Finale

Benis Welt

In unserem Haus gibt es einen Luftschutzkeller. Ich habe dieses Relikt aus der Zeit des Kalten Krieges lange Zeit als reine Kuriosität betrachtet. Bis Fukushima. Als die ersten Meldungen über die Havarie in dem japanischen Kernkraftwerk kamen, probierte ich aus, wie lange ich von unserer Wohnung in den Keller brauchte. Es waren 28 Sekunden.

Fukushima, Tschernobyl. Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie wir vor 25 Jahren keinen Bärlauch mehr essen durften. Mein Vater, damals Oberleutnant in der Armee, warf aus einem großen Schrank im Keller die abgelegten Kinderkleider raus und füllte ihn stattdessen mit Konservenbüchsen und Spaghetti. Wir hatten sogar eine kleine Kochplatte und 100 Liter Mineralwasser. Außerdem fünf »Lustige Taschenbücher« mit Micky-Maus-Comics, drei Taschenlampen und ein kleines Radio. Später habe ich auch eine »Playboy«-Ausgabe hinter den Konservenbüchsen entdeckt. Mein Vater hatte wirklich an alles gedacht.

Bamba Und heute? Noch ist mein Keller nicht überlebenstauglich. Als erstes habe ich deshalb sämtliche Weinflaschen, die ich von den Eltern meiner Schüler zu Purim erhalten habe, in einen stabilen Kasten gestellt. Wenn schon Atomkatastrophe, dann bitte fröhlich. Dann habe ich eine Jumbo-Packung Bamba gekauft – das ist ein israelischer Puffreissnack– und mit Ziffern von 1 bis 40 beschriftet. 40 Tage lang – so meine Überlegung – kann ich ohne größere Probleme mit Bamba und Wein überleben.

Oh, ganz vergessen, ich habe ja noch ein Baby, eine laute Göre und ein Weib. Das macht die Sache schwieriger. Das Kellerabteil ist nur sechs Quadratmeter groß, gerade mal drei mehr als unser Ehebett. Allein die Windeln für das Baby brauchen mehr Platz, von den sechs Puppen der großen Tochter nicht zu reden. Abgesehen davon brauche ich mit den zwei Kindern aus der Wohnung in den Keller 7 Minuten – ich habe es getestet. Im Falle eines GAUs ist das natürlich viel zu lange. Mist. Gerade hatten die Überlebensfantasien angefangen, mir Freude zu machen.

Aber vielleicht mache ich mir nur viel zu viele Sorgen. Wer sagt denn, dass radioaktive Wolken aus Japan nach Zürich gelangen können? Wofür haben wir Schweizer die vielen Berge als Regenfänger eingesetzt? Sie als Deutsche haben davon natürlich nichts. Aber in schwierigen Zeiten wie diesen verengt sich das Blickfeld. Ich habe nochmals die Zeit gestoppt, die ich brauche, um in den Luftschutzkeller zu rennen. Alleine, ohne Kinder, schaffe ich es inzwischen in 25 Sekunden.

Der Autor ist Lehrer und Publizist in der Schweiz.

In eigener Sache

Zachor!

Warum es uns besonders wichtig ist, mit einer Sonderausgabe an Kfir, Ariel und Shiri Bibas zu erinnern

von Philipp Peyman Engel  10.03.2025 Aktualisiert

Kulturkolumne

Hat Kunst je eine Katastrophe verhindert?

Nachgefragt bei Kubrick und Zweig

von Sophie Albers Ben Chamo  09.03.2025

Jüdisch-israelische Kulturtage

»Kleine Synagoge« zeigt Werke von Daniela Bromberg

Daniela Bromberg ist eine Erfurter Künstlerin, die sich in ihrem Werk mit der Thora, dem Chassidismus und ethischen Fragen auseinandersetzt

 09.03.2025

Restitution

Potsdam-Museum gibt zwölf, in der NS-Zeit enteignete Bücher zurück

Günther Graf von der Schulenburg stieß auf die Bücher in der Lost Art-Datenbank des Deutschen Zentrums Kulturgutverluste

 09.03.2025

Aufgegabelt

Tschüss, Winter: Karotten-Kugel

Rezepte und Leckeres

von Katrin Richter  08.03.2025

Antisemitismus

Gert Rosenthal: »Würde nicht mit Kippa durch Neukölln laufen«

Die Bedrohung durch Antisemitismus belastet viele Jüdinnen und Juden. Auch Gert Rosenthal sieht die Situation kritisch - und erläutert, welche Rolle sein Vater, der Entertainer Hans Rosenthal, heute spielen würde

 07.03.2025

Medien-Skandal

BBC zeigt Doku mit Kindern von Hamas-Terroristen

Der Film sollte auf das Leid von Kindern im Gazastreifen aufmerksam machen, doch er weist schwere handwerkliche Mängel auf

von Nils Kottmann  07.03.2025

Geheimnisse & Geständnisse

Plotkes

Klatsch und Tratsch aus der jüdischen Welt

von Katrin Richter  06.03.2025

Künstliches Comeback

Deutschlandfunk lässt Hans Rosenthal wieder aufleben

Der Moderator ist bereits 1987 verstorben, doch nun soll seine Stimme wieder im Radio erklingen - dank künstlicher Intelligenz

 06.03.2025