Melvin J. Lasky

Blattmacher, Wahlberliner, Freiheitsfreund

Melvin J. Lasky, Gründer der Zeitschrift »Der Monat«, im Jahr 1978 Foto: dpa

Melvin J. Lasky

Blattmacher, Wahlberliner, Freiheitsfreund

Der Publizist und Herausgeber des »Monat« wäre am 15. Januar 100 Jahre alt geworden

von Marko Martin  15.01.2020 12:21 Uhr

Wer Melvin J. Lasky in seinen zweiten Berliner Jahren traf, konnte die Bekanntschaft eines bejahrten, doch äußerst agilen Intellektuellen machen, der in den Taschen seines Karo-Jacketts stets die berühmten »clippings« mit sich trug: ausgeschnittene oder kopierte Zeitungsartikel auf Deutsch und Englisch, die einen Sachverhalt entweder besonders konzis interpretierten oder – auch das kam häufig vor – von Nai­vität und Schönrednerei gegenüber Unrechtsregimes zeugten.

In letzteren Fällen konnte der am 15. Januar 1920 als Sohn jüdisch-polnischer Einwanderer in der New Yorker Bronx geborene Lasky durchaus zornesrot werden, da er bereits als Jugendlicher das westliche Appeasement gegenüber Hitler erlebt hatte – und die Blindheit »seines« studentischen Intellektuellenmilieus angesichts der schon damals offenbaren stalinistischen Verbrechen.

COURAGE Genau dies hatte ihn einst zuerst zum Trotzkisten, danach zum linksliberalen Antitotalitären gemacht. Als solcher war er – als Armeehistoriker der 7. US Army – an der Befreiung Europas beteiligt und gleich darauf am Kontakteknüpfen mit den diktaturkritischen Geistern des Kontinents. Noch in Armeeuniform besuchte der wissbegierige 25-Jährige auf Anraten Hannah Arendts in Heidelberg Karl Jaspers, schon damals mit Büchern, Zeitschriften und clippings unterwegs, die Lebensmittelpakete nicht zu vergessen.

Lasky hat nicht nur den antitotalitären Diskurs inspiriert, sondern auch jüdischen Autoren wieder eine publizistische Heimat verschafft.

In die deutsche Nachkriegsgeschichte trat Melvin Lasky dann im Oktober 1947 ein: mit einer fulminanten Rede auf dem Ersten Deutschen Schriftstellerkongress im Deutschen Theater in der Ostberliner Schumannstraße, als er die Zensur in der Sowjetunion anklagte – unter den versteinerten Mienen von Stalins Kulturfunktionären, den kremltreuen deutschen Schriftstellern und deren Kollegen aus dem sogenannten »inneren Exil«, die im Mundhalten und Wirklichkeitsverdrängen ja bereits seit zwölf Jahren exzelliert hatten.

Einzig die greise Ricarda Huch, die danach in die Westzonen flüchtete, stand Lasky damals bei. Es sagt vermutlich einiges über dieses Land, dass eine solche Sternstunde der Courage nicht ins kulturelle Gedächtnis eingegangen ist, sondern stattdessen – fällt der Name Lasky und der seiner 1948 mithilfe der amerikanischen Besatzungsbehörden gegründeten Zeitschrift »Der Monat« – entweder mit den Achseln gezuckt oder fein lächelnd »CIA« gesagt wird.

PARTEI Um es kurz zu machen: Für einige Jahre wurde die damals viel gelesene Zeitschrift – wie auch der von Lasky ab 1958 in London geleitete »Encounter« – vom »Kongress für kulturelle Freiheit« finanziert, der sich wiederum aus Geheimdienstmitteln speiste. Laskys Aufhellen dieses in der Tat fragwürdigen Aspekts der antitotalitären Nachkriegspublizistik blieb – freundlich gesagt – etwas suboptimal, doch konnten auch seine (ebenfalls freiheitlich links-orientieren »Monat«-Nachfolger) Peter Härtling und Klaus Harpprecht von keinerlei offenbarem CIA-Einfluss berichten.

Im Gegenteil: Die Publikation, in der »von der antinazistischen Rechten bis zur antikommunistischen Linken« (Lasky) alle schrieben, die damals intellektuellen Rang und Namen hatten, hatte bereits frühzeitig Partei genommen für Martin Luther Kings Bürgerrechtsbewegung oder gegen Joseph McCarthy. In der Tat wäre es unmöglich gewesen, Menschen wie Willy Brandt, Czeslaw Milosz, George Orwell, Albert Camus, Hannah Arendt, Isaiah Berlin, Raymond Aron, Manés Sperber, Arthur Koestler, Sir Bertrand Russel, Mary McCarthy oder den frühen Günter Grass als Handpuppen der CIA zu führen.

HEIMAT Mehr noch: Lasky hatte mit seiner Zeitschrift nicht nur den antitotalitären Diskurs auf höchstem Niveau inspiriert, sondern auch den nach 1933 vertriebenen jüdischen Autoren wieder eine publizistische Heimat in ihrer geliebten Sprache verschaffen können: Hans Sahl, Alfred Polgar, Max Brod, Siegfried Kracauer, Hilde Spiel, Walter Mehring, Karl Popper, Alphons Silbermann, Hermann Kesten, Hans Habe, Walter Laqueur.

Der unermüdliche Zeitschriftenmacher, der auch als Geisteshistoriker und Verfasser des Mammutwerks Utopie und Revolution in Erinnerung bleiben wird, war im Mauerfalljahr nach Berlin zurückgekehrt, wo wir bald Freunde wurden und bis zu seinem Tod im Mai 2004 ein Gespräch pflegten, das frei war von jeglichem großväterlichen Paternalismus. Ich stelle mir diesen vitalen Freiheitsverteidiger und jüdischen Agnostiker jetzt in einer Art Intellektuellen-Himmel vor, wo er mit all seinen Freunden sitzt und streitet.

Der Autor veröffentlichte mehrere Bücher über Melvin Lasky und den »Monat«.

Fernsehen

»Persischstunden«: Wie eine erfundene Sprache einen Juden rettet

Das Drama auf Arte erzählt von einem jüdischen Belgier, der im KZ als angeblicher Perser einen SS-Mann in Farsi unterrichten soll. Dabei kann er die Sprache gar nicht

von Michael Ranze  25.04.2025

100 Jahre "Der Prozess"

Was Kafkas »Der Prozess« mit KI und Behörden-Wirrwarr gemeinsam hat

Seine Liebesworte gehen auf TikTok viral. Unheimlich-groteske Szenen beschrieb er wie kein Zweiter. In Zeiten von KI und überbordender Bürokratie wirkt Franz Kafkas Werk aktueller denn je - eben kafkaesk

von Paula Konersmann  25.04.2025

Reykjavik

Island fordert Ausschluss Israels vom ESC

Das Land schließt sich damit der Forderung Sloweniens und Spaniens an. Ein tatsächlicher Ausschluss Israels gilt jedoch als unwahrscheinlich

 25.04.2025

Popkultur

Israelfeindliche Band Kneecap von zwei Festivals ausgeladen

Bei Auftritten verbreiten die irischen Rapper Parolen wie »Fuck Israel«. Nun zogen die Festivals Hurricane und Southside Konsequenzen

von Imanuel Marcus  25.04.2025

Berlin/Brandenburg

Filmreihe zu Antisemitismus beim Jüdischen Filmfestival

Das Festival läuft vom 6. bis 11. Mai

 25.04.2025

Fernsehen

Ungeschminkte Innenansichten in den NS-Alltag

Lange lag der Fokus der NS-Aufarbeitung auf den Intensivtätern in Staat und Militär. Doch auch viele einfache Menschen folgten der Nazi-Ideologie teils begeistert, wie eine vierteilige ARD-Dokureihe eindrucksvoll zeigt

von Manfred Riepe  24.04.2025

Meinung

Nur scheinbar ausgewogen

Die Berichte der Öffentlich-Rechtlichen über den Nahostkonflikt wie die von Sophie von der Tann sind oft einseitig und befördern ein falsches Bild von Israel

von Sarah Maria Sander  24.04.2025

Imanuels Interpreten (8)

Carly Simon: Das Phänomen

Die Sängerin und Songschreiberin mit jüdisch-deutschem Familienhintergrund führt ein aufregendes, filmreifes Leben – Verbindungen zu einer singenden Katze, einem rollenden Stein, zu Albert Einstein und James Bond inklusive

von Imanuel Marcus  24.04.2025

Geheimnisse & Geständnisse

Plotkes

Klatsch und Tratsch aus der jüdischen Welt

von Imanuel Marcus  24.04.2025