Der Versuch ist die Mühe nicht wert. Was sagt das eigentlich über die Welt, die Bücher, die Leser und Schreiber aus, wenn sich am Ende doch alles um die Frage dreht: Welche Fakten stimmen in diesem Stück Literatur? Oder noch viel wichtiger: Ist die Ich-Erzählerin gleichzusetzen mit der Autorin?
Antwort »Ja, das sind tatsächlich häufig nach Lesungen die ersten Fragen, die kommen«, sagt Dana von Suffrin. Sie gebe dann häufig zur Antwort, dass irgendwie alles, was man schreibe, autobiografisch sei, »egal, wie weit es von der eigenen Geschichte entfernt ist«. Sie weist darauf hin, dass sie gar nicht anders schreiben könne als eben autobiografisch, und weiß sofort, dass damit keiner zufriedenzustellen ist, dem der Blick weggeglitten ist vom Text hin zu der Person, die den Text geschaffen hat.
Der Versuch, herauszubekommen, ob in von Suffrins Buch diese titelgebende Person »Otto« wirklich ihr Vater ist, sie, Dana von Suffrin, hinter der Ich-Erzählerin steckt, ist die Mühe nicht wert. Dichtung und Wahrheit lassen sich in Dana von Suffrins Erstlingswerk Otto nicht auseinanderklauben, was auch daran liegt, dass der studierten Historikerin genau das beim Schreiben so richtig Spaß gemacht hat: sich Fakten »einfach auszudenken, zu erfinden, ganz so, wie ich das wollte«.
VORFAHREN Und natürlich ist Otto trotzdem ihre Geschichte und auch die Geschichte ihres Vaters, der wie sein Doppelgänger im Buch »glücklicherweise keine KZ-Häftlingsnummer auf den Arm tätowiert« hatte, der alt und krank mit seinen Töchtern seine Machtspielchen trieb, der ein Siebenbürger Jude war mit Vorfahren aus Galizien, der erst nach Israel ging und dann nach Deutschland, und der dies und das erzählt hat.
»Aber Leute erinnern sich nicht, wie es in Geschichtsbüchern steht«, sagt Dana von Suffrin, und dass es daher bei der literarischen Reproduktion eigentlich auch weniger um den Inhalt als um die Art des Erzähltwerdens geht. Und noch einmal: »Die Familie im Buch ist nicht meine Familie, hat aber viele autobiografische Wendungen, und es hat mir am Ende Vergnügen bereitet, nicht mehr genau zu wissen, was wirklich war und was ich mir ausgedacht habe.«
Der Stoff für ihr erstes Buch scheint mit der Entdeckung geboren worden zu sein, aus einer irgendwie »anderen« Familie zu kommen.
Vergnügen beim Schreiben ist das, was man von Suffrins Buch anmerkt. Wie mit lockerer Hand hingeworfen wirkt es, getragen von einem rettenden Humor, der sich jedenfalls nicht mal eben für ein Stück Literatur anlernen lässt – er stammt aus einem gelebten Leben. Dana von Suffrin ist eine Beobachterin aus Leidenschaft. Kopfhörer trägt sie, damit die Menschen um sie herum sich nicht belauscht fühlen. Der Stoff für ihr erstes Buch scheint tatsächlich mit der Entdeckung geboren worden zu sein, aus einer irgendwie »anderen« Familie zu kommen.
EUKALYPTUS Dana von Suffrin wurde 1985 in München geboren. Sie studierte Politikwissenschaft, Komparatistik und Geschichte, schrieb in München, wo sie lebt, ihre Doktorarbeit – »Sie müsste dieser Tage erscheinen«, sagt sie – zum Thema »Pflanzen für Palästina! Otto Warburg und die Naturwissenschaften im Jischuw, 1900–1930«. Dafür war sie natürlich auch in Israel unterwegs, »eine Gelegenheit, mein Hebräisch aufzuhübschen«.
Eine Forschungszeit lang gab es also den nächsten Otto in von Suffrins Leben. »Otto Warburg war so ein richtiger Kolonialbotaniker, und da gibt es fast süße Bilder, wie er da steht in Zylinder und Frack und bepflanzt dann diese Mondlandschaft mit Eukalyptus«, erzählt sie.
In einer Forschungsarbeit versuchte sie zu zeigen, wie es einer Gruppe von deutsch-jüdischen Botanikern um Otto von Warburg darum ging, Fakten in Palästina zu schaffen.
In ihrer Arbeit habe sie versucht zu zeigen, wie es einer Gruppe von deutsch-jüdischen Botanikern darum ging, Fakten in Palästina zu schaffen – mithilfe von Pflanzen. »In diesem Sinne kann man durchaus sagen, dass es so etwas wie zionistische Pflanzen und übrigens auch Tiere gibt«, so ihre Schlussfolgerung. Und ja, wissenschaftlich zu arbeiten, liege ihr schon auch. Ihr Roman sei daneben »gewachsen«.
»Wie das bei mir so ist: Ich trage eine Geschichte eine gute Weile lang im Kopf und schreibe sie dann mehr oder weniger herunter.« Weil der Vater eben »so ein Typ« war, stand er schnell als derjenige fest, »um den sich alles drehen sollte«.
SCHIMPFWÖRTER Otto ist alt, und Otto ist krank. Er ist ein pensionierter Ingenieur, ein jüdischer Familienpatriarch, der seine beiden Töchter in Schach hält, sie an sich und sein Krankenbett fesselt. Otto macht sich deren Leben zu eigen, liefert dafür auch einiges an Unterhaltungswert, gepfeffert mit einer gehörigen Portion schwarzen Humors und vieler saftiger wie befreiender Schimpfwörter. »Die gehörten tatsächlich zu unserer Familiensprache«, sagt Dana von Suffrin. »Wir haben zu Hause immer so miteinander geredet, und ich dachte, das sei normal, bis andere Kinder zu Besuch kamen und rote Ohren und große Augen kriegten.«
»Humor war bei uns eine Art Pragmatismus. Man kann ja nicht jeden Tag verzweifeln.«
Dana von Suffrins Roman haben alle großen Zeitungen gelobt. Für ihren Erstling erhielt sie den Klaus-Michael-Kühne-Preis für das beste Romandebüt des Jahres. Der Erfolg hat die junge Autorin »richtig überrascht«, sagt sie. Sie strahlt alle Menschen an, die kommen, um sie zu sehen, um sie aus ihrem Buch lesen zu hören, um ihr etwas Nettes zu sagen. Das freue sie viel mehr als gute Rezensionen.
Wenn von Suffrin vor Publikum liest, wird viel gelacht. Macht sich da Erleichterung breit, einmal lockerlassen zu dürfen – obgleich es um die deutsch-jüdische Vergangenheit geht? Dana von Suffrin weiß nicht so recht: »So eine Art Katharsis oder so? Hm.« Humor habe einfach seine Funktion in Familien wie der ihren. »Er ist immer das verbindende Moment gewesen zwischen uns und den Freunden, die eben auch die Schoa im Hintergrund hatten. Vielleicht war das auch so eine Art Pragmatismus, mit der Sache umzugehen. Und was sollte man auch anderes machen? Man kann nicht jeden Tag verzweifeln.«
KLISCHEES Und wie ist das mit den Klischees? Ja, daran habe sie ab und zu auch beim Schreiben gedacht, der jüdische Witz und so, der penetrante Geiz von Otto. »Mir kam einiges klischiert vor, aber mich hat es am Ende nicht so sehr gestört. Klischees sind halt Klischees, auch weil sie oft stimmen, und solange sie nicht zur alleinigen Charakterisierung führen, ist es in Ordnung, mit ihnen zu arbeiten«, meint sie.
In dem Roman gibt es natürlich auch ernste Sätze – an denen man erst einmal vorbeimuss. »Wir bleiben Kinder von Kindern« ist so einer. Von diesem Gedanken sei ihr Exposé zur Story ursprünglich noch viel mehr geprägt gewesen, sagt von Suffrin. Das habe sie sehr interessiert. »Wie kommen wir da heraus? Kommen wir da überhaupt heraus, und ist das wirklich erstrebenswert?« Am Ende bleiben wohl die meisten Figuren, auch Otto, in ihrer Rolle gefangen, stellt sie fest. Das zu wissen, kann sehr hilfreich sein. So heißt es an einer Stelle in ihrem Buch: »Konnte ich meinem Vater, Sohn einer über Nacht weiß gewordenen Frau, übel nehmen, dass er war, was er war?«
Sie sei der Typ, bei dem bei allem Lob aus Kritikermund Selbstzweifel blieben, sagt die 34-Jährige. Und deshalb müsse man »einfach mal sehen, wie es weitergeht«. Im Moment schreibt von Suffrin zusammen mit zwei anderen Autoren an einem Drehbuch. Das sei »etwas ganz anderes«. Und das sei gut, sagt sie, dass es so anders sei – weit weg von Otto.
Dana von Suffrin: »Otto«. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2019, 230 S., 20 €