Geburtstag

Bildung und Strahlkraft

Masal Tow, Rachel Salamander Foto: dpa

Rachel Salamander ist die ungekrönte Königin jüdischer Kultur in Deutschland. Vielleicht sogar nicht nur der jüdischen. Als »Prinzessin« geboren ist sie wahrlich nicht. Oder wollte jemand ihre Geburtsstätte, das Deggendorfer und danach das Föhrenwalder Displaced-Persons-Lager, ein Schloss nennen?

Rachel Salamanders Anfang, ihr Geburtstag, ist nicht nur geschichtssymbolisch die Antithese zum Beginn der jüdischen Katastrophe (»Schoa«).

Rachel Salamander ist die ungekrönte Königin jüdischer Kultur in Deutschland.

Auf den Tag genau 16 Jahre nach der Machtübergabe an Hitler, am 30. Januar 1949, wurde sie in Deutschland geboren. In Deutschland, doch nicht in die deutsche Kultur und Sprache, die nicht ihre Mutter- oder Vatersprache war und ihre meisterlich beherrschte Hochsprache wurde.

Familie Ihr Vater stammte aus dem seinerzeit polnischen Lemberg, floh 1939 vor den deutschen Mördern in die Sowjetunion, wurde 1941 als vermeintlich illegaler Flüchtling verhaftet, in einen Gulag verschleppt, leistete schwerste Zwangsarbeit und gelangte ins ferne Turkmenistan. Dort traf er seine Frau, der kurz nach Errichtung des Warschauer Ghettos mit ihrer Schwester die abenteuerliche Flucht nach Zentralasien gelungen war. 1946 kehrten sie nach Polen zurück, wo die Schoa-Überlebenden alles andere als freundlich empfangen wurden. 1200 wurden ermordet.

Das Ehepaar Salamander und Sohn Beno (1944 in Turkmenistan geboren; heute höchst angesehener Arzt in München) flohen ins östlichste Gebiet des Westens: die amerikanische Zone Westdeutschlands. Nichts hatten sie außer ihrem Leben, das – makabre Ironie der Geschichte – im Land der einstigen NS-Mörder nun sicherer war als im Land der einstigen polnischen oder sowjetischen Opfer.

Bildung In bitterster Armut verbrachten Rachel und ihr Bruder Kindheit und Jugend. Noch bitterer wurde der Familienalltag, als die Mutter im Dezember 1953 starb. Nach allem und trotz allem waren Vater und Kinder in bester jüdischer Tradition vom Willen zur Bildung durchdrungen. Ohne Bildung kein inhaltlich befriedigendes Sein, nur elendes Dasein. Allein durch Bildung und auf sich allein gestellt, schafften Rachel und Beno Salamander den Weg zum Gipfel deutscher sowie deutschjüdischer Kultur und Gesellschaft.

Zu ihr kommen alle: die kulturelle Crème de la Crème – und das Publikum.

Böse Zungen sagen: Rachel Salamander profitiere vom »Judenbonus« – den es längt nicht mehr gibt. Sie sei letztlich »nur Buchhändlerin« der Münchner »Literaturhandlung« und ihrer sieben Filialen. Welche »Nur-Buchhändlerin« kann mit ihren hochkarätigen Veranstaltungen ganze Großstadtsäle füllen? Zu ihr kommen alle: die kulturelle Crème de la Crème – und das Publikum. Davon können städtische Kulturreferenten nur träumen – von jüdischen Gemeinden ganz zu schweigen.

»Tarbut« Welche »Nur-Buchhändlerin« fungiert zwölf Jahre als Herausgeberin der »Literarischen Welt« oder als Leiterin des FAZ-Literaturforums, Flaggschiffen deutscher und internationaler Hochkultur? Werden »Nur-Buchhändler« in den Aufsichtsrat des weltberühmten Suhrkamp-Verlags berufen? Halten »Nur-Buchhändler« brillante Vorträge? Schreiben sie Bücher? Gibt es außer Rachel Salamander »Nur-Buchhändler«, die bedeutende internationale jüdische Kulturkongresse wie »Tarbut« im herrlichen Schloss Elmau konzipieren, organisieren und realisieren?

Pädagogisch streng, herb, wort- oder körpersprachlich hart wird die sonst fröhliche und herzliche Rachel, wenn sie Strohdreschern, Bildungs-, Kultur- und Leistungsfeindlichkeit ausgesetzt wird.

In Deutschland nahezu Einzigartiges schuf Rachel Salamander: einen vielschichtigen Mikrokosmos mit immenser Ausstrahlungskraft in den deutschen, israelischen, diasporajüdischen und allgemeinen internationalen Kultur-Makrokosmos. Mehrdimensionale Kultur, die kein Mischmasch ist, wo jedes Element für sich erkennbar ist und doch eine Einheit besteht.

Vorbild Über das Persönliche hinaus sind Rachel Salamanders Lebenswerk und Lebensweg Vorbild für das, was jede Integration eigentlich sein sollte: mehrere einander befruchtende Welten in einer Person oder Gruppe. Danke für dieses Vorbild, liebe Rachel!

Fernsehen

»Persischstunden«: Wie eine erfundene Sprache einen Juden rettet

Das Drama auf Arte erzählt von einem jüdischen Belgier, der im KZ als angeblicher Perser einen SS-Mann in Farsi unterrichten soll. Dabei kann er die Sprache gar nicht

von Michael Ranze  23.04.2025

Ausstellung

Das pralle prosaische Leben

Wie Moishe Shagal aus Ljosna bei Witebsk zur Weltmarke Marc Chagall wurde. In Düsseldorf ist das grandiose Frühwerk des Jahrhundertkünstlers zu sehen

von Eugen El  23.04.2025

27. Januar

Der unbekannte Held von Auschwitz

Der »Berufsverbrecher« Otto Küsel rettete Hunderten das Leben. In Polen ist er ein Held, in Deutschland fast unbekannt. Das will Sebastian Christ mit einem Buch ändern, für das er 20 Jahre lang recherchiert hat

 23.04.2025

Sachsenhausen

Gedenken an NS-Zeit: Nachfahren als »Brücke zur Vergangenheit«

Zum Gedenken an die Befreiung des Lagers Sachsenhausen werden noch sechs Überlebende erwartet. Was das für die Erinnerungsarbeit der Zukunft bedeutet

 23.04.2025

Fernsehen

Ungeschminkte Innenansichten in den NS-Alltag

Lange lag der Fokus der NS-Aufarbeitung auf den Intensivtätern in Staat und Militär. Doch auch viele einfache Menschen folgten der Nazi-Ideologie teils begeistert, wie eine vierteilige ARD-Dokureihe eindrucksvoll zeigt

von Manfred Riepe  23.04.2025

Glosse

Der Rest der Welt

Hochzeitsnächte und der Vorhang des Vergessens

von Margalit Edelstein  22.04.2025

Graphic Novel

Therese Giehse in fünf Akten

Barbara Yelins Comic-Biografie der Schauspielerin und Kabarettistin

von Michael Schleicher  22.04.2025

TV-Tipp

Arte-Doku über Emilie Schindler - Nicht nur »die Frau von«

Emilie und Oskar Schindler setzten sich für ihre jüdischen Arbeiter ein. Am 23. April läuft auf Arte eine Doku, die Emilie in den Mittelpunkt rückt

von Leticia Witte  22.04.2025

Kino

Film zu SS-Plantage »Kräutergarten« kommt ins Kino

Der Ort ist fast vergessen: Häftlinge im KZ Dachau erlitten dort Furchtbares. Nun erinnert der Dokumentarfilm »Ein stummer Hund will ich nicht sein« daran

 22.04.2025