Vorige Woche habe ich in einem Trödelladen ein kleines Christophorus-Medaillon entdeckt. Man sah darauf, wie der alte Mann das Jesusknäblein über einen Fluss trägt. Die Verkäuferin verlangte umgerechnet 30 Cent für den Glücksbringer. Ich musste mich zusammenreißen, um nicht zu kichern. Der heilige Christophorus war nämlich aus Gold, wie sich auch bestätigte, als ich ihn zu Hause mit meiner Briefmarkenlupe genauer betrachtete. Er war sogar gestempelt. Ich ging in die Küche und legte das kleine Goldstückchen auf die Waage. Die konnte sich lange nicht entscheiden und oszillierte ständig zwischen null und ein Gramm. Schließlich blieb sie aber bei der 1 hängen. Toll! Ein ganzes Gramm Gold für 30 Cent!
RATLOS So weit so gut. Aber jetzt kam das Problem. Was tun mit dem Amulett? Als Jude kann ich nicht einfach einen heiligen, aber christlichen Christophorus im Portemonnaie mit mir herumtragen. Mir kam meine Tochter in den Sinn. Zurzeit liebt sie Delfine über alles. Sollte ich bei einem Goldschmied den Heiligen Christophorus vieleicht in in einen Fisch umschmelzen lassen? Aber das kostet reichlich Geld. Den Rabbiner anrufen, ihn fragen, was ich mit dem goldigen Schutzheiligen machen soll? Besser nicht, der schlägt wahrscheinlich nur vor, das Medaillon zu spenden. Verdammt. Mittlerweile bereute ich den Kauf.
Die Rettung kam am Donnerstag. Meine Frau schickte mich mit einer langen Einkaufsliste in die Stadt. Dort kam ich zufällig an einem Juwelierladen vorbei. Ein großes Plakat in der Vitrine lockte Laufkundschaft an: »Gold – historischer Höchststand! – Verkaufen Sie Ihre Ringe und Ihr Zahngold – Jetzt!« Die würden sicherlich auch meinen Heiligen Christophorus nehmen. Ich ging in das Geschäft und stellte mich hinter einer alten Frau an, die aus ihrer Handtasche Unmengen Geschmeide klaubte: Ringe, Uhren, Ketten, Armbänder, alles aus Gold. Ich fühlte mich mit meinem Mini-Medaillon plötzlich etwas piefig. Egal, 20 Franken könnte ich dafür wahrscheinlich kassieren.
WERTLOS Während die Frau vor mir noch immer aus ihrer Tasche Schmuck hervorkramte, fragte die Verkäuferin mich, was ich wolle. Ich streckte ihr den Christophorus entgegen und brummte: »Gegen Geld, bitte.« Sie sah sich den Heiligen an, dann mich und ging wortlos ins Nebenzimmer. Nach ein paar Augenblicken kam sie wieder zurück. »Kein Gold. Vielleicht Messing«
Die alte Frau mit dem vielen Schmuck schaute von ihrer Handtasche hoch und schmunzelte mich saudoof an. Ich sah zu, so schnell wie möglich aus dem Laden rauszukommen. Vor der Tür dachte ich nach. Ich hatte einen wertlosen Schutzpatron der christlichen Reisenden – was jetzt?
Schließlich habe ich das Medaillon bei einer Straßenkreuzung deponiert, an der bei Unfällen schon viele gestorben sind. Vielleicht kann der Messingheilige helfen. Auf dem Nachhauseweg kam mir Nathan der Weise in den Sinn. Der war fast so weise wie ich.
Der Autor ist Lehrer und Publizist in der Schweiz. Er wechselt sich an dieser Stelle mit Ayala Goldmann ab.