Nach dem Anschlag auf die Jüdische Gemeinde von Halle waren sie wieder allerorten zu hören, die vielen gut gemeinten, aber oft ohne politische Folgen bleibenden Versicherungen von Politikern, dass jüdisches Leben zu Deutschland gehöre, der Angriff ein »Warnsignal« gewesen sei und Antisemitismus ohnehin keinen Platz in diesem Land habe.
Inmitten dieser leider nur allzu häufig eingeübten Choreografie, die zu den Reaktionen auf Terror in Deutschland mindestens so stark gehört wie die Anschläge selbst, ging eine sehr beachtliche Reaktion auf Halle weitgehend unter: In Christian Lindners neuem Podcast 1 Thema, 2 Farben antwortete vergangene Woche der deutsch-israelische Rapper Ben Salomo eine Stunde lang auf die Fragen des FDP-Parteivorsitzenden.
Die Versuchsanordnung macht Lindner gleich zu Beginn des Gesprächs klar: Der Podcast soll ein ernst zu nehmender Versuch sein, sich dem Thema Antisemitismus in Deutschland gründlicher zu widmen als mit ein paar Lippenbekenntnissen, die fünf Tage später im nachrichtlichen Grundrauschen untergehen – und es sollen auch Menschen erreicht werden, in deren Alltag Judenhass maximal in einer Meldung vorkommt, die sie gerade (über-)lesen.
BDS Ben Salomo geht durchaus ans Eingemachte. Angefangen bei seinen Erfahrungen als Fünfjähriger, der sich wundert, dass sein jüdischer Kindergarten von Polizisten bewacht wird, über den besten Freund, der seine großen Brüder holt, als er erfährt, dass der elfjährige Jonathan gar nicht Muslim, sondern Jude ist, bis zu dem Moment, als sich Puzzleteile wie diese mit den Schicksalen in seiner Familie zusammenfügen und ein Bild entsteht, »das erklärt, warum in Deutschland jüdische Kindergärten bewacht werden müssen«.
Natürlich geht es auch um den offenen Judenhass im Rap-Geschäft und BDS, Kausalitäten und Doppelstandards, wobei Ben Salomo beeindruckend sachlich und präzise analysiert, wann und warum bestimmte Äußerungen nichts mehr mit Kritik zu tun haben, sondern in irrationaler Ablehnung, wenn nicht sogar Hass begründet liegen. Es geht um die »Grenzverschiebungen des Sag- und Machbaren« in der deutschen Gesellschaft und die »Heuchelei« von Regierungsrepräsentanten, die »Nie wieder!« beteuern und gleichzeitig Glückwünsche nach Teheran schicken. Lindner pflichtet dem Berliner Rapper immer wieder bei und bestärkt ihn.
Ein Streitgespräch ist der Podcast nicht. Stattdessen ein immer wieder notwendiges Frage-und-Antwort-Interview, und endlich wird auch mal ein Jude gefragt. Der ist sogar Rapper, sodass er junge Menschen erreicht, die für die alten Parteien längst unerreichbar sind. Zu diesem Zweck tourt Ben Salomo übrigens gerade durch Deutschland und steht an Schulen und Universitäten Frage und Antwort. Damit es in Deutschland eben nicht so wird »wie in Frankreich« oder in Halle. bch