Die Philharmonie war besetzt bis auf den letzten Platz. 2200 Menschen wollten das Benefizkonzert der Berliner Philharmoniker erleben. Aber nicht nur die Zuhörer im Konzertsaal.
In Tel Aviv saß der in Geiselhaft in Gaza 16 Jahre alt gewordene Amit mit seiner Familie vor dem Bildschirm, um den Livestream aus Berlin zu verfolgen. Denn sein Onkel, Amihai Grosz, Solobratscher im Orchester, hatte dieses Konzert zur Unterstützung der Geisel-Familien geplant. Der Teenager Amit gehört zu den befreiten Geiseln, nicht zuletzt dank der massiven Unterstützung der Berliner Philharmoniker. Intendantin Andrea Zietzschmann hatte alle Kontakte zum Auswärtigen Amt und zu Krisenstäben genutzt, damit Amit freikommt.
Zu Recht haben wir die hochsubventionierten Berliner Orchester kritisiert, weil sie lange nach dem 7. Oktober geschwiegen und keine Veranstaltung geplant haben. Bei den Philharmonikern kam eine Asien-Tournee dazwischen. Doch mit diesem in wenigen Tagen organisierten und innerhalb von Stunden ausverkauften Konzert am Mittwochnachmittag haben sie alle Erwartungen übertroffen.
Die israelische Sängerin Noa und die Palästinenserin Mira Awad sangen gemeinsam: »There Must be another way«. Das Publikum sang mit.
Martha Argerich, Thomas Hampson, Christian Tetzlaff, Steven Isserlis, das alles sind große Namen, Ikonen, Legenden, Weltstars, Kultfiguren der Klassik, Koryphäen. Diese Begriffe passen zwar auf die Künstlerinnen und Künstler des Benefizkonzertes »Gemeinsam für die Menschlichkeit«, beschreiben aber nicht die berührende Atmosphäre in der Philharmonie.
Viele weitere berühmte Künstler haben sich bei Amihai Grosz und dem Pianisten Iddo Bar-Shai gemeldet, das Konzert hätte statt der zwei auch acht Stunden dauern können. So ist der Oudspieler Taiseer Elias aus Israel eingeflogen, um dabei zu sein. Die israelische Sängerin Noa und die Palästinenserin Mira Awad haben gemeinsam gesungen: Es muss doch einen anderen Weg geben. »There Must be another way«. Das Publikum sang mit.
Besonders erschütternd war die Rede von Efrat Machikawa. Ihr Onkel, ein alter Herr, der weltweit in vielen Ländern die Landwirtschaft revolutioniert hat, leidet wie 136 weitere Geiseln noch in den Tunneln von Gaza. Seine Nichte engagiert sich im Forum der Geiselfamilien und fragte in den Saal:
Besonders erschütternd war die Rede von Efrat Machikawa. Ihr Onkel Gadi leidet wie 136 weitere Geiseln noch in den Tunneln von Gaza.
»Haben sie dir zu essen gegeben, Onkel Gadi? Hattest du die Möglichkeit, die Sonne in den letzten 75 Tagen zu sehen? Bekommst du irgendwelche Medizin? Wissen sie um Deine Blutdruckprobleme? Kannst du irgendwas ohne Deine Hörgeräte hören? Foltern sie dich? Wissen sie, wie besonders Du bist?«
Für zwei israelisch-palästinensische Frauenorganisationen betrat Meera Eilabouni die Bühne. »Women Wage Peace« und »Women of the Sun« sind nominiert für den Friedensnobelpreis. »Mütter, israelische und palästinensische, arabische und jüdische engagieren sich, um Frieden zu schaffen, bis der Konflikt endgültig vorbei ist. Denn es gibt keine Macht auf der Welt, die eine Mutter stoppen kann, wenn sie eine Zukunft für ihre Kinder schaffen möchte«, sagte Eilabouni.
Alle Einnahmen im restlos ausverkauften Saal mit 2200 Plätzen sind Spenden für die Familien der Geiseln und für zwei Frauenorganisationen.
An diesem Nachmittag in der Philharmonie haben sich die Kulturen des alten Europas und seine jüdischen Wurzeln verbunden mit der Katastrophe am 7. Oktober und ihren Folgen. Amihai Grosz spielte zum Schluss Max Bruchs Kol Nidrei, Kirill Petrenko dirigierte, die Philharmoniker musizierten in großer Besetzung, eingereiht zwischen ihnen weltberühmte Solisten wie Christian Tetzlaff oder Steven Isserlis. Niemand bekam eine Gage, alle Einnahmen im restlos ausverkauften Saal mit 2200 Plätzen sind Spenden für die Familien der Geiseln und für die beiden Frauenorganisationen.
Die Schauspielerin Martina Gedeck zitierte Bertolt Brecht und traf mit dessen Gedicht »An die Nachgeborenen« den Ton des Nachmittags: »Ihr aber, wenn es soweit sein wird / Daß der Mensch dem Menschen ein Helfer ist / Gedenkt unsrer / Mit Nachsicht.«