Wenn Musiker im Rentenalter auf ausgedehnte Touren gehen, um ihre alten Songs aufzutragen wie eine abgewetzte Lederjacke, hat das meist etwas Befremdliches. Die Rolling Stones beispielsweise: Wenn diese allesamt um die 70 Jahre alten Herren von Groupies und Straßenkämpfen singen, steht da eine perfekte, wenn auch groteske Nostalgiemaschine auf der Bühne, die Abbilder einstiger Großtaten für das unwürdig mitgealterte Publikum abspult.
Im Vergleich zum 78-jährigen Leonard Cohen, der kommende Woche eine mehrwöchige Deutschlandtour beginnt, sind die Stones allerdings junge Springinsfelde. Cohen war schon ein relativ alter Mann – und etablierter Poet –, als er anfing, Musik zu machen, und er klang immer schon noch viel älter, als er tatsächlich war. Auch wenn man heute noch kaum auf einer griechischen Fähre sitzen kann, ohne dass irgendein langhaariger Interrailer irgendwann auf seiner Gitarre Suzanne spielt, um bei jungen Mädchen den Eindruck zu erwecken, dass er ein echt sensibler Typ sei: Cohen hat es geschafft, Millionen von Tonträgern zu verkaufen, ohne jemals ein Popstar zu sein.
»sieg heil« Für manche Studenten der späten 60er-Jahre taugte das Kaufen von Platten eines Künstlers mit dem Nachnamen »Cohen« vielleicht noch ebenso gut zum Elternschockieren wie der Kauf von »Negermusik«. Vielleicht erhoffte sich manch junger deutscher Käufer mit dem Erwerb auch einen Ablass von den Sünden der Väter. Dass Cohen allerdings 1970 in Hamburg sein nach deutscher Sitte stampfendes Publikum mit einem zackigen »Sieg Heil!« begrüßte, wird ihm schon der eine oder andere übel genommen haben.
Dabei war und ist Leonard Cohen zwar von jeher ein politischer Künstler, aber nie ein Mann für schlagkräftige Slogans. Das Politische lag und liegt für ihn immer mehr in der intimen Geste, in der zwischenmenschlichen Berührung als in tagespolitischen Statements. Er ist ein Dichter, der in der Musikbranche so fehl am Platz wirkt wie eigentlich überall anders auch. Der Dichter des Zweifels, der Entfremdung, der Absurdität und des Scheiterns. Aus der Zeit gefallen, wie er aus der Welt gefallen scheint.
Leonard Cohen war nie ein Rebell, aber immer ein Außenseiter. Um anders zu sein als seine Umgebung, musste er sich nicht auflehnen, sondern einfach er selbst sein. Cohen hat sich nicht gegen das Establishment in Pose geworfen, er stand von selbst draußen. Und da er nie Teil einer Jugendbewegung war, musste er sich mit fortschreitendem Alter auch nie neu erfinden oder zur unfreiwilligen Parodie einer leer gewordenen Pose werden.
lyrik Es ist kein Zufall, dass es etliche Gedichtbände von Leonard Cohen gibt, aber keine Platte mit Instrumentalversionen seiner größten Hits. Die Musik war nie mehr als Untermalung, und Singen im engeren Sinne konnte er auch nie. Was er konnte, war, mit seiner Stimme und mit ein paar Instrumenten im Hintergrund ein perfektes Umfeld für seine Lyrik zu schaffen. Zumindest im Idealfall, Teile seines Spätwerkes sind doch arg heimorgelig. Doch was für andere Musiker ein Todesstoß gewesen wäre, illustriert sehr schön seine Rolle als Außenstehender. Was in der Musikwelt passiert, versteht Cohen nicht, und es interessiert ihn auch nicht.
Seine Lyrik ist heute so stark wie ehedem. Und sein hervorragendes letztes Album Old Ideas von 2012 spielte er – zum ersten Mal seit Langem – wieder mit einer »richtigen« Band ein, die ihn dann auch auf Tour begleitete. Auf Old Ideas schrieb Leonard Cohen wachen Geistes in bewegenden Worten über den körperlichen Verfall und Abstiege in die finstersten Regionen der Depression. Und über Frauen und Liebe, geistige wie körperliche. Auf der begleitenden Tour spielte er etliche zuvor nie gehörte Stücke, von denen manche nicht auf dem Album waren. Was Hoffnungen auf mehr neue Songs bei der aktuellen Tour und vielleicht sogar auf eine neue Platte weckt.
geldnot Dass der Sänger/Songwriter Cohen sich mit fast 80 Jahren noch den Stress einer ausgedehnten Tour antut, hat auch handfeste finanzielle Gründe. Seine ehemalige Managerin ist vor einigen Jahren mit sehr, sehr viel Geld durchgebrannt und ließ ihm nur sehr, sehr wenig übrig. Wäre das nicht geschehen, vermutlich hätte Cohen sich nicht aufgerafft, ins Studio zu gehen und mit einiger Sicherheit wäre er nicht auf Tour gegangen. So mag sich der Betrug als »blessing in disguise« herausstellen. Für sein Publikum auf jeden Fall und vielleicht sogar für Leonard Cohen selbst.
Tourdaten: Dienstag, 25. Juni, Oberhausen, König-Pilsener-Arena; Freitag, 28. Juni, Mannheim, SAP-Arena; Sonntag, 14. Juni, Hamburg, O2-World, Mittwoch, 17. Juli, Berlin, O2-World.
Österreich: Samstag, 27. Juli, Wien, Stadthalle