Finale

Benis Welt

Als ich jung war, beschäftigte ich mich eine Zeitlang sehr intensiv mit dem Thema »Gilgul ha Neschamot«. Das ist hebräisch, stammt aus der Kabbala und bedeutet Seelenwanderung. Immer wieder fragte ich mich, wer meine Seeelenvorgänger gewesen waren und wer wohl mal meine Seele bekommen würde. Auslöser war der Tod einer bösen Tante gewesen. Sie war böse, weil sie uns nichts vererbt hatte. Meinen Vater nahm das damals ziemlich mit. Er sagte zu mir: »Tante Paula wird sicher als Dackel wiedergeboren. Das geschieht ihr recht!« Er wusste nicht, was er damit bei mir auslöste. Plötzlich glaubte ich überall in Haustieren die Seelen Verstorbener zu erkennen. Ähnelten die Gesichtszüge unserer Katze nicht sehr denen meines verstorbenen Großvaters? Und hatte der Hamster nicht etwas von dem früheren Religionslehrer?

aufgetragen Geheilt von dieser Obsession hat mich erst Ernst Rutishauser. Er war der Mann der Putzfrau meiner Mutter. An einem schönem Sonntagmorgen vor fünfzehn Jahren sackte er plötzlich zusammen und starb. 57 Jahre alt war er geworden. Trotz des Schocks kam die trauernde Witwe am Donnerstag drauf wieder zu uns, um die Wohnung zu putzen. Mitgebracht hatte sie auch eine Tasche mit alten Kleidern ihres Mannes, die sie mir überreichte. Der verstorbene Ernst und ich hatten dieselbe Kleidergröße. Ich war zu der Zeit Student und konnte mir Klamotten nicht leisten. Aus Mode machte ich mir nichts. So trug ich noch viele Jahre Rutishausers Hosen, Jacken und Hemden auf. Manchmal fragten mich Freunde und Angehörige, ob mir nicht mulmig sei, die Kleider eines Toten am Leib zu haben. Ich verstand die Frage nicht. Die Sachen passten und hatten nichts gekostet. Hätte meine Frau nicht protestiert, hätte ich Ernst Rutishausers guten Anzug sogar zu unserer Hochzeit getragen.

Mit den Jahren wurde ich leider beleibter und passte nicht mehr in Herrn Rutishausers Garderobe. Seit ich berufstätig war, konnte ich mir zudem auch neue Sachen leisten. Also warf ich den Anzug in die Altkleidersammlung. Von Ernst Rutishausers Erbe blieb zum Schluss nur noch ein Aftershave der Marke Denim übrig. Obwohl ich damit äußerst sparsam umging – nur am Schabbat betupfte ich mein Gesicht mit ein, zwei Tropfen des Duftwassers –, war vorigen Samstag die Flasche definitiv leer. Als ich sie wegwarf, fiel mir plötzlich auf, dass ich fünfzehn Jahre lang Rutishausers Kleidung und Kosmetik benutzt hatte, ohne je einen Gedanken daran zu verschwenden, was wohl seine Seele dazu meinte.

Nein, »Gilgul ha Neschamot« ist für mich kein Thema mehr. Aber eines würde ich trotzdem gerne wissen: Wer wird wohl nach meinem Tod meinen guten Anzug auftragen?

München

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