Es könnte keinen passenderen Termin für dieses Buch geben als die Jamim Noraim, die Tage der Ehrfurcht, der Reue und Umkehr. Und natürlich Jom Kippur. Der amerikanische Schriftsteller Jonathan Safran Foer stellt uns mit seinem neuen Werk Wir sind das Klima die tonnenschwere Frage: Was tust du, um deinen Kindern, Enkeln und Urenkeln eine lebenswerte Welt zu hinterlassen? Und wer nun augenrollend und Greta-Thunberg-verfluchend die Zeitung zerknüllt, kann sich ausmalen, wie sein Eintrag im Buch des Lebens fürs nächste Jahr aussieht – und laut Foer oder Wissenschaftlern wie Hans Joachim Schellnhuber oder Stephen Hawking weit darüber hinaus.
Mal ehrlich: Was läuft falsch, wenn erwachsene Menschen ein junges Mädchen beschimpfen und bedrohen, weil es darauf hinweist, dass die Zukunft seiner Generation und der folgenden existenziell bedroht ist? Und wir sprechen hier nicht davon, dass sie sich keinen Zweitwagen werden leisten können, sondern davon, dass ihnen ausreichend Nahrung und Trinkwasser, saubere Luft und sicherer Lebensraum ausgehen. Das können Sie sich auch nicht erklären?
KRISE Safran Foer, der großartige Autor jüdischer Identitätsfindungs-Romane wie Alles ist erleuchtet und Hier bin ich sowie des Sachbuchs Tiere essen, hat nun 336 Seiten damit gefüllt, genau darüber laut und für jedermann verständlich nachzudenken: warum uns die Klimakrise trotz ihrer absoluten Dringlichkeit so wenig packt, warum es uns so sehr nervt, darauf hingewiesen zu werden, und warum sowohl Apathie als auch Aggressivität zutiefst menschlich sind. Und als Bonus erklärt der Autor, wie wenig persönlicher Aufwand von jedem Einzelnen eigentlich notwendig ist, um eine große, positive Änderung herbeizuführen.
Weil Safran Foer, der 2002 nach seinem Romandebüt Alles ist erleuchtet zum neuen Philip Roth ausgerufen wurde, weiß, dass Menschen nur dann handeln, wenn die dazugehörige Geschichte gut ist, geht es im ersten knappen Drittel des Buches auch nur darum: Geschichten von Leben und Tod und unsere offenbar angeborene Unfähigkeit, uns in der Krise zu entscheiden.
ENTSCHEIDUNGEN Dazu erzählt Safran Foer unter anderem von seiner Großmutter, die als junge Frau von 20 Jahren in Polen als Einzige ihrer Familie die Schoa überlebte, weil sie allein das Schtetl verließ, als es hieß, dass die Deutschen kommen. »Ich hatte das Gefühl, etwas tun zu müssen«, zitiert Safran Foer die alte Dame, die in den USA ein neues Leben gefunden und eine große Familie gegründet hat. Als Nächstes erzählt er von seinen Träumen, in denen er ins Schtetl zurückkehrt, von Haus zu Haus rennt und den verharrenden Menschen ins Gesicht schreit, dass sie etwas tun müssen.
Menschen handeln nur dann, wenn die dazugehörige Geschichte gut ist.
Die Klimakrise sei zu kompliziert, um eine gute Geschichte abzugeben, schreibt Safran Foer. Zu abstrakt und zu weit weg. Oder wie es die »New York Times« formuliert: »Die Wahrheit ist keine Nachricht«, was sehr traurig ist, denn die Warnungen vor der Klimakrise durch die globale Erwärmung sind so alt wie der Versuch, sie herunterzuspielen. Als Astronauten in den 60er-Jahren zum Mond flogen und zum ersten Mal unsere Erde mit Abstand betrachten konnten, haben viele von ihnen wegen der Fragilität des blauen Planeten geweint und geschworen, sich für seinen Schutz einzusetzen, schreibt Safran Foer. Aber was ist davon geblieben?
Oder von Al Gores Kampagne gegen die Verantwortlichen der globalen Erdöl-Industrie? Oder von der Emotionalisierung durch Bilder von Hollywood-Beau Leonardo DiCaprio an der Seite des Berliner Eisbärbabys Knut? Es war alles so erfolglos wie Jan Karskis Reise 1942 in die USA, wo er der Weltöffentlichkeit vom Massenmord der Nazis an den Juden berichtete und fest damit rechnete, dass nun endlich etwas getan werde. Doch er musste sich anhören, dass man ihm nicht glauben könne, so die von Safran Foer zitierte Antwort von Felix Frankfurter, der damals Richter am Obersten Gerichtshof der Vereinigten Staaten und selbst Jude war.
Foer erinnert an die Warnungen vor dem Holocaust, die niemand glauben wollte.
Heute haben wir weitaus mehr als den Bericht eines einzelnen Mannes: Wir wissen, dass die globale Erwärmung unseren Planeten, wenn nicht unbewohnbar, dann zumindest unerträglich machen wird, und dass es einen direkten Zusammenhang zwischen Erderwärmung und industrieller Viehzucht gibt. Und selbst wenn man nur die niedrigste Schätzung nimmt, so berichtete das World Watch Institute bereits 2009, dass die weltweite Viehzucht für 51 Prozent der Treibhausgasemissionen verantwortlich ist.
59 Prozent der möglichen Anbauflächen auf der Welt werden für den Anbau von Getreide genutzt, das an Tiere verfüttert wird. Auf jeden Menschen auf der Welt kommen 30 landwirtschaftliche Nutztiere. Die Viehwirtschaft ist der Grund für 91 Prozent der Abholzung des Amazonas-Regenwaldes. Und wären Kühe ein Land, kämen sie im Ranking der Produktion von Treibhausgasen an dritter Stelle nach China und den USA.
VERZICHT Jeder Einzelne hat es also in der Hand, die Erderwärmung zumindest zu verlangsamen: indem wir weniger tierische Produkte konsumieren. Weniger Fleisch, weniger Eier, weniger Milch. Safran Foer, der sich mit dem Verzicht selbst nicht leichttut, schlägt vor, bis zum Abendessen ganz auf tierische Produkte zu verzichten. Und macht sich damit mindestens so viele Feinde wie Greta Thunberg mit ihrem Protest. Dabei ist sein Wunsch zutiefst menschlich, nämlich seinen Kindern eine lebenswerte Welt zu hinterlassen.
»Wir können nicht gleichzeitig so weiteressen, wie wir es gewohnt sind, und den Planeten behalten, wie wir ihn kennen. Entweder wir verabschieden uns von unseren Essgewohnheiten, oder wir müssen uns von unserem Planeten verabschieden«, schreibt Foer. So einfach ist es. Und offensichtlich so unfassbar schwer.
Jonathan Safran Foer: »Wir sind das Klima! Wie wir unseren Planeten schon beim Frühstück retten können«. Deutsch von Stefanie Jacobs und Jan Schönherr. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2019, 336 S., 22 €