Über den leeren Hinterhof des Fridericianums, wo im Sommer noch ruangrupa die documenta mit lumbung zu beglücken versuchte, geht es in den Keller zur Nebenspielstätte des Staatstheaters Kassel. Hier wird die mit Spannung erwartete Uraufführung von Avishai Milsteins Die Friedensstifterin gezeigt. Milstein, der nach seinem Militärdienst in Israel in München studiert hat und inzwischen seit vielen Jahren das Beit-Lessin-Theater in Tel Aviv leitet, war selbst für den großen Tag aus Israel angereist.
Ein Stück über den Nahostkonflikt, und das in Kassel nach dem documenta-Skandal – kann das gut gehen? Mehr als das, es ist ein wahrer Glücksfall! Die Friedensstifterin ist eine rasante schwarze Komödie über die Deutschen, die Juden und Israel. Regisseur Josua Rösing jagt mit dem spielfreudigen Ensemble von Pointe zu Pointe, man kommt kaum hinterher. Emilia Reichenbach spielt die Cellistin Alice, kurz: Ali, die mit einem Husumer Streichensemble ein Konzert in Gaza geben will. Kurz darauf wird sie entführt und landet, wieder befreit, in Israel. Und ist beseelt von der Idee eines großen Friedensplans.
Mission Die große Mission in Alis Herzen wird beflügelt durch die klassische deutsche Musik. Wäre es nicht wunderbar, dadurch den Weltfrieden zu bringen? Gerade sie als Deutsche, die aus der Vergangenheit so viel gelernt hat? Das Gefühl der moralischen und kulturellen Überlegenheit führt dazu, dass Alice die Menschen in ihrer Umgebung nur als Objekte ihrer moralischen Fürsorge wahrnimmt. Wer sich ihr als Opfer präsentiert, darf mit ihrer vollen Zuneigung rechnen. Tote Juden und lebende Palästinenser hat sie in ihr Herz geschlossen, nur mit den lebenden Juden hapert es.
Das Stück wendet sich gegen Antisemitismus, indem es zeigt, wie vielfältig und zugleich einfältig er sich äußert.
Die Friedensstifterin zeigt mit bitterbösem Humor eine deutsche Seelenlandschaft, in der die reine Liebe zur großen Kultur mit allerlei Ressentiments einhergeht, nicht zuletzt gegen Juden. Die von der Weltfremdheit des deutschen Idealismus gespeiste Naivität kippt in einen unheimlichen Eifer, der wie einst den totalen Krieg nun den totalen Frieden einfordert. Es ist ein Stück über die sanfte Unmenschlichkeit der kulturellen Überhöhung, die mit einem gehobenen Antisemitismus einhergeht. Das muss man nicht, kann man aber auch als Kommentar zur documenta verstehen.
Und der große Plan vom Frieden durch klassische Musik? Ist am Ende nicht mehr als der Versuch, sich abermals zur moralischen Größe aufzublasen. Zwischen einem Coldplay-Konzert und einem Eiskunstlaufpärchen eingetaktet, ist er zum Scheitern verdammt. Hinderlich ist das nicht, im Gegenteil. Je unmöglicher das eigene Vorhaben, umso mehr kann man von der Wirklichkeit unberührt im romantischen Gefühl schwelgen – wie auch das eigene künstlerische Schaffen den Anschein größerer metaphysischer Weihen erhält.
Farce Es ist eine absurde Farce, der es nicht an Realität mangelt. Das liegt nicht nur an einzelnen Ereignissen, die man in Die Friedensstifterin wiedererkennen kann – von Daniel Barenboims Konzert in Gaza über Mahmud Abbas’ Rede von den »50 Holocausts« bis zur Entführung von Gilad Schalit. Ein Dokumentarstück ist es trotzdem nicht, wie Milstein betont. Es ist vor allem der Versuch, den deutschen Blick auf Israel mit aller Schärfe zu fassen zu bekommen. Und mit großer Lust all die Vorurteile, Ressentiments, Missverständnisse und sonstigen Absurditäten auf die Bühne zu bringen und gnadenlos abzuräumen.
Die Friedensstifterin wendet sich gegen Antisemitismus, indem das Stück zeigt, wie vielfältig und zugleich einfältig er sich äußert. Mit einem umfangreichen Begleitprogramm richtet sich das Theater an die Stadtgesellschaft in Kassel. Avishai Milstein will die Inszenierung zudem unbedingt nach Israel ins Theater bringen. Eine weite Verbreitung im deutschen Theater ist dem Stück darüber hinaus sehr zu wünschen. Eine solche Mischung aus großartigem Witz und politischer Brisanz sieht man selten.
Das Stück wird am 6. Mai und am 16. Juni erneut am Staatstheater Kassel aufgeführt.