Musik

Besuch des alten Herrn

Alles andere als Nostalgie: Leonard Cohen startet kommende Woche seine Deutschlandtour

von Alexander Kasbohm  17.06.2013 17:29 Uhr

Wachen Geistes schreibt er über körperlichen Verfall: Leonard Cohen Foto: imago

Alles andere als Nostalgie: Leonard Cohen startet kommende Woche seine Deutschlandtour

von Alexander Kasbohm  17.06.2013 17:29 Uhr

Wenn Musiker im Rentenalter auf ausgedehnte Touren gehen, um ihre alten Songs aufzutragen wie eine abgewetzte Lederjacke, hat das meist etwas Befremdliches. Die Rolling Stones beispielsweise: Wenn diese allesamt um die 70 Jahre alten Herren von Groupies und Straßenkämpfen singen, steht da eine perfekte, wenn auch groteske Nostalgiemaschine auf der Bühne, die Abbilder einstiger Großtaten für das unwürdig mitgealterte Publikum abspult.

Im Vergleich zum 78-jährigen Leonard Cohen, der kommende Woche eine mehrwöchige Deutschlandtour beginnt, sind die Stones allerdings junge Springinsfelde. Cohen war schon ein relativ alter Mann – und etablierter Poet –, als er anfing, Musik zu machen, und er klang immer schon noch viel älter, als er tatsächlich war. Auch wenn man heute noch kaum auf einer griechischen Fähre sitzen kann, ohne dass irgendein langhaariger Interrailer irgendwann auf seiner Gitarre Suzanne spielt, um bei jungen Mädchen den Eindruck zu erwecken, dass er ein echt sensibler Typ sei: Cohen hat es geschafft, Millionen von Tonträgern zu verkaufen, ohne jemals ein Popstar zu sein.

»sieg heil« Für manche Studenten der späten 60er-Jahre taugte das Kaufen von Platten eines Künstlers mit dem Nachnamen »Cohen« vielleicht noch ebenso gut zum Elternschockieren wie der Kauf von »Negermusik«. Vielleicht erhoffte sich manch junger deutscher Käufer mit dem Erwerb auch einen Ablass von den Sünden der Väter. Dass Cohen allerdings 1970 in Hamburg sein nach deutscher Sitte stampfendes Publikum mit einem zackigen »Sieg Heil!« begrüßte, wird ihm schon der eine oder andere übel genommen haben.

Dabei war und ist Leonard Cohen zwar von jeher ein politischer Künstler, aber nie ein Mann für schlagkräftige Slogans. Das Politische lag und liegt für ihn immer mehr in der intimen Geste, in der zwischenmenschlichen Berührung als in tagespolitischen Statements. Er ist ein Dichter, der in der Musikbranche so fehl am Platz wirkt wie eigentlich überall anders auch. Der Dichter des Zweifels, der Entfremdung, der Absurdität und des Scheiterns. Aus der Zeit gefallen, wie er aus der Welt gefallen scheint.

Leonard Cohen war nie ein Rebell, aber immer ein Außenseiter. Um anders zu sein als seine Umgebung, musste er sich nicht auflehnen, sondern einfach er selbst sein. Cohen hat sich nicht gegen das Establishment in Pose geworfen, er stand von selbst draußen. Und da er nie Teil einer Jugendbewegung war, musste er sich mit fortschreitendem Alter auch nie neu erfinden oder zur unfreiwilligen Parodie einer leer gewordenen Pose werden.

lyrik Es ist kein Zufall, dass es etliche Gedichtbände von Leonard Cohen gibt, aber keine Platte mit Instrumentalversionen seiner größten Hits. Die Musik war nie mehr als Untermalung, und Singen im engeren Sinne konnte er auch nie. Was er konnte, war, mit seiner Stimme und mit ein paar Instrumenten im Hintergrund ein perfektes Umfeld für seine Lyrik zu schaffen. Zumindest im Idealfall, Teile seines Spätwerkes sind doch arg heimorgelig. Doch was für andere Musiker ein Todesstoß gewesen wäre, illustriert sehr schön seine Rolle als Außenstehender. Was in der Musikwelt passiert, versteht Cohen nicht, und es interessiert ihn auch nicht.

Seine Lyrik ist heute so stark wie ehedem. Und sein hervorragendes letztes Album Old Ideas von 2012 spielte er – zum ersten Mal seit Langem – wieder mit einer »richtigen« Band ein, die ihn dann auch auf Tour begleitete. Auf Old Ideas schrieb Leonard Cohen wachen Geistes in bewegenden Worten über den körperlichen Verfall und Abstiege in die finstersten Regionen der Depression. Und über Frauen und Liebe, geistige wie körperliche. Auf der begleitenden Tour spielte er etliche zuvor nie gehörte Stücke, von denen manche nicht auf dem Album waren. Was Hoffnungen auf mehr neue Songs bei der aktuellen Tour und vielleicht sogar auf eine neue Platte weckt.

geldnot Dass der Sänger/Songwriter Cohen sich mit fast 80 Jahren noch den Stress einer ausgedehnten Tour antut, hat auch handfeste finanzielle Gründe. Seine ehemalige Managerin ist vor einigen Jahren mit sehr, sehr viel Geld durchgebrannt und ließ ihm nur sehr, sehr wenig übrig. Wäre das nicht geschehen, vermutlich hätte Cohen sich nicht aufgerafft, ins Studio zu gehen und mit einiger Sicherheit wäre er nicht auf Tour gegangen. So mag sich der Betrug als »blessing in disguise« herausstellen. Für sein Publikum auf jeden Fall und vielleicht sogar für Leonard Cohen selbst.

Tourdaten: Dienstag, 25. Juni, Oberhausen, König-Pilsener-Arena; Freitag, 28. Juni, Mannheim, SAP-Arena; Sonntag, 14. Juni, Hamburg, O2-World, Mittwoch, 17. Juli, Berlin, O2-World.
Österreich: Samstag, 27. Juli, Wien, Stadthalle

Haushaltslage im Land Berlin

Topographie des Terrors befürchtet Einschränkungen

Stiftungsdirektorin Andrea Riedle sieht vor allem die Bildungsarbeit gefährdet

 26.12.2024

Rezension

Fortsetzung eines politischen Tagebuchs

In seinem neuen Buch setzt sich Saul Friedländer für die Zweistaatenlösung ein – eine Vision für die Zeit nach dem 7. Oktober ist allerdings nur wenig greifbar

von Till Schmidt  26.12.2024

Medien

Antisemitische Aggression belastet jüdische Journalisten

JJJ-Vorsitzender Lorenz Beckhardt fordert differenzierte und solidarische Berichterstattung über Jüdinnen und Juden

 26.12.2024

Rezension

Ich-Erzählerin mit böser Wunde

Warum Monika Marons schmaler Band »Die Katze« auch von Verbitterung zeugt

von Katrin Diehl  25.12.2024

Bräuche

»Hauptsache Pferd und Kuh«

Wladimir Kaminer über seine neue Sendung, skurrile Traditionen in Europa und das Drecksschweinfest in Sachsen-Anhalt

von Nicole Dreyfus  25.12.2024

Dessau

Was bleibt

Am Anhaltinischen Theater setzt Carolin Millner die Geschichte der Familie Cohn in Szene – das Stück wird Anfang Januar erneut gespielt

von Joachim Lange  25.12.2024

Kolumne

Aus der Schule des anarchischen Humors in Minsk

»Nackte Kanone« und »Kukly«: Was mich gegen die Vergötzung von Macht und Machthabern immunisierte

von Eugen El  24.12.2024

Rezension

Die Schönheit von David, Josef, Ruth und Esther

Ein Sammelband bietet Einblicke in die queere jüdische Subkultur im Kaiserreich und der Weimarer Republik

von Sabine Schereck  24.12.2024

Kultur

Termine und TV-Tipps

Termine und Tipps für den Zeitraum vom 19. Dezember bis zum 2. Januar

 23.12.2024