

Vor 100 Jahren starb August von Wassermann, einer der Begründer der modernen Immunologie

von Benjamin Kuntz  11.03.2025 Aktualisiert

Kulturkolumne

Hat Kunst je eine Katastrophe verhindert?

Nachgefragt bei Kubrick und Zweig

von Sophie Albers Ben Chamo  09.03.2025

Jüdisch-israelische Kulturtage

»Kleine Synagoge« zeigt Werke von Daniela Bromberg

Daniela Bromberg ist eine Erfurter Künstlerin, die sich in ihrem Werk mit der Thora, dem Chassidismus und ethischen Fragen auseinandersetzt

 09.03.2025

Restitution

Potsdam-Museum gibt zwölf in der NS-Zeit enteignete Bücher zurück

Günther Graf von der Schulenburg stieß auf die Bücher in der Lost Art-Datenbank des Deutschen Zentrums Kulturgutverluste

 09.03.2025

Aufgegabelt

Tschüss, Winter: Karotten-Kugel

Rezepte und Leckeres

von Katrin Richter  08.03.2025

Antisemitismus

Gert Rosenthal: »Würde nicht mit Kippa durch Neukölln laufen«

Die Bedrohung durch Antisemitismus belastet viele Jüdinnen und Juden. Auch Gert Rosenthal sieht die Situation kritisch - und erläutert, welche Rolle sein Vater, der Entertainer Hans Rosenthal, heute spielen würde

 07.03.2025

Medien-Skandal

BBC zeigt Doku mit Kindern von Hamas-Terroristen

Der Film sollte auf das Leid von Kindern im Gazastreifen aufmerksam machen, doch er weist schwere handwerkliche Mängel auf

von Nils Kottmann  07.03.2025