Natürlich kommt der Hauptmann des Titels nicht von ungefähr. Aber eine schmunzelnde Köpenickade mit, sagen wir mal, angenehm satirischen Sticheleien gegen das Uniformvertrauen der Deutschen sollte man nicht erwarten.
Der neue Film von Robert Schwentke ist viel radikaler als die Geschichte des Schusters Voigt – und zu lachen gibt es auch nichts, im Gegenteil. Das machen schon die ersten Szenen deutlich, in denen ein Soldat vor seinen eigenen Leuten flieht.
Deserteur Zu den Tönen einer Trompete verfolgen sie ihn mit einem Wagen, schießen auf ihn, das »kleine Schweinchen«, wie ihr Anführer Junker (Alexander Fehling) den Flüchtenden nennt. Nur durch einen Zufall, durch eine Höhle unter dem Wurzelwerk eines Baumes, kann sich der Gefreite Willi Herold (Max Hubacher) retten. Ob er ein Deserteur ist, ob er sich irgendeiner Tat strafbar gemacht hat, das enthüllt der Film nicht.
Es sind, wie der Vorspann zeigt, die letzten Wochen des Zweiten Weltkriegs und des »Tausendjährigen Reichs«, die Wehrmacht ist in Auflösung, die Stunde null ist nicht mehr weit. Nach einem fehlgeschlagenen Diebstahl auf einem Bauernhof findet Herold ein verlassenes Auto, mit verbrannten Unterlagen daneben, und einem Koffer, in dem sich die Uniform eines Hauptmanns befindet. Wie auf einer Bühne übt Herold den Tonfall eines höheren Uniformträgers ein, das verächtlich machende Schnarren in der Stimme, die respektheischende Lautstärke.
Seine neue Rolle kann er gleich am lebenden Objekt ausprobieren, bei dem versprengten Soldaten Freytag (Milan Peschel) und den Männern um Kipinski (Frederick Lau), die sich im Bauernhof einquartiert haben. Der brutale Kipinski scheint ihn zu durchschauen, wie seine Blicke auf die zu langen Hosen Herolds verraten. Mit den Männern formt er die »Kampfgruppe Herold« und gibt vor, im Auftrag des »Führers« die Lage hinter der Front zu sondieren.
Sadist Ob er seine folgenden Verbrechen begangen hat, um in seiner Rolle glaubhaft zu bleiben, ob er ein eiskalter Sadist ist oder nur der enthemmte nette junge Mann von nebenan, das lässt der Film offen. Weil er sich jedweder Psychologisierung enthält, keinerlei Hinweise auf das Vorleben seiner Figuren gibt. Nur dass sie als Gruppe auftauchen wie die Einsatzgruppen der Nazis, könnte man massenpsychologisch deuten.
In einem Straflager der Wehrmacht, in dem verurteilte Soldaten sitzen, lässt Herold 30 Gefangene mit einer Flak hinrichten. Und später beim geselligen Abend danach, mit Auftritten von Gefangenen, bindet Herold vier Gefangene aneinander, lässt sie fliehen und von zwei Inhaftierten erschießen.
Man würde das als Zuschauer gerne als eine Art Groteske interpretieren, als eine Übersteigerung, wenn man nicht wüsste, dass solche Gräueltaten an der Tagesordnung waren; allein 8000 Soldaten sind als »Fahnenflüchtige« in den letzten Wochen des Krieges standrechtlich erschossen worden. Auch Willi Herold ist ja eine Person der Zeitgeschichte, man hat ihn den »Henker vom Emsland« genannt, 1946 haben die Briten ihn und seine Kumpanen für 125 Morde zum Tode verurteilt.
Parabel Der Hauptmann ist Robert Schwentkes erster in Deutschland realisierter Film nach mehr als einem Jahrzehnt. In Hollywood hat er Blockbuster gemacht, wie Flight Plan mit Jodie Foster oder den charmanten R.E.D – Älter. Härter. Besser. So sehr die Geschichte, die er in Der Hauptmann erzählt, der realen von Willi Herold gleicht, so hat er sie doch als eine Art Parabel, als eine Momentaufnahme des Wahnsinns des Krieges in Szene gesetzt, als einen Totentanz des NS-Regimes – gerade wenn Herold wie Adolf Hitler in seinem Auto steht.
Dazu gehört auch, dass Kameramann Florian Ballhaus kongenial in Schwarz-Weiß die Weite des flachen Landes als eine Seelenlandschaft in Szene setzt, mit ihrem Schnee und der Kälte und den Wäldern, wo die Bäume wie Gitterstäbe wirken.
Man wird den Film in eine Reihe stellen müssen mit Pasolinis Salò oder Die 120 Tage von Sodom und Viscontis Die Verdammten. Drei Filme, die man nur mit Schmerzen ertragen kann.
Der Film lief am 15. März in den Kinos an.