Veranstaltung

Beleidigter Unterton

Zentrale des Goethe-Instituts in München Foto: picture alliance / SZ Photo

Aufgeschoben ist nicht aufgehoben? Oder vielleicht doch? Diese Fragen ergeben sich angesichts der Diskussionen um eine Veranstaltung mit dem Titel »Den Schmerz der anderen begreifen«, die das Goethe-Institut in Israel gemeinsam mit der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Tel Aviv ursprünglich für den 9. November angesetzt hatte. Dort sprechen sollten die Publizistin Charlotte Wiedemann, die gerade ein gleichnamiges Buch veröffentlicht hatte, sowie Bashir Bashir, außerordentlicher Professor für politische Theorie an der Open University of Israel, und der Historiker Amos Goldberg von der Hebräischen Universität in Jerusalem.

Aber während der Untertitel von Wiedemanns Publikation »Holocaust und Weltgedächtnis« lautet, hieß es bei der geplanten Tagung ursprünglich »Holocaust, Nakba und deutsche Erinnerungskultur«, wobei nicht nur die Nennung des Menschheitsverbrechens Schoa in einem Satz mit der unter dem Begriff »Nakba«, arabisch für Katastrophe, bezeichneten Flucht und Vertreibung von Palästinensern im Zuge des Unabhängigkeitskrieges von 1948 Irritationen auslöste. Vor allem das Datum, und zwar ausgerechnet der Gedenktag für die Pogromnacht des Jahres 1938, stieß auf heftige Kritik.

kritik So hatte Israels Botschafter in Berlin, Ron Prosor, am Dienstagvormittag getwittert: »Am Gedenktag an die Novemberpogrome 1938 haben das @goetheinstitut und die @rosaluxstiftung beschlossen, die Erinnerung an den Holocaust zu verharmlosen. Und das ausgerechnet in Israel. Das ist inakzeptabel und respektlos!« Prosor war nicht der Einzige, der den Versuch, Äpfel mit Birnen zu vergleichen, hochproblematisch fand, und das unabhängig vom Datum. »Die Themenstellung bleibt perfide, auch an jedem anderen Tag«, erklärte beispielsweise der FDP-Bundestagsabgeordnete Frank Müller-Rosentritt in der »Bild«.

In Tel Aviv reagiert man prompt. »Wir bedauern, dass die Wahl des Datums einer Panel-Diskussion aktuell zu Irritationen geführt hat«, hieß es seitens des Goethe-Instituts und der Rosa-Luxemburg-Stiftung. Man änderte den Titel und verlegte die Veranstaltung auf Sonntag, den 13. November. Dann am Freitag eine erneute Wende, man verschob das Ganze »auf einen späteren Zeitpunkt«, ohne dabei jedoch zu sagen, wann genau und wer das alles veranlasst hat. 

Darüber konnte bemerkenswerterweise der Propyläen-Verlag Auskunft geben, der den Wirbel um die Veranstaltung in Tel Aviv dazu nutzte, noch einmal ordentlich die Werbetrommel für das Buch von Charlotte Wiedemann zu rühren, und eine entsprechende Mail versendete. Darin hieß es, dass die Absage der Tagung »auf Anraten des Auswärtigen Amts« erfolgt sei.

begründung Goethe-Institut und Rosa-Luxemburg-Stiftung liefern eine andere Begründung. »Es muss mit massiven Störungen gerechnet werden, die Sicherheit der Podiumsdiskussion ist vor diesem Hintergrund leider nicht zu gewährleisten. Das wichtige Thema der Erinnerungskultur kann so nicht in angemessener Weise behandelt werden.«

In der Tat hat die ultrarechte NGO Im Tirzu Proteste gegen die Veranstaltung angekündigt, unabhängig davon, an welchem Datum diese stattfindet. Doch es bleibt bei einem beleidigten Unterton. Goethe-Institut und Rosa-Luxemburg-Stiftung vermeiden so eine Auseinandersetzung darüber, ob man bei Wahl des ursprünglichen Termins einfach nur unsensibel war oder diesen ganz bewusst gewählt hat, um Aufmerksamkeit zu generieren.

Literatur

Die Heimatsuchende

Heute vor 50 Jahren starb Mascha Kaléko. Ihre Dichtung bleibt erschreckend aktuell

von Nicole Dreyfus  21.01.2025

Kulturkolumne

Gogol oder Döblin?

Warum die Liebe zur Literatur stärker ist als Hass auf ein Regime

von Eugen El  20.01.2025

Imanuels Interpreten (4)

Lalo Schifrin: Der Alleskönner

Das argentinische Genie komponiert alles – von Bossa Nova bis hin zu Sinfonien. Seine bekannteste Komposition dürfte die Filmmusik für »Mission Impossible« sein

von Imanuel Marcus  20.01.2025

Meinung

Wenn Freunde peinlich werden

Das Auswärtige Amt hat einem deutsch-israelischen Stand bei der Frankfurter Buchmesse eine Absage erteilt. Ein Armutszeugnis für Außenministerin Baerbock, findet unsere Redakteurin Ayala Goldmann

von Ayala Goldmann  20.01.2025

Kommentar

Bleibt stark, Emily, Romi und Doron!

Die drei jungen Frauen sind endlich in Israel. Emily Damari gab nach ihrer Freilassung ein Zeichen, das ihren Schmerz zeigt – aber viel mehr noch ihre Kraft

von Katrin Richter  19.01.2025

Geheimnisse & Geständnisse

Plotkes

Klatsch und Tratsch aus der jüdischen Welt

von Katrin Richter  19.01.2025

Meinung

Verrat an Frauen und an der Mitmenschlichkeit

Wie viele Fälle sadistischer Gewalt müssen noch nachgewiesen werden, damit die Welt endlich Mitgefühl mit den Opfern des 7. Oktober zeigen kann?

von Sarah Maria Sander  19.01.2025

Gedenkkultur

Virtuell zu Besuch bei Überlebenden des Holocaust

Es gibt immer weniger Schoa-Überlebende. Wie können ihre Erinnerungen weitergegeben werden? Ein neues Projekt setzt auf »Virtuelle Begegnungen«

von Michael Grau  19.01.2025

TV-Tipp

»Persischstunden«: Wie eine erfundene Sprache einen Juden rettet

Drama über einen jüdischen Belgier, der als angeblicher Perser in einem Konzentrationslager einen SS-Mann in Farsi unterrichten soll

von Michael Ranze  19.01.2025