Es ist etwas zerbrochen. In Stücke zerfallen und dann gekittet, aber oberflächlich nur. Die Fassade ist glänzend, das Dahinter ein Abgrund. Und der tut sich für Liza Elliott zusehends auf. Obwohl sie die »boss lady«, die Chefin des Magazins »Allure«, ist. Und obwohl sie die Wahl zwischen gleich zwei Männern hat. Doch das doppelte Obwohl ist auch ein doppeltes Weil. In Liebe und Beruf muss Liza sich entscheiden, und das treibt sie um, macht sie krank. Sie ist am Ende ihrer Kräfte.
Wie gut, dass sie ein Eingeständnis zulässt, denn nur so kann für sie der Prozess einer Heilung beginnen. Mithilfe der Psychoanalytikerin Dr. Brooks und mit dem Mut, sich der eigenen, traumatischen Vergangenheit zu stellen. Lizas Welt spiegelt sich in einem Lied. »My Ship« erzählt von einem schillernden Schiff, das kommen wird und hoffentlich die einzig wahre Liebe an Bord hat. Der Song bildet die Grundmelodie des Musicals Lady in the Dark, mit dem Kurt Weill (1900–1950) in den Jahren 1941/42 am Broadway brillierte.
koproduktion Zurzeit ist Lady in the Dark in einer Koproduktion der niederländischen Opera Zuid und des luxemburgischen Théâtre de la Ville zu erleben. Das Stück wird auch am Theater Basel gespielt sowie an der Wiener Volksoper.
Diese Renaissance gebe es, weil die Kurt Weill Foundation vor fünf Jahren die Neuauflage der kompletten Partitur ermöglicht habe, was die Aufführung erleichtere, sagt David Stern. Er ist der musikalische Leiter der Maastrichter Opern-Revue (Regie: Anna Pool), die gerade im Theater aan het Vrijthof eine umjubelte Premiere feierte.
Stern liebt und lebt dieses Stück. Wegen der inhaltlichen Tiefe, der innovativen Musikalität und enormen Variabilität, aber auch wegen der Parallelen der Weill’schen Biografie zu seiner eigenen Familiengeschichte. Er könne die Situation des in die USA emigrierten jüdischen Komponisten sehr gut nachvollziehen, sagt er. »Nach New York zu kommen, war für ihn eine Befreiung. Man konnte dort atmen.«
NEUES In Weills Schaffen zeigte sich etwas Neues. Seine Musik spiegelte die Schwere des Lebens, die Härte des Daseins, und sie malte zugleich ein Bild in glitzernd hellen Farben. Lady in the Dark ist aus dem Diskurs dreier Meister ihres Fachs entstanden: Der Musiker Weill traf auf den Texter Ira Gershwin und den Dramatiker Moss Hart. In deren »Labor« entwickelte sich ein Nebeneinander verschiedenster Stile. »Das Stück vereint Theater, Oper, Broadway und auch, das hatte Weill ja aus Berlin im Gepäck, Kabarett«, sagt Stern. »Die Musik ist grell, schrill, hart und im nächsten Augenblick wunderschön harmonisch, voller positiver Energie.«
Wie der Komponist Weill, kongenialer Partner von Bertolt Brecht (Die Dreigroschenoper), floh auch David Sterns Mutter Vera über Paris und Schweden nach New York. Dass sie 1927 als Jüdin in Berlin geboren worden war, habe sie später nie mehr erwähnt, so der Sohn. Sie komme »aus Europa«, habe sie gesagt. Die Nazis verhafteten ihren Vater 1942 in Paris; er wurde in Auschwitz ermordet.
Vera wurde, auch an der Seite ihres Ehemanns, des Geigers Isaac Stern, zu einer Institution im kulturellen Leben New Yorks. Heute studiert ihre Enkelin Sophia an der Universität der Künste in Berlin – und sie liebe diese Stadt, sagt ihr Vater. »Meine Tochter ignoriert nicht, was passiert ist. Sie ist dort traurig und glücklich zugleich«, sagt Stern. Heilen könne man nichts. Aber: »Man kann eine neue Unterhaltung beginnen.«
www.operazuid.nl, www.davidstern.co. Aufführungen am 1. Dezember in Limburg, am 6. Dezember in Rotterdam und am 11. Dezember in Maastricht