»Über den Schmerz redete man nicht«, schreibt David Safier am Ende seines neuen Buches »Solange wir leben«, der Geschichte seiner Familie. Man redete nicht über den Schmerz, dass die Großeltern im Holocaust umgekommen waren, oder über die Trauer des jüdischen Vaters, die geliebte Heimat für ein fremdes Land aufgeben zu müssen. Auch das Leid der als Kriegskind im Bombenhagel aufgewachsenen Mutter war tabu. Der Schmerz war übermächtig im Hause Safier und deshalb wurde hartnäckig geschwiegen, wie in so vielen anderen deutschen Familien in der Nachkriegszeit.
»Alles, was ich über meinen Vater und meine Mutter weiß, habe ich mir aus kurzen Momenten zusammengereimt«, erzählte der Bremer Autor einmal in einem Interview. »Ich habe mich nie getraut zu fragen – aus Respekt oder was auch immer.« Er habe immer »diese Abwehr gespürt und es wurde nur ganz selten erzählt. Wenn etwas erzählt wurde und ich mir dadurch etwas zusammenreimen konnte, entstand daraus ein Bild. Aber das sind natürlich Bruchstücke gewesen.«
Fiktionale Erzählweise Erst jetzt, Jahrzehnte nach dem Tod der Eltern, hat der Bestsellerautor ihre anrührende Lebensgeschichte aufgeschrieben. Das Buch »Solange wir leben« ist allerdings keine Doppelbiografie oder Dokumentation geworden, sondern ein Roman. Schließlich, so Safier, führten seine Eltern »das Leben von großen Romanfiguren«. Ein weiterer Grund für die fiktionale Erzählweise dürfte schlicht und einfach darin liegen, dass wegen der Verschwiegenheit der Eltern eine detailgetreue Biografie kaum möglich gewesen wäre.
Bekannt geworden ist Safier mit witziger, skurriler Unterhaltungsliteratur wie »Mieses Karma« oder »Jesus liebt mich«, in der Magie und Reinkarnation häufig eine große Rolle spielen: Menschen verwandeln sich in Tiere oder finden sich plötzlich im Körper historischer Persönlichkeiten wieder, bisweilen entwickeln auch Tiere ein menschliches Eigenleben. Zuletzt feierte er mit der in der Uckermark spielenden Krimi-Serie »Miss Merkel« große Erfolge.
Einmal allerdings hat Safier schon über den Holocaust geschrieben. In seinem Jugendbuch »28 Tage lang« erzählt er über den Alltag eines Mädchens im Warschauer Ghetto. Safiers eigene Großmutter starb nach ihrer Deportation aus Wien im Ghetto von Lodz.
Zwei Erzählstränge Safier schildert die Lebensgeschichte seiner Eltern in zwei Erzählsträngen, was zumindest in der ersten Hälfte des Buchs angemessen erscheint, denn erst Anfang der 1960er-Jahre findet dieses Paar unterschiedlicher Welten und Generationen zueinander.
Als der Jude Joschi Safier Waltraud begegnet, ist er bereits ein vom Leben gezeichneter Mann in mittleren Jahren. Mit viel Glück gelang ihm einst dank seiner energischen Schwester Rosl die Flucht von Wien nach Israel, wo er jedoch nie ganz heimisch wurde. Aus unglücklicher Ehe flüchtete er sich in die Seefahrt. Als er sich bei einem Landgang in Bremen in die schöne Waltraud verliebt, beschließt er, im Land der Täter zu bleiben. Trotz ihrer Jugend ist auch Waltraud bereits eine Versehrte. Im Krieg wuchs sie unter ärmsten Bedingungen auf, eine erste Ehe endete mit dem tragisch frühen Tod des geliebten Mannes.
Die Liebesbeziehung dieser beiden geschundenen Menschen ist zu Herzen gehend. Denn das ungleiche Paar erwartet auf ihrem gemeinsamen Lebensweg viel Leid: Alkoholismus, der frühe Krebstod einer Tochter und nicht zuletzt immer wieder finanzielle Pleiten, da Joschi ein lausiger Geschäftsmann ist. Wer leichte Unterhaltungsliteratur mit Happy End sucht, wird von dem Buch wohl eher enttäuscht sein. Wer authentischen Lebensgeschichten des 20. Jahrhunderts etwas abgewinnen kann, wird es schätzen. Safier selbst hat mit diesem Roman seinem Vater und seiner Mutter ein Denkmal gesetzt: »Ich denke an meine Eltern jeden Tag.«
David Safier: Solange wird leben, Kindler Verlag, Hamburg, 464 Seiten, 24 Euro, ISBN 978-3-463-00030-5